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MARKT/2139: Milch - Wie ernst ist ernst? (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 392 - Oktober 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Wie ernst ist ernst?
Wer Milch so günstig wie möglich fordert, opfert bäuerliche Betriebe zugunsten einer industriellen Produktion

Von Marcus Nürnberger


Es reicht! - schon lange nicht mehr auf den Höfen. Viele Bauern und Bäuerinnen stehen mit dem Rücken zur Wand. Und inzwischen auch immer häufiger wieder in der Öffentlichkeit mit vielen Aktionen, die im vergangenen Monat stattgefunden haben und auch immer noch stattfinden. Die Märkte laufen über, es wird zuviel Milch und Fleisch produziert. Die Lösung der Politik lautet: Exporte, die Lösung der Bauern und Bäuerinnen: Menge reduzieren. Eine langfristige Stabilisierung der Preise wird nur durch eine Hinwendung zu einer Qualitätserzeugung, die Tiere und Umwelt schützt, zu erreichen sein. Nur so werden bäuerliche Existenzen erhalten werden.


Spätestens seit die Milchbauern in Deutschland wieder mit ihren Traktoren auf die Straßen gingen, wurde es einem Großteil der Bevölkerung bewusst, dass da etwas nicht stimmt mit dem Preis für die Milch. Von uneingeschränkter Sympathie für die demonstrierenden Milchbauern ist man allerdings auch in den Medien weit entfernt. "Der Mythos vom armen Milchbauern" titelte die FAZ in einem Kommentar und schreibt weiter: "In Brüssel protestieren Milchbauern für höhere Preise. Dabei sind sie schon lange vorbereitet darauf, dass der Milchmarkt nun ein Markt ist. Und wer nicht konkurrenzfähig ist, muss eben schließen." Dass viele Betriebe von dieser Entwicklung betroffen sein könnten, im Sinne des Kommentators schlicht nicht konkurrenzfähig sind, bestätigt auch die Einschätzung des Bayerischen Bauernverbands (BBV): Tausende Milchbauern in Deutschland müssten ihren Betrieb in diesem Jahr aufgeben, schätzt BBV-Milchpräsident Günther Felßner.

Besser werden als Andere

Konkurrenzfähig durch Rationalisierung und moderne Betriebsführung - das ist eigentlich die Sprache des Deutschen Bauernverbands (DBV). Doch auch der sieht die Bauern bedroht. Er fordert Finanzhilfen, eine Anhebung des Interventionspreises und eine Exportoffensive. Dass es nicht nur Jammern ist, wie mancher Kommentator den Bauern gerne unterstellt, belegen auch die Einschätzungen aus der Finanzbranche. Schon aus den Milchkrisen 2009 und 2012 bestünden noch Liquiditätslöcher. Die Überschuldung liegt bei bis zu 23.000 EUR/ha und führt zu einer Kapitaldienstbelastung von über 6 Cent/kg Milch. Betroffen vom niedrigen Milchpreis sind insbesondere die Zukunftsbetriebe im Sinne des Deutschen Bauernverbands. Hoch spezialisiert, stark investiert, Flächen gepachtet, Tiere aufgestockt. Wenn dann auch noch mit Angestellten gearbeitet wird, neigt sich die Liquidität schnell dem Ende zu.

Faire Preise

Da kommt die Forderung nach fairen Preisen, wie sie der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter auf den Demonstrationen in München, Brüssel und Berlin stellt, gerade recht. Aber da endet die Gemeinsamkeit auch schon wieder. Denn während der DBV um seine Großbetriebe bangt, für die er gerne eine "Marktbereinigung" durch den Strukturwandel in Kauf nimmt, geht es einmal mehr um die Frage nach der Zukunft der Landwirtschaftsstruktur in Deutschland. Auch wenn sogar Politiker wie der Bayrische Landwirtschaftsminister Helmut Brunner in der aktuellen Situation vor einem "Strukturbruch mit unabsehbaren Folgen für Kulturlandschaft und ländliche Räume" warnen, muss klar sein, dass der Strukturwandel nie aufgehört hat. Er findet kontinuierlich statt. Dass jetzt so viele aufschreien, die ihn immer als Instrument zur Weiterentwicklung der Landwirtschaft gepriesen haben, zeigt, dass momentan auch Betriebe betroffen sind, die von der Lobby der Agroindustrie gewollt sind.

Trotz der finanziellen Bedrängnis gibt es aber das Bestreben weiter zu wachsen. In Baden-Württemberg planen gleich zwei Betriebe Ställe mit über 1.000 Kühen. Auch in Nord- und Ostdeutschland sind derartige Projekte geplant und zum Teil schon Realität. Wer finanziert derartige Projekte? Für welche Märkte soll hier produziert werden? Ganz offensichtlich ist die Molkereibranche an immer größeren Betrieben interessiert, gibt es Banken und Investoren, die derartiges Größenwachstum finanzieren, allerdings nicht ohne Gebäude und Flächen als Pfand zu nehmen. Vor allem aber gibt es noch immer Bauern, die denken, den ganz großen Wurf zu machen, es allen zu zeigen.

Verbindliche Regeln

Die Demonstrationen in Berlin, München und Brüssel Anfang September weisen jedoch in eine ganz andere Richtung. Den Milchbauern ist Ihre Lage bewusst. Ganz anders als der Kommentar in der FAZ unterstellt, schreien sie nicht einfach nach mehr Geld. Es geht um ein Regelwerk. Ein Regelwerk, dass es ermöglicht, die Produktion dem Markt anzupassen. So wie jedes Unternehmen auf rückläufige Absatzzahlen mit einer Drosselung der Produktion reagiert, wollen auch immer mehr Milchbauern ein System, bei dem für alle verbindlich die Produktionsmengen geregelt werden. Nicht allein auf die Menge sondern darüber hinaus auch auf die Qualität setzt Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Sie fordert in der aktuelle Krisensituation mit den Einnahmen aus der Superabgabe einen Anreiz zur Reduktion der Milchmenge. "Mit den EU-weit erwarteten über 700 Millionen Euro sollte den aktiven Betrieben ein Anreiz gezahlt werden, ihre Milcherzeugung befristet um einige Prozent zu reduzieren", fordert der stellvertretende AbL-Vorsitzende Ottmar Ilchmann. Als langfristige Perspektive fordert die AbL für die Milch eine Qualitätsoffensive, wie zum Beispiel Weide- oder Heumilch und die regionale Verarbeitung in kleinen Strukturen unter Beteiligung der Erzeuger.

Die Erfahrungen während des Milchstreiks 2009, bei dem viele tausend Liter Milch ausgeschüttet wurden, haben gezeigt, dass es schwer und auf freiwilliger Basis unmöglich ist, so viele Betriebe in einer Erzeugerorganisation wie dem Milchboard zusammenzufassen. Von daher scheint die Forderung des European Milk Board nach einer gesetzlich fixierten europaweiten Regelung für den Krisenfall nur sinnvoll. Wer sich die Mühe macht, die Details zu lesen, zu verstehen, dass es um kostendeckende Erzeugerpreise und nicht um Phantasielöhne geht, eine flächendeckende, gesellschaftsprägende Landwirtschaftsstruktur und keine industrielle Lebensmittelproduktion gewollt sind, muss sich auf die Seite der Milchbauern stellen und mit ihnen gemeinsam für ein nachhaltiges Produktionsmengenmanagement eintreten.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 392 - Oktober 2015, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2015

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