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INTERNATIONAL/137: Argentinien - Neues Siegel fördert kleinbäuerliche Landwirtschaft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. August 2015

Argentinien: Neues Siegel fördert kleinbäuerliche Landwirtschaft

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Ein Stand auf dem Markt Bonpland in Buenos Aires. Ein Siegel soll künftig die Herkunft aus familiärem Anbau zertifizieren
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

BUENOS AIRES (IPS) - Es gießt in Strömen in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, und dennoch ist die Markthalle für solidarische Ökonomie Bonpland gut besucht. Bauernfamilien und andere kleine Produzenten verkaufen hier Ware, die sie selbst angebaut haben. Die Regierung hat nun ein neues Siegel für ebensolche Produkte angekündigt, um der kleinbäuerlichen Landwirtschaft einen größeren Rückhalt zu geben.

Norma Araujo kommt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in der Markthalle im Stadtteil Palermo Hollywood an, lange nachdem diese am Morgen ihre Türen geöffnet hat. Der starke Regen hatte die Wege in der Gemeinde Florencio Varela überschwemmt, wo sie ihr Feld haben. 38 Kilometer fahren sie regelmäßig nach Buenos Aires, um einen Stand auf dem Markt zu bestücken. Schnell bauen sie das Obst und Gemüse auf, das sie mitgebracht haben, während sich bereits die ersten Kunden ihrem Stand nähern.

Die alte Markthalle war im Zuge der Wirtschaftskrise im Jahr 2001 geschlossen worden. Jetzt werden hier an insgesamt 25 Ständen wieder Waren angeboten. Die Anbieter sind neben - auch indigenen - Kleinbauern soziale Organisationen und Kooperativen. Sie verkaufen Produkte, die "ohne Sklavenarbeit" und nach den Regeln des "fairen Handels" erzeugt wurden.

"Unser Gemüse ist 100 Prozent natürlich. Wir benutzen keinerlei chemische Düngemittel", berichtet Araujo gegenüber IPS. Die Bäuerin gehört der Kooperative der Bauernfamilien von Florencio Varela an. Andere Mitglieder verkaufen außerdem Hühner, Eier, Ferkel und Hasen.

Gegenüber dem Stand von Araujo bietet Analía Alvarado Honig, hausgemachte Marmelade, Käse, Haferflocken, frische Säfte, Olivenöl, Vollkornbrot, Bio-Matetee und Milchprodukte an. "Hier auf dem Markt geht es darum, kleinen Produzenten einen Absatzmarkt zu ermöglichen", sagt Alvarado. "Die Verkäufer kommen aus ganz Argentinien hierher."


Kleinbauern wichtig für Ernährungssicherheit

Um die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu stärken, hat das Landwirtschaftsministerium nun das Siegel 'Hergestellt von Bauernfamilien' entwickelt. Ziel ist, deren Sichtbarkeit zu erhöhen und in der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür zu wecken, welch großen Anteil Kleinbauern an der Ernährungssicherheit des Landes haben.

Das neue Siegel ist Teil einer gemeinsamen Initiative innerhalb des Mercosur (Abkürzung für 'Gemeinsamer Markt Südamerikas'), unter dessen Dach sich der 'Zusammenschluss von Bauernfamilien' (REAF) gegründet hat. Pionier auf dem Gebiet war Brasilien. Bereits 2009 entwickelte das Land, neben Argentinien, Paraguay, Uruguay und Venezuela Mitglied des Mercosur, ein solches Siegel, das 2012 erstmalig verliehen wurde. Mitglied des Zusammenschlusses sind auch Bolivien, Chile und Ecuador.

Neben den Regierungen sind Vertreter von kleinen Bauernorganisationen Teil der Initiative. In Chile wurde im Juni das Siegel 'Bauern-Hände' eingeführt. Nutzen darf es, wer nur in kleinem Stil anbaut. Das Siegel soll gesunde Ernährung und die lokale Entwicklung fördern.

