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INTERNATIONAL/118: Pakistan - Hohe Preise und Hunger durch Weizenschmuggel nach Afghanistan (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Juni 2014

Pakistan: Hohe Preise und Hunger durch Weizenschmuggel nach Afghanistan

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Riesige Weizenladungen werden von Pakistan nach Afghanistan geschmuggelt
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, 5. Juni (IPS) - Die Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Nordwesten Pakistans hat alles, was der Mensch zum Leben braucht: reichlich Wasser und ertragreiche Böden. Obwohl hier ausreichend Nahrungsmittel einschließlich zehn Millionen Tonnen Weizen im Jahr produziert werden, gibt es viele Menschen in den Gebirgsregionen, die hungern müssen.

Warum das so ist? Die Antwort ist jenseits der 2.400 Kilometer langen Grenze zu Afghanistan zu finden. Dort sind die Regale und Speicher mit Agrarerzeugnissen aus dem Nachbarland gefüllt, die zu stark überhöhten Preisen verkauft werden.

Experten machen für den Mangel an Nahrungsmitteln in Khyber Pakhtunkhwa Schmuggelnetzwerke verantwortlich, die Unmengen an Weizen in Afghanistan absetzen. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Preise für Weizen, für 65 Prozent der Pakistaner ein Grundnahrungsmittel, rasant gestiegen sind.

Nach Angaben von Zahid Shinwari, dem Vorsitzenden der Industrie- und Handelskammer in Khyber Pakhtunkhwa, verliert die Provinz durch den illegalen Handel jedes Jahr etwa drei Millionen Tonnen Weizen, was zu einem mehr als 35-prozentigen Preisanstieg führte. "Das Problem verschärft sich immer dann, wenn die Erntesaison im Juni endet. Dann beginnt die besonders aggressive Phase des Schmuggels", berichtet er.

Im letzten Jahr kostete der 50-Kilo-Sack Weizen neun US-Dollar. Inzwischen sind es elf bis zwölf Dollar. Auf den ersten Blick mag dieser Anstieg verkraftbar erscheinen, doch in einer Region, in der sich das monatliche Durchschnittseinkommen bei 60 Dollar bewegt, bedeutet der Preisanstieg für viele Familien Hunger.


60 Prozent der Kinder unterernährt

Für Tausende in Khyber Pakhtunkhwa ist es bis zur Ernährungsunsicherheit nur ein winziger Schritt. Wie aus einer 2008 vom Weltkinderhilfswerk UNICEF durchgeführten Studie hervorgeht, sind 65 Prozent der Kinder und 40 Prozent der Frauen in Khyber Pakhtunkhwa unterernährt. Nimmt man ihnen nun noch ihr Grundnahrungsmittel, verschlechtert sich die Situation immer weiter.

Für Muhammad Haroon, der einen Lebensmittelladen in der Provinzhauptstadt Peshawar führt, ist die Krise angesichts der Realität, dass Tag für Tag zwischen 500 bis 600 mit Weizen vollgepackte Lastwagen die Khyber Pakhtunkhwa in Richtung Afghanistan verlassen, sehr schnell erreicht. "Wir erhalten nicht genügend Weizenmehl für den lokalen Konsum", klagt er.

Kaum ist die Ernte eingebracht, schon wird der größte Teil von den Schmugglern abtransportiert. Den verbleibenden Rest kaufen die besser gestellten Familien auf und horten ihn, um auf diese Weise um die Preissteigerungen herumzukommen. "Am Ende sind es wieder die Armen, die leiden", sagt Haroon. Sie machen 40 Prozent der Provinzbevölkerung aus.

Auf der anderen Seite der Grenze werden die Schmuggler mit offenen Armen empfangen. Wie Abdul Qadir, ein afghanischer Händler berichtet, ist das zentralasiatische Land seit jeher auf die in Pakistan produzierten Nahrungsmittel angewiesen. Das Nachbarland deckt immerhin 80 Prozent des afghanischen Weizenbedarfs. Auch Reis, Öl, Seife und Hülsenfrüchte aus dem südasiatischen Land füllen die Regale der afghanischen Geschäfte.

