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MARKT/1680: "Regional wird sich vor Bio schieben" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 319 - Februar 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Regional wird sich vor Bio schieben"

Theo Gottwald zu den zukünftigen Herausforderungen des Biomarktes,
der Suche nach neuen Werten und der Industrialisierung der Branche

Von Claudia Schievelbein


FRAGE: Vor einem Jahr auf der Biofach wurde der Verein "Bestes Bio - Fair vom Bauern" gegründet. Was waren die Hauptgründe?

THEO GOTTWALD: Der Verein wurde in einer Zeit eines großen Bio-Booms gegründet, die gekennzeichnet von steigenden Preisen, Rohstoff- und Warenknappheit war. Verbunden damit wurden die Importe verstärkt. Zudem sind Lebensmittelketten und Discounter in den Markt eingestiegen, da es für sie ökonomisch interessant war. Die Werte des Vereins basieren auf einem umfassenden Verständnis von Fairness. Dazu gehören faire Preise für Lebensmittel entlang der ganzen Wertschöpfungskette - also vom Acker bis zum Teller - genauso wie Regionalität, Umwelt und Klimaschutz oder Transparenz. Es bestand die Sorge, dass diese Werte im Zuge des Bio-Booms verloren gehen. Heute haben wir wirtschaftlich eine völlig andere Situation, die Preise sinken (siehe Milch) und der Naturkostfachhandel muss gegen die Übermacht der großen Discounter und Lebensmittelketten kämpfen, die die Preisschraube heftig nach unten drehen. Es geht also mehr denn je darum, die originären Werte der Bio-Bewegung zu vermitteln und den Verbrauchern zu kommunizieren, dass Qualität - und dazu gehört auch Fairness - ihren Preis hat.

FRAGE: Wie hat sich die Initiative innerhalb des vergangenen Jahres entwickelt?

THEO GOTTWALD: Der Verein hat auf der Grundlage seiner allgemein formulierten Ansprüche Prüfkriterien entwickelt. Das Prüfkonzept wurde in vier Betrieben getestet: der Upländer Bauernmolkerei, der Bäckerei Schedel, der Dorfkäserei Geifertshofen, der Stirper Mühle. Diese Unternehmen sind zertifiziert, weitere befinden sich im Prozess der Zertifizierung. Erste Produkte werden auf der diesjährigen Biofach präsentiert und kommen im Verlauf von 2009 auf den Markt. Andere Unternehmer haben bereits Interesse an einer Zertifizierung bekundet.

FRAGE: Kann man bereits von einer neuen Bewegung sprechen oder ist es eine reine Vermarktungsinitiative, die sich Zusatzqualifikationen aufs Produktetikett schreibt?

THEO GOTTWALD: Selbstverständlich müssen die Unternehmer, die Mitglieder im Verein sind, von ihrer Arbeit leben. Daher müssen die Kosten und die Zeit, die sie investieren, sich auch positiv ökonomisch niederschlagen. Dennoch ist der Verein weit mehr als eine Vermarktungsinitiative. Er wurde gegründet von Bio-Unternehmen, die mit ihrer Unternehmensphilosophie die genannten Fairness-Werte eng verbinden. Denken Sie nur an die Upländer Bauernmolkerei, die mit ihrer Faire Milch-Initiative alles ins Rollen gebracht hat - unter anderem auch die Vereinsgründung. Der Verein ist Teil einer Bewegung, die für ethische Werte in Erzeugung, Verarbeitung, Vermarktung und im Konsum steht. Er möchte seinen Teil dazu beitragen, dass diese Bewegung weiter wächst und sich in der Gesellschaft durchsetzt.

FRAGE: Wo ist die Abgrenzung zu den vielfältigen Regionalvermarktungsinitiativen?

THEO GOTTWALD: Der Verein ist verbandsübergreifend und bundesweit angelegt. Daher ist Regionalität in den Richtlinien des Vereins weiter gefasst als bei kleinen, regionalen Initiativen, die nur im eigenen Umfeld ihre Produkte vermarkten, oft in der Direktvermarktung. Es gibt einen klaren Bezug der Vereinsmitglieder zu ihrer Region. Von dort beziehen sie den Großteil ihrer Rohstoffe. Vermarktet werden die Produkte ausschließlich im qualitätsorientierten Handel.

FRAGE: Es gibt Menschen in der Bio-Szene, die einen Verlust von ehemals im Ökolandbau wichtigen ethischen und sozialen Grundsätzen sehen, was hat es tatsächlich mit dem Wertewandel oder gar Werteverlust im Ökolandbau auf sich?

