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INTERNATIONAL/177: Warum wir essen, was wir essen - ein kulturelles Phänomen (PROVIEH)


PROVIEH Magazin 1/2017
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Warum wir essen, was wir essen - ein kulturelles Phänomen

von Svenja Taube


Ein Rinderschnitzel, ein Schweinekotelett oder ein Putensteak - ganz selbstverständlich. Insektenbeine oder gar ein Hundefilet - der Gedanke an den Verzehr ruft bei den meisten vermutlich Ekel hervor. Doch wer einmal genau darüber nachdenkt, warum wir manche Tiere ganz selbstverständlich essen und bei anderen nicht einmal daran denken, der wird sich fragen, warum das so ist.


Kulturelle Prägung

Die einfache Antwort: Wir haben von Kindesbeinen an gelernt, was wir essen können und was nicht. Genauso wie unsere Eltern uns beigebracht haben, dass wir bestimmte Pflanzenarten nicht verzehren, obwohl sie essbar wären, sind wir auch beim Fleisch dazu erzogen worden, dass es genießbare Tierarten gibt und andere unverzehrbar sind. Doch dieses Weitergeben von Ernährungsgewohnheiten muss einen Ursprung haben. Denn warum gelten in unterschiedlichen Kulturen verschiedene Tiere als essbar? Warum essen beispielsweise Menschen in China Insekten - wir hierzulande aber nicht? Welche Tierarten in einer bestimmten Gesellschaft gegessen werden, unterliegt einer kulturellen Konditionierung. Werden Tierarten, die eigentlich essbar sind, von einer sozialen Gruppe oder in einem Kulturraum abgelehnt, handelt es sich um ein Nahrungstabu. Essverhalten ist nicht angeboren, sondern wird erst im Laufe des Lebens erlernt. Vor allem Ekelgefühle bestimmten Tierarten gegenüber, übernimmt der Mensch von seinem sozialen Umfeld. In der Wissenschaft existieren verschiedene Erklärungsmodelle, die den Ursprung von Nahrungstabus erklären sollen. Diese Modelle können zwar einen Ansatz geben, bieten aber nur eine unzureichende Erklärung für die Existenz der unterschiedlichen Nahrungstabus. Ein Erklärungsmodell besagt zum Beispiel, dass Nahrungstabus immer rational begründbar sein müssen und einer Kosten-Nutzen-Analyse, im Hinblick auf effiziente Nahrungsversorgung, folgen. So hat jeder Kulturkreis Ernährungsgewohnheiten, die in seinem regionalen Umfeld ökonomisch und ökologisch am sinnvollsten sind. Tiere, die lebendig wertvoller sind, werden für den Verzehr als ungeeignet eingestuft. Ein anderer Ansatz bietet den Erklärungsversuch, dass keine Tiere gegessen werden, die entweder zu fremd oder zu verwandt für den Menschen erscheinen. In Mitteleuropa sind dies zum Beispiel Insekten (zu fremd) oder Affen (zu verwandt). Was als fremd oder verwandt angesehen wird, kann in verschiedenen Kulturen jedoch variieren.


Karnismus

Die amerikanische Sozialpsychologin Dr. Melanie Joy hat dem System, nur bestimmte Tierarten zu essen, einen Begriff gegeben: Sie nennt es Karnismus. Dieser bezeichnet ein unsichtbares Überzeugungssystem, das uns darauf trainiert, bestimmte Tiere zu essen, während andere als Freunde eingestuft werden. Joy sieht als Grund dafür eine fehlende Verbindung zwischen dem lebendigen Tier und dem Fleisch.

Laut Joy gibt es mehrere Faktoren, die begünstigen, dass bestimmte Tierarten gegessen werden. So wird ihnen beispielsweise eine eigene Individualität und Persönlichkeit abgesprochen. Tiere, die gegessen werden, betrachten wir mehr als Objekte denn als Individuen. Dies zeigt sich auch in einem differenzierenden Wortschatz. Der tote Körper eines Tieres wird als Kadaver bezeichnet und nicht als Leichnam, Tiere werden geschlachtet und nicht getötet. Dadurch wird schon auf sprachlicher Ebene eine Distanz zwischen dem Tier und dem Menschen geschaffen. Zudem sehen wir zwar beinahe tagtäglich die Erzeugnisse von Tieren abgepackt im Supermarkt, doch immer seltener die lebenden Tiere an sich: ein Mechanismus der Industrie, um Identifikationsprozesse zu unterbinden. Die simple Erkenntnis ist, dass diejenigen Tiere verzehrt werden, zu denen der Mensch keine emotionale Verbindung hat. Der Hund, der mit uns im Haus lebt, den wir nachts in unserem Bett schlafen lassen und der uns tagtäglich begleitet, den wir lieben und dem wir unsere Sorgen anvertrauen, würden wir weniger töten und essen, als ein uns unbekanntes, namenloses Mastschwein, das in einem x-beliebigen Stall aufgezogen wurde, das wir nie kennengelernt haben und von dem wir nur seine Fleischteile im Supermarkt sehen.


Schwein, Bär oder Hai?

Der Frage "Warum wir essen, was wir essen" sind ebenfalls die kanadischen Kulturpsychologen Matthew Ruby und Steven Heine nachgegangen. Sie befragten insgesamt 796 Amerikaner, Chinesen, Kanadier und Inder zu ihrer Einschätzung verschiedenen Tierarten gegenüber, darunter Rind, Schwein und Huhn, aber auch Hund, Bär und Hai. Ergebnis der Studie war, dass die Intelligenz einer Tierart den entscheidenden Faktor für ihre Essbarkeit darstellt. Je intelligenter die Befragten ein Tier einschätzten, desto mehr lehnten sie den Verzehr ab. Auch Tiere, die als niedlich oder abstoßend eingestuft wurden, werden als ungenießbar eingestuft. Hingegen spielte die vermutete Leidensfähigkeit eine untergeordnete Rolle.

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Quelle:
PROVIEH Magazin 1/2017, Seite 22-23
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2017

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