Wie Qadir gegenüber IPS erklärt, ist der Schmuggel nur deshalb möglich, weil es auf beiden Seiten Personen gibt, die an dem Geschäft bestens verdienen. Es fließen reichlich Schmiergelder, um sicherzustellen, dass die mit Weizen beladenen Laster ungehindert über die pakistanisch-afghanischen Grenzübergänge Torkham und Wesh-Chaman kommen.

Pro Laster werden bis zu 100 Dollar gezahlt, was am Ende die Verbraucherpreise für die Schmuggelware weiter in die Höhe treibt: bis zu 45 Dollar kostet der 50-Kilo-Sack Weizen. "Und trotzdem wird die Ware von den Afghanen gekauft", bestätigt der Händler, der Wasserknappheit, Überdüngung und den drei Jahrzehnte langen Krieg für den chronischen Nahrungsmittelmangel in Afghanistan verantwortlich macht.


Auch andere Provinzen betroffen

Inzwischen bekommen aber auch andere Provinzen in Pakistan die negativen Folgen des illegalen Weizenhandels zu spüren. Laut Chaudhry Ansar Javid, dem Leiter des für Sindh zuständigen Büros der Pakistanischen Müllervereinigung (PFMA), hat seine Provinz im letzten Jahr 800.000 Tonnen Weizen an Afghanistan verloren.

"Das in Sindh produzierte Weizenmehl wird auch in andere zentralasiatische Staaten ausgeführt. Es wird über den Grenzübergang Chaman in die iranische Provinz Belutschistan geschmuggelt", berichtet er. Allein in den letzten 15 Jahren sei der Preis für einen 100-Kilo-Sack Weizen in Sindh von 20 auf 25 Dollar gestiegen - Tendenz steigend. Seiner Meinung nach wird es höchste Zeit, dass die Regierung den Schmuggel endlich unterbindet oder genügend Weizen einführt, damit die Nachfrage aus Afghanistan gedeckt werden kann.

Derzeit produziert Pakistan nach Aussagen von Anees Ashraf, dem Vorsitzenden der Gesamtpakistanischen Müllervereinigung (APFMA), 250 Millionen Tonnen Weizen im Jahr. Darin enthalten sind 16 Millionen Tonnen aus Sindh, 58 Millionen Tonnen aus Punjab, 2,5 Millionen aus Belutschistan und zehn Millionen Tonnen aus Khbyer Pakhtunkhwa.

Gezwungen, sich nach Alternativen umzusehen, bezieht die Regierung von Khyber Pakhtunkhwa inzwischen täglich 2.000 Tonnen Weizen aus Punjab. Doch jetzt droht sogar diese Rettungsleine gekappt zu werden, seitdem die afghanischen Importeure direkt zu den Weizenproduzenten in Punjab fahren und alles aufkaufen, was sie kriegen können, wie Haji Musarrat Shah, der Vizevorsitzende der Provinzsektion von APFMA, berichtet.

Aus der Sorge, selbst Opfer der Engpässe zu werden, hat die Regierung von Punjab ein Verbot erlassen, Weizen nach Khyber Pakhtunkhwa zu liefern. Doch diese Maßnahme ist illegal und der Druck auf die Lokalregierung von Seiten der Behörden in Khyber Pakhtunkhwa wächst, das Verbot aufzuheben. "Die pakistanische Verfassung untersagt ein Lieferverbot von einer Provinz zur nächsten", sagt der Ministerpräsident der Provinz, Pervez Khattak. "Jetzt muss die Bundesregierung handeln."


Schon afghanische Flüchtlinge ein Problem

Manche befürchten, dass sich die Provinz ohne eine Lösung des Problems in ein Pulverfass verwandeln könnte, weil der Unmut in der Bevölkerung gegenüber den Nachbarn zunehmen könnte. Schon jetzt leidet Khyber Pakhtunkhwa unter der Last von drei Millionen afghanischen Flüchtlingen, mit denen die Menschen der Provinz seit 30 Jahren zusammenleben, wie Khattak erläutert.

Sollten die Preise weiter steigen, wird der Druck auf eine Region, die ohnehin schon unter Armut und bewaffneten Milizen leidet, weiter zunehmen. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/06/wheat-smugglers-bring-high-prices-and-hunger/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2014