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MARKT/1970: Ebermast - Tierwohl als Verkaufsargument (PROVIEH)


PROVIEH Ausgabe 01/2012
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Ebermast - Tierwohl als Verkaufsargument

von Sebastian Fuchs, Qualitätsentwicklung, Demeter



Im Jahr 2011 wurden in Deutschland 59 Millionen Schweine geschlachtet, die Hälfte männlich und 82 Prozent davon kastriert. In konventionellen Schweinebetrieben ist die Kastration angesichts der mehr als fragwürdigen Haltungsbedingungen nur ein Tierschutzproblem unter vielen. Dank des Einsatzes von PROVIEH nimmt die Ebermast rasant zu. Für die Öko-Schweinebauern aber ist der Umgang mit der Ferkelkastration ein vorrangiges Problem. Die Käufer von Bioprodukten erwarten einen respektvollen Umgang mit den Tieren und ein hohes Maß an Tierwohl. Das entspricht auch dem Selbstverständnis der Biobauern. Die ungelöste Frage, ob und wie Bioferkel kastriert werden, brennt sprichwörtlich wie Salz in einer offenen Wunde.

"Wirtschaftlichkeit versus Tierwohl" lautet das Dilemma aller Tierhalter. Auch Bioschweinehalter müssen kostenbewusst wirtschaften. Zwar wächst die Nachfrage für Bioprodukte stark. Doch bei Schweinefleisch hinkt der Markt hinterher. Auf 66 konventionell erzeugte Schweine kommt in Deutschland gerade mal ein Bioschwein, das sind nur 1,5 Prozent Marktanteil. Der überwiegende Anteil dieses Biofleisches stammt zudem aus Betrieben, die lediglich nach EU-Ökorichtlinie zertifiziert sind und nicht nach den tierwohlgerechteren Richtlinien der großen Verbände Bioland, Naturland und Demeter.

Für Bioschweine erhält ein Bauer zurzeit 3,08 EUR pro Kilo Schlachtgewicht, für konventionelle Schweine rund 1,54 EUR. Ein Bioferkel bringt im Verkauf 103 EUR, ein konventionelles etwa 39 EUR. Doch den höheren Preisen für Ferkel und Schweine stehen auch drastisch höhere Kosten gegenüber. Bio-Schweine bekommen mehr Platz und leben in überschaubaren Kleinbeständen. Sie werden langsamer gemästet und später geschlachtet. Die festen Kosten für Stallbau und Arbeitszeit aber bleiben relativ gleich, egal ob man 23 Schweine hält (Durchschnitt Demeter) oder 740 Stallplätze belegt (Durchschnitt Intensivmast Niedersachsen). Bio-Futter ist zudem deutlich teurer als konventionelles Futter. Viele Bio-Ferkelerzeuger schaffen es nicht einmal, die steigenden Futterkosten wieder einzuhandeln. Deshalb ist jeder zusätzliche Kostenpunkt für sie eine wirtschaftliche Überlebensfrage, auch bei der Kastration.


Ebermast auch für Bioschweine machbar

Unter Betäubung zu kastrieren ist für das Tier besser, als den Schmerz lediglich nach der Kastration mit Metacam zu dämpfen. Aber eine Betäubung durch den Tierarzt ist teuer. Und die Anschaffung von Narkosemasken und die Miete einer Isofluran-Betäubungsanlage schlagen für kleine Betriebe wesentlich stärker zu Buche als für große. Sie müssen auf weniger Tiere umgelegt werden. Gerade kleinere Biobetriebe wollen daher auf eine Betäubung verzichten. Für sie wäre die Ebermast ein Ausweg aus dem Dilemma, sofern Kein Zweifel: Dies ist ein dominantes Schwein. das Fleisch dieser Tiere gut verkauft werden kann.