THEO GOTTWALD: Erst einmal muss man festhalten, dass es bei den Werten, die konkret durch die Bio-Zertifizierung abgeprüft werden wie Tiergerechtheit, Umweltschutz, Gentechnikfreiheit keinen Werteverlust gibt. Es ist im Gegenteil viel gewonnen worden, indem ein guter Bio-Markt aufgebaut und etabliert werden konnte. Einen Wandel oder gar Verlust kann man bei den eher abstrakten Werten wie Vertrauen oder Glaubwürdigkeit verzeichnen. Das rührt daher, dass alles, was mit einer Industrialisierung einhergeht, vom Verbraucher kritisch gesehen wird. Auch gibt es einen Werteverlust bei den Akteuren des ökologischen Landbaus im Hinblick auf Kooperation und Austausch. Sprich, es gibt mehr Wettbewerb untereinander, das gute Miteinander wird eher schwieriger, je stärker der Markt wächst. Die Pioniere des Ökolandbaus hatten diese höheren Ideale, für die neueren Akteure kann man sich fragen, ob sie noch das gleiche Verantwortungsbewusstsein tragen. Bei Werten wie Fairness und Gerechtigkeit und bei Verantwortung für Landwirtschaft und Kulturlandschaft kann Industrie-Bio aber nicht mithalten.

FRAGE: Wer bzw. wo sehen Sie die verantwortlichen Organisationen bzw. Strukturen für diese Entwicklungen? Sind die Akteure des Ökolandbaus selbst an den Entwicklungen beteiligt?

THEO GOTTWALD: Der Handel braucht Rohstoffe und Produkte aus aller Welt. Es zeichnet sich eine Konzentration im Biosupermarktbereich ab, Alnatura und denree sind die Führenden im Wettbewerb. Sie brauchen verhältnismäßig günstige Rohstoffe bzw. sie suchen Preisführerschaft. Hier findet Verdrängung und Strukturwandel statt, auch in Richtung Naturkosthandel und Direktvermarktung. Die Inlandsware ist weitestgehend in festen Händen, aber bei allen Waren aus Drittländern ist es noch nicht ausgemacht, unter welchen Bedingungen sie wo hin gehen.

FRAGE: Spielt der soziale Anspruch, bäuerliche Betriebe durch den Ökolandbau zu erhalten, noch eine Rolle für die Akteure des Ökolandbaus?

THEO GOTTWALD: Die soziale Frage spielt national eine nachgeordnete Rolle. Inzwischen kommen eine Menge Rohstoffe von Betrieben oberhalb einer bestimmten bäuerlichen Größe, hier gelten die Marktgesetze. Die Verbände können es sich nicht leisten, das zu thematisieren, sie haben alle Hände voll damit zu tun, sich im Wettbewerb zu profilieren. Das Bekenntnis zu bäuerlichen Betrieben ist nach wie vor da, aber die Vermarktungsinitiativen der Verbände stehen unter anderen Zwängen. Und deren Chefs sind so weit weg vom realen Druck in den landwirtschaftlichen Betrieben. Es fehlt die Vermittlung, die Übersetzung für die, die nur Vermarktung im Kopf haben und nicht die Scholle, nicht den Stall und nicht die nachfolgende Generation. "Bäuerlich" ist ihnen als Wert häufig fremd und nicht mehr lebendig. Im internationalen Engagement der Verbände ist das anders. Der Naturlandverband stützt besonders kleine bäuerliche Betriebe und Kooperativen. Er stellt das Soziale in der globalisierten Biomarktwelt heraus.

FRAGE: Wo wird sich der Ökolandbau in zehn Jahren befinden? Ökologisch industrielle Massenproduktion oder sozial, gesellschaftsintegriert und naturverbunden?

THEO GOTTWALD: Bio wird eine größere Konkurrenz von konventionellen Betrieben bekommen, die ihre Produkte regional herstellen und vermarkten. Das hat auch damit zu um, dass sich die guten konventionellen Betriebe in ihren Produktionsmethoden sukzessive in Richtung "bio" bewegen. "Regional" wird sich vor "bio" schieben, weil "regional" die Antiglobalisierungswelle bedient. Die Bio-Verbände können diesen Wert nur schwer besetzen. Bio wird mittlerweile wahrgenommen als internationales Konzept. Aber der jüngste Trend ist die Besinnung auf die Nachbarschaft, wo Sozialität, Hilfsbereitschaft, wahre Freundschaft wichtig ist. Das macht mir Mut für kleine bäuerliche Betriebe, die sich auch über zusätzliche Leistungen profilieren können, über Bildung, als Arbeitgeber, Naherholungsanbieter. Früher stand "konventionell" für den Weltmarkt und "bio" für die Region, das hat sich gewandelt im Bewusstsein der Verbraucher. "Bio" ist nun vom Weltmarkt und bietet Gesundheitsvorteile. Aber in dem Bereich "regional" tut sich eine Lücke auf, die bäuerliche Betriebe - bio oder konventionell - nutzen können.

Vielen Dank für das Gespräch.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 319 - Februar 2009, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2009