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VERBAND/2203: Land gerecht verteilen - überall (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 404 - November 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Land gerecht verteilen - überall
Deutsche Politikrepräsentanten engagieren sich gerne für Gerechtigkeit im Ausland, zu Hause tun sie sich schwerer

von Kaya Thomas, junge AbL


Am 21. und 22. September luden die Bundesministerien für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter dem Titel "Was tun wir für sichere Landrechte und nachhaltiges Landmanagement?" zur Evaluation der bisherigen Umsetzung der "Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests in the Context of National Food Security" (offizielle Abkürzung VGGT oder TG, zu deutsch: Freiwillige Leitlinien für die verantwortungsvolle Regulierung von Eigentums-, Besitz- und Nutzungsrechten an Land, Fischgründen und Wäldern im Rahmen nationaler Ernährungssicherheit).

Was ist das? Ein weiteres unübersichtliches UN-Dokument, dessen Titel sich schon niemand merken kann? Ein weiterer Papiertiger mit schönen Vorsätzen, aber schon dem Namen nach freiwillig, weshalb mit einer Umsetzung kaum zu rechnen ist? Die Entstehungsgeschichte und die bisherige Anwendung geben Anlass zu Hoffnung. Es könnte ein Hebel sein, Landverteilung auch bei uns demokratischer und transparenter zu gestalten und sowohl zwischen Behörden und Landnutzern als auch zwischen den "entwickelten" Ländern und dem globalen Süden eine Kommunikationskultur zu etablieren, die durch gegenseitiges Lernen auf Augenhöhe geprägt ist. Die Land-Leitlinien sollen gerechten Zugang zu Land, Fischgründen und Wäldern sowie Rechtssicherheit diesbezüglich fördern, um weltweit Hunger und Armut zu bekämpfen. Sie sind zunächst als "freiwilliger Leitfaden" gedacht, auf den sich Regierungen und Unternehmen, aber auch NGOs bei der Gestaltung von Landgesetzgebung und Investitionspartnerschaften stützen können. Bevor 2011/12 die abschließenden Verhandlungen im Welternährungsrat (CFS) stattfanden, wurden in einem breit angelegten Beteiligungsprozess zivilgesellschaftliche Organisationen, Wissenschaft, Privatwirtschaft sowie Regierungs- und UN-Institutionen aus über 130 Staaten konsultiert. Dadurch genießen die Land-Leitlinien international eine hohe Legitimität, die auch die Bundesregierung ausdrücklich anerkannt hat. Indigene Gruppen und kleinbäuerliche Organisationen spielten in diesem Prozess eine wichtige Rolle, und so behandelt je ein ganzes Kapitel die Berücksichtigung informeller Nutzungsrechte und die Rechte von Indigenen. Nicht nur das, im ganzen Dokument wird immer wieder dazu aufgefordert, die Gleichberechtigung der Geschlechter und marginalisierter Gruppen zu fördern, bei allen Prozessen alle betroffenen Akteure zu beteiligen, die Benachteiligten beim Wahrnehmen dieser Möglichkeiten zu unterstützen und die Bedeutung von Kleinerzeugern für die nationale Ernährungssicherheit und die soziale Stabilität zu berücksichtigen.


Organisierter Austausch

Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen gehört auch die regelmäßige Evaluation zum Stand der Umsetzung. Also wurden vier Jahre nach der Unterzeichnung des Dokuments die vier Sektoren (Privatwirtschaft, Regierung, Wissenschaft, Zivilgesellschaft) um Stellungnahmen zur Umsetzung in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und in Deutschland gebeten und zur Berichterstattung und Planung des weiteren Vorgehens nach Berlin geladen. Beispielhaft für die Umsetzung in Entwicklungsländern waren darunter Sprecher der NGO Green Scenery aus Sierra Leone, die dort eine Schlüsseirolle für die Einbeziehung von Bürgerinteressen in den TG-Prozess spielt. Es ist unter anderem dem Beispiel Frankreichs und insbesondere dem Engagement von NGOs wie FIAN und Oxfam zu verdanken, die über die gemeinsame AG Land an der Konzeption der Veranstaltung beteiligt waren, dass sie überhaupt in dieser Form stattfand und dass auch der Zugang zu Land in Deutschland thematisiert wurde. Bisher finden die Land-Leitlinien vor allem in der Entwicklungszusammenarbeit Beachtung, da die Bundesregierung erklärt hat, dass von ihr geförderte Vorhaben der finanziellen und technischen Zusammenarbeit den Land-Leitlinien entsprechen sollen. Einzelne Äußerungen von Vertretern der beiden großen deutschen Organisationen zur Entwicklungszusammenarbeit, GIZ und DEG, erweckten allerdings den Eindruck, sie verstünden unter Transparenz vor allem, dass investierende Unternehmen ihnen ihre Bücher offen legen und weniger, dass Menschen in Sierra Leone über die Zukunft ihrer Arbeitsplätze informiert werden. Auch beim BMEL bemüht sich vor allem das Referat für "Welternährung und internationale Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisationen". Obwohl die Berichte zur Lage in Deutschland für den zweiten Tag angesetzt wurden, waren die für heimische Angelegenheiten zuständigen BMEL-Mitarbeiter nur am ersten Tag anwesend.


