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MARKT/2212: Die Trendwende naht (tierrechte)


tierrechte 4.16 - Nr. 77, Dezember 2016
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Die Trendwende naht

von Alexandra Weyrather


Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an pflanzlichen Fleischalternativen in den Supermärkten. Trotzdem führt die vegane Ernährung in Deutschland immer noch ein Nischendasein. Dies könnte sich aber schon bald ändern, denn Fleisch auf rein pflanzlicher sowie auf Basis nachwachsender Fleischzellen wird in naher Zukunft massentauglich sein.


Ob aus Pflanzen oder nachwachsenden Fleischzellen (In-vitro-Fleisch): Kunstfleisch und Alternativen zu anderen Tierprodukten, die geschmacklich wie preislich auf dem Markt bestehen können, wird es in naher Zukunft massentauglich geben. Wie das geht?

In erster Linie mit Geld, das innovativen Unternehmen der Wachstumsbranche alternativer Fleischprodukte bisher fehlte, aber nun vermehrt zur Verfügung steht. Zum anderen durch wissenschaftliche Fortschritte in Gentechnik und Mikrobiologie sowie durch den Enthusiasmus junger Start-up-Unternehmer, die sich eine gesunde Umwelt und das Ende des Leids von Abermillionen Schlachttieren auf ihre Fahnen geschrieben haben. Die meisten Hersteller setzen auf Soja- oder Weizenproteine. Zunehmend werden auch Proteine aus der heimische Süßlupine genutzt. Die Firma Prolupin hat für ihre vegane Produktreihe "Made with Luve" bereits 2014 den Deutschen Zukunftspreis erhalten.


• Markttaugliches Kunstfleisch ist im Kommen

So hat der Gründer des Start-ups "Impossible Foods" Pat Brown (USA) aus rein pflanzlichen Zutaten wie Weizen, Kokosöl und Kartoffelprotein eine nahezu perfekte Alternative zum Rindfleisch entwickelt. Für dieses innovative Produkt konnte er Hunderte Millionen Dollar von börsenstarken Unternehmen wie Microsoft und Google Ventures einsammeln, um sein Produkt auf dem Massenmarkt zu etablieren. Die Besonderheit dieses Burgers ist das verwendete Leghämoglobin, das - ähnlich dem tierischen Hämoglobin - dem Produkt den typischen Fleischgeschmack und sogar den rohen, blutigen Zustand verleiht. Testesser der US-Zeitschrift "Vogue" bescheinigten dem Fleisch-Burger aus der Retorte Geschmackseigenschaften wie einem "echten Burger".

Auch die kalifornischen Start-up-Unternehmer von "Beyond Meat" wollen die tierischen Proteine durch pflanzliche ersetzen und haben Großes vor. Mit Millionen Dollar Anschubfinanzierung großzügiger Geldgeber stellt die Firma Hühnerfleisch, Rindfleisch und sogar Burger her, die auf Erbseneiweiß, Rote-Beete-Saft, Chia-Samen und anderen Zutaten basieren. Das Unternehmen hat sich ein gigantisches Produktionsziel gesetzt: Bis 2020 sollen die Fleischalternativen den weltweiten Fleischkonsum klassischer Prägung um 25 Prozent reduzieren.

In Deutschland wurde mit dem EU-Projekt "Like Meat" ebenfalls ein Verfahren entwickelt, mit dem fleischähnliche Strukturen nachgebaut werden können. Die Bamberger Firma Amidori verkauft das aus einem Grundstoff speziell gezüchteter Erbsen gewonnene Kunstfleisch unter dem Markennamen Midori® als "High Protein Food".


• Hühnerfleisch aus dem eigenen Generator

Neben den Neuerungen und Weiterentwicklungen von pflanzlichen Alternativprodukten erfährt auch die Kultivierung von echtem Fleisch und anderen Tierprodukten im Labor derzeit eine rasante Entwicklung. So half das Non-Profit-Institut "New Harvest" bei der Gründung der zwei Start-up-Unternehmen Muufri und Clara Foods, die mit gentechnisch veränderten Hefezellen Kuhmilch und Eiklar herstellen. Erste Produkte sollen bereits Ende 2017 auf den Markt kommen.

Auch das Start-up-Unternehmen Super Meat (Israel) will schon bald im Labor gezüchtetes Hühnerfleisch in größeren Mengen an Supermärkte, Restaurants und Hobbyköche liefern. Binnen zwei Jahren soll der Prototyp eines "Broiler-Generators" entstehen, um das Laborfleisch in Serie produzieren zu können. Die Firma möchte die Methode so vereinfachen, dass zu künftig in jedem Haushalt zur Befriedigung des persönlichen Fleischbedarfs das eigene Hühnerfleisch kultiviert werden kann.