Auch Ecuador und Bolivien sind auf einem gutem Weg, demnächst ein ähnliches Label einzuführen. Ziel soll sein, die Ernährungssouveränität zu stärken, die Einnahmen der Kleinbauern aufzubessern und den Zugang zu Nahrungsmitteln auf dem Land zu vereinfachen. In Uruguay laufen derweil Gespräche mit verschiedenen Akteuren, um die Chancen und Risiken eines solchen Siegels zu klären.

Dem argentinischen Landwirtschaftsministerium zufolge leben rund 120.000 Familien im Land von der Landwirtschaft. Zusammen erzeugen sie 70 Prozent der Lebensmittel, die in Argentinien konsumiert werden.


Menschen mit Gesichtern und Namen

"Ein Siegel, das auf die Herkunft der Produkte aus Bauernfamilien hinweist, soll nicht nur die Sichtbarkeit der Produzenten erhöhen. Es soll auch den Dialog zwischen den Verbrauchern und den Erzeugern auf dem Land fördern", erklärt Raimundo Laugero, Sprecher des Programms, das im Sekretariat für familiäre Landwirtschaft des Ministeriums angesiedelt ist, gegenüber IPS. "Ein wichtiger Aspekt, den wir mit dem Siegel sichtbar machen wollen, ist, dass hinter den Nahrungsmitteln Menschen stehen. Menschen, die Gesichter haben und Namen."

Das Siegel solle außerdem laufende gesundheitliche Kontrollen der Produkte garantieren. Darüber hinaus stehe es für eine Produktion ohne chemische Düngemittel und fördere Diversität statt Monokulturen.

Die Landwirtschaft ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für das 43- Millionen-Einwohner-Land. Sie erwirtschaftet 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, ist für 55,8 Prozent der Exporte verantwortlich und beschäftigt direkt oder indirekt 35,6 Prozent der arbeitenden Bevölkerung.

María José Otero kommt mit ihrem Fahrrad zum Markt Bonpland gefahren. Sie nimmt den weiten Weg auf sich, weil sie ihrer Familie eine gesunde und natürliche Ernährung ermöglichen möchte. Für die Apothekerin ist der Einkauf auf dem Markt aber auch eine "soziale Frage". Sie möchte diejenigen Bauern unterstützen, die sich der Agrarindustrie widersetzen und findet es gut, dort einzukaufen, wo nicht ein Großteil des Geldes bei Zwischenhändlern verloren geht.

Das Siegel hält sie für eine gute Idee: "Es gibt so viele Betrüger, die behaupten, Bio-Lebensmittel zu verkaufen, und dann steckt doch konventioneller Anbau dahinter. Das Siegel garantiert, dass auch drin steckt was draufsteht."

Claudia Giorgi baut Papaya an. Die verkauft sie auf dem Markt zusammen mit anderen Produkten der Kooperative 'La Asamblearia', darunter Kosmetik, Lavendelseife, medizinische Kräuter, Tee und Senf. Von dem geplanten Siegel hat sie bisher noch nicht gehört. Es müsse sich zeigen, ob es funktional sei und sich von anderen existierenden Siegeln unterscheide, mit denen private Unternehmen "Geschäfte machen" wollen. "Für einen solchen Stempel muss man in der Regel Geld bezahlen", erklärt sie.

Für ihre Bauernkollegin Araujo mag das Siegel nützlich sein. Sie fordert von der Regierung aber erst einmal viel praktischere Lösungen.

Zum Beispiel für das Problem, überhaupt in die Stadt auf den Markt fahren zu können, wenn der Regen die Wege unbefahrbar gemacht hat. "Die sollen uns erstmal die Straßen befestigen!" (Ende/IPS/jk/17.08.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/08/nuevo-sello-identifica-y-defiende-agricultura-familiar-argentina/
http://www.ipsnews.net/2015/08/new-label-defends-family-farming-in-argentina/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2015

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