Ebergeruch wird von vielen Menschen als unangenehm empfunden. Doch er lässt sich wirksam minimieren. Einige Schweinerassen, sogenannte "Landrassen", bringen bereits eine genetische Veranlagung für weniger Ebergeruch mit. Weil sie auch deutlich seltener krank werden als Schweine aus Intensivrassen, eignen sie sich besonders gut für die Ökohaltung. Eine angepasste Fütterung trägt mit zur Lösung des Geruchsproblems bei. Verantwortlich für Ebergeruch sind die drei körpereigenen Stoffe Skatol, Indol und Andostrenon. Skatol und Indol entstehen beim Abbau der Aminosäure Tryptophan. Je weniger Tryptophan ein Schwein frisst, desto weniger riecht es. Für Bio-Schweinemäster ist das eine anspruchsvolle Aufgabe, denn anders als ihre konventionellen Kollegen dürfen sie dem Futter keine künstlichen Aminosäuren beimischen, um eine ausgewogene Proteinversorgung zu gewährleisten. Gute Hygiene reduziert die Bildung von Skatol. Liegen die Tiere viel im Dunst des eigenen Kotes, erhöht sich der Skatolgehalt im Fett. Das kann man durch Sauberkeit vermeiden. Auch genügend Freilauf und die räumliche Trennung von Ebern und Sauen sind gut gegen Ebergeruch. Junge Eber werden durch Sauen oder Rangkämpfe hormonell angeregt, den Sexualduftstoff Androstenon zu bilden, einen Hauptbestandteil des Ebergeruchs. Bleiben Jungeber unter sich, riechen sie weniger. Gesellt man ihnen noch einen Alteber dazu, bleibt auch die Pheromon-Ausschüttung durch Rangkämpfe weitgehend aus. Der alte Eber lässt bei den jungen Kerlen keinen Zweifel an der Rangfolge aufkommen.

All diese Maßnahmen können das Geruchsrisiko vermindern, aber nicht ganz verhindern. Ebergeruch und Ferkelkastration sind außerhalb der Fleischerzeugung nahezu unbekannte Themen. Riecht das Fleisch beim Braten seltsam, gehen die Kunden eher davon aus, dass es verdorben ist, als dass es besonders tierschutzgerecht erzeugt wurde. Für eine kleine Hofmetzgerei kann es deshalb äußerst rufschädigend sein, wenn sie geruchsauffälliges Fleisch verkauft. Daher müssen alle Schlachtbetriebe geruchsbelastete Schweine sicher heraus finden können. Mit dem Schnüffeltest an einer Bratprobe gelingt das bereits gut, ein standardisiertes Verfahren für kleine und mittlere Fleischerzeuger steht aber noch aus.

Stellt sich Schweinefleisch als geruchsauffällig heraus, sollte man vermeiden, dass es erhitzt wird. Dann nämlich würde der unangenehme Geruch in der Küche des Kunden frei. Eine gänzlich unproblematische Lösung für das Problem ist die Verarbeitung des kompletten Tiers zu Rohwurstprodukten, die weder bei der Herstellung noch bei der Zubereitung erhitzt werden. Auch helfen einige Produktionsverfahren, den Ebergeruch zu verringern. So reduziert die Verarbeitung zu Kochschinken die Androstenonkonzentration um bis zu 60 Prozent, Räuchern mindert den Skatolgehalt um bis zu 64 Prozent und auch mit speziellen Marinaden für Frischfleisch wurden schon gute Ergebnisse erzielt.

Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Wien erhielt 2010 den Auftrag, eine Blindverkostung von Rohwurstwaren aus der Ebermast durchzuführen, die zu zehn Prozent aus geruchsbelastetem Eberfleisch bestanden. Über 70 Prozent der 103 Verkoster bescheinigten den Erzeugnissen einen zufriedenstellenden bis sehr guten Geschmack. Fast jeder zweite Verkoster würde solche Produkte auch wegen des guten bis sehr guten Geschmacks kaufen. Den verkosteten Eberfleischprodukten wurde von mehr als einem Drittel der Teilnehmer sogar Premiumqualität zugesprochen.

Also warum nicht aus der Not eine Tugend machen und das Problem zum Alleinstellungsmerkmal umpolen? Eine Lösung könnte lauten "6 Monate im Edelschimmel gereifte Ebersalami" versehen mit einer Banderole oder einem Begleitheftchen, die auf die Einzigartigkeit des Produkts hinweist und neben einem Bio- oder Verbandszeichen noch zusätzlich mit dem PROVIEH-Logo versehen ist, verbunden mit dem Hinweis, das Produkt bitte nicht auf die Pizza zu legen. Freilandhaltung, Tierwohl und hochwertige Veredelung - für mich ein überzeugendes Verkaufsargument, denn 75 Prozent der Verbraucher setzen Qualität mit artgerechter Haltung gleich und 96 Prozent mit besonders gutem Geschmack.

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Quelle:
PROVIEH Ausgabe 01/2012, Seite 28-30
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2012