Der erste noch in mühsamer Handarbeit entstandene In-vitro-Fleisch-Burger in Europa stammt vom Medizinprofessor an der Universität Maastricht (Belgien), Mark Post. In der von ihm und Partner Peter Verstrate gegründeten Firma "Mosa Meat" wird das Fleisch mittlerweile effizient in Bioreaktoren hergestellt und mit dem Geld solventer Großspender weiterentwickelt. Ziel ist es, Kapazitäten zu schaffen, um eine Stadt mit etwa 40000 Einwohnern kostengünstig versorgen zu können.


• Globale Bedeutung alternativer Fleischproduktion

Für diese Vordenker und Pioniere einer tierfleischfreien Ernährung liegen die Vorteile auf der Hand: nicht nur massenhaftes Tierleid würde vermieden, auch die Umwelt und das Klima würden global profitieren. Treibhausgas könnte ein gespart und die natürlichen Wälder müssten nicht für den Anbau von Tierfutter und für Weideflächen abgeholzt werden. Der Landverbrauch wäre deutlich geringer und es gäbe kein Problem mehr mit der Gülleentsorgung.

Das gezüchtete Fleisch hat noch einen weiteren Vorteil: Es ist weniger ungesund als herkömmliches, weil der Fettgehalt bis auf Null reguliert werden könnte und der Einsatz von Antibiotika entfiele. Die Produzenten des Laborfleischs gehen davon aus, dass es viel effizienter und als Massenware letztlich billiger hergestellt werden kann als Fleisch von lebenden Tieren. Allerdings sind die genauen Auswirkungen der massenhaften Produktion von In-vitro-Fleisch auf die Umwelt im Vergleich zur herkömmlichen Fleischproduktion noch ungewiss.

Vom 9. bis 11. Oktober 2016 fand in Maastricht die "Second International Conference on Cultured Meat" statt, auf der die aktuellen Herausforderungen und Probleme der In-vitro-Fleisch-Herstellung diskutiert wurden. Dabei stehen die Entwicklung eines Produktionssystems im großen Maßstab sowie die weitere Forschung an pflanzlichen Nährmedien für die Zellen im Fokus. Die Unternehmen wollen aus ethischen Gründen und produktionstechnischen Unsicherheiten weg vom fötalen Kälberserum, das bisher als Nährmedium genutzt wird. Einigen Firmen ist es wohl bereits gelungen, die tierischen Zellen mit rein pflanzlichen Nährmedien zu kultivieren.


• Werden sich Hersteller und Konsumenten umstellen?

Der Verlierer einer weltweiten Produktion künstlicher Fleischprodukte wäre als erstes die traditionelle Fleischindustrie, der massiv die Gewinne wegbrechen würden. Ähnlich erginge es Pharma- und Chemiekonzernen, die viel weniger Abnehmer für Antibiotika hätten. Auch die klassische Agrarindustrie müsste mit erheblichen Einbußen rechnen, da riesige Landflächen für die Viehzucht und den Futteranbau nicht mehr benötigt würden. Stattdessen könnten nach Schätzung der Vereinten Nationen mit dem nicht verfütterten Getreide rund 800 Millionen Menschen auf der Welt ernährt werden.

Die Argumente der Skeptiker und Gegner einer tierfleischfreien Ernährung, das Fleisch aus dem Labor sei geschmacklich mit natürlichem Fleisch nicht identisch und im Übrigen für Otto-Normalverbraucher unerschwinglich, werden angesichts der raschen Fortschritte und massiven Investitionen auf diesem Gebiet zunehmend obsolet.


• Staat könnte Umstellung forcieren

Die ökologisch, gesundheitlich und tierethisch begründete alternative Fleischerzeugung wird den vollen Durchbruch jedoch nur erzielen, wenn der Staat diese durch wissenschaftliches und technisches Know-how angestoßene Trendwende ebenfalls unterstützt. Dazu müsste er die millionenschweren Subventionen an die herkömmliche Fleischindustrie Schritt für Schritt zurückfahren und zugunsten der alternativen Fleischproduktion umschichten. Er müsste auch viel stärker als bisher den zu erwartenden Abwehrstrategien und dem Einfluss der Lobbyisten aus der Fleisch- und Agrarindustrie entgegentreten. Auf lange Sicht wird sich jedoch niemand mehr den Vorteilen der Kunstfleischproduktion verschließen können. Es ist zu hoffen, dass dieser Prozess möglichst schnell vorangeht, damit das millionenfache Tierleid in den Agrarfabriken möglichst bald zu einem dunklen Kapitel in unseren Geschichtsbüchern wird.

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Quelle:
tierrechte 4.16 - Nr. 77/Dezember 2016, S. 14-15
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
eMail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2017

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