Verantwortungsvolle Bodenpolitik

Der Deutsche Bauernverband und die Landgesellschaften waren nicht vertreten. Auf Kritik reagieren die etablierten Kräfte empfindlich. Nachdem Mario Reißlandt vom Bündnis Junge Landwirtschaft, ein landwirtschaftlicher Neueinsteiger in Brandenburg, seine Schwierigkeiten mit der BVVG geschildert hatte, hielt der extra wegen dieses Vortrags angereiste BVVG-Vertreter eine entrüstete Gegenrede, in der er die Transparenz seines Unternehmens betonte und die genannten Undurchsichtigkeiten als bedauerliche Einzelfälle abtat. Sein Engagement war wohl auch deshalb so vehement, weil die BVVG ihre Erfahrung mit der Privatisierung von Staatsland und Korruptionsvorbeugung inzwischen durch Beratungstätigkeit in Drittländern weitergiht. Benedikt Haerlin prangerte als Vertreter des wissenschaftlichen Sektors die Intransparenz im Insolvenzverfahren der KTG Agrar an. Eine BMEL-Mitarbeiterin gab im Gespräch an, das Ministerium sei bezüglich des Weiterverkaufs der Flächen vollkommen handlungsunfähig. Verantwortungsvolle Bodenpolitik im Sinne des öffentlichen Gutes Ernährungssicherung sollte auch in Deutschland anders aussehen.


Vieles noch möglich

Die AbL könnte sich die Land-Leitlinien stärker zunutze machen. Die Europäische Koordination von La Via Campesina verfasste ein People's Manual, in dem der Text anschaulich aufbereitet wurde und veranstaltete Anfang 2015 zwei Workshops, um die Mitgliedsorganisationen und andere NGOs in ihrer Anwendung zu schulen. Diesen Prozess in Deutschland fortzusetzen, wäre wünschenswert, um den gerade vorhandenen Schwung zum Beispiel auf die Forderung nach wirksamen Agrarstrukturgesetzen zu lenken. Voraussichtlich wird es von Seiten des BMEL eine Studie geben, die die Übereinstimmung der deutschen Bodenpolitik mit den Land-Leitlinien untersucht, um gegebenenfalls Handlungsbedarf sowie Best-Practice-Beispiele auszumachen. Außerdem hat das BMEL aus der Veranstaltung die Anregung mitgenommen, die Länderministerien stärker zu informieren und in den Umsetzungsprozess für Deutschland einzubinden. Es macht Hoffnung, dass ein Dokument mit dem übergeordneten Ziel der Ernährungssicherung ganz vom gerechten Zugang zu Land, Fischgründen und Wäldern her gedacht ist. Ein fundamental einleuchtender Zusammenhang, der in einem Land mit immer vollen Supermärkten doch leicht vergessen wird. Müsste nicht auch bei Debatten über Armut in Deutschland die Landverteilung thematisiert werden? Auch die Kommunikationskultur, die bei Land-Leitlinien-Veranstaltungen praktiziert wird, macht Hoffnung. Stühle sind eher kreisförmig angeordnet, es gibt Raum für Arbeitsgruppen, in denen Teilnehmer aus verschiedenen Sektoren gemeinsam die nächsten Schritte diskutieren. Das wirkt wie ein Gegenmodell zu der ebenfalls noch spürbaren Kolonialmentalität und zu Investitions-"Partnerschaften", die mehr auf Profit als auf nachhaltige Entwicklung vor Ort ausgerichtet sind.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 404 - November 2016, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 30,- Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2017

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