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VERBRAUCHERSCHUTZ/1248: Das Blaue vom Himmel (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 185 - April/Mai 2015
Die Berliner Umweltzeitung

Das Blaue vom Himmel
Unwahre Gesundheitsversprechen auf Lebensmittelverpackungen

Von Volker Voss


Die Forderung "Mit Essen spielt man nicht" wird häufig im Zusammenhang mit der maßlosen Spekulation einiger Finanzinstitute mit Grundnahrungsmitteln genannt - die oft die Hauptursache für den Hunger in der Welt und künstlich in die Höhe getriebene Lebensmittelpreise. Diesen wichtigen Leitsatz sollte man jedoch der Vollständigkeit halber um den Begriff "Mit Gesundheit spielt man nicht" ergänzen. Denn viele Hersteller von Lebensmitteln tricksen zudem mit sinnlosen Gesundheitsversprechen, fanden Verbraucherschützer_innen heraus. Es wird auf Verpackungen hemmungslos mit unwahren Behauptungen geworben, die meist nicht eingehalten werden. Ein Marktcheck der Verbraucherzentralen ergab, dass "63 Prozent der untersuchten Produkte mit potenziell irreführenden Aussagen locken". Das ist das Ergebnis der aktuellen Studie "Verbraucherwahrnehmungen von Lebensmittelverpackungen" von Agrifood Consulting und der Universität Göttingen im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv).

Gesundheitsangaben auf den Verpackungen, auch "Health Claims" genannt, haben danach einen großen Einfluss auf das Kaufverhalten der Verbraucher_innen. Denn das, was auf der Verpackungsvorderseite steht, vermittelt nicht nur den ersten Eindruck, sondern sei grundsätzlich für die Kaufentscheidung. "Die Kaufentscheidung dauert nur Sekunden, zu wenig für einen Blick auf die Rückseite. Deshalb gehören wichtige Infos auf die Vorderseite", stellt vzbz-Vorstand Klaus Müller klar. Denn die gesetzlich vorgeschriebene Zutatenliste oder Nährwertinformationen auf der Rückseite hätten kaum noch Einfluss auf die geweckten Erwartungen.

Beispiel: Oft verwendete Begriffe wie "ohne Zuckerzusatz" oder "ungesüßt" sind meist irreführend, werden aber von über 90 Prozent der Konsument_innen so verstanden, dass dem Produkt kein Zucker zugegeben wurde. Jedoch darf mit Süßstoffen oder Zuckeraustauschstoffen gesüßt werden. Über 50 Prozent gehen zudem davon aus, dass auch keine süßenden Stoffe beigemischt sind - was sich als Irrtum erweist. "Oft sind es Formulierungen, die am grünen Tisch ersonnen wurden", bemängelt Müller. Deshalb fordert die Verbraucherzentrale, die Produkte mit Informationen so zu versehen, dass die Verbraucher_innen sie unmissverständlich verstehen. Daher seien auch klare Nährwertprofile wichtig.

Nichtssagende Formulierungen

Die Irreführung wird zudem durch nichtssagende Formulierungen noch zugespitzt. So werden Gesundheitsversprechen in ihrer Bedeutung unzulässig verstärkt werden, wie beispielsweise: "trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei" oder "leisten einen wichtigen Beitrag zum Ausbau und der Funktionsfähigkeit der körpereigenen Abwehrkräfte". Dies seien Verfälschungen, die laut europäischer Health-Claims-Verordnung (EU-Verordnung 1924/2006) nicht zulässig sind. Genannt werden sollten ohnehin nur solche Gesundheitsaspekte, die wissenschaftlich erwiesen sind.

Fragwürdig ist außerdem das Werben mit vitaminhaltigen Inhalten. Bei über 50 Prozent der betreffenden Produkte handelt es sich lediglich um Vitamin- und Mineralstoffbeimischungen, also um Zutaten, "die nicht aus dem Lebensmittel selbst stammen, sondern industriell zugesetzt wurden". Ein weiteres Mittel der Täuschung sind oftmals optische Abbildungen auf den Verpackungen, die beispielsweise sportlich aktive Menschen zeigen und durch inhaltslose Beschreibungen wie "aktiv", "Der sportliche Durstlöscher" oder "Erreiche deine sportlichen Ziele" den Eindruck erwecken, es handele sich um ein gesundheitsförderndes Produkt, obwohl dies der Inhalt nicht hergibt und das Produkt auch nicht gesünder macht. Doch wirken gerade visuelle Eindrücke besonders stark. Die Reihe der Täuschungen und Ungereimtheiten ließe sich weiter fortsetzen, je tiefer man in die Materie einsteigt. Die Regale vieler Supermärkte bieten oft eine bunte Mischung unrühmlicher Beispiele dafür, meist noch mit Abbildungen mit vor Konsumglück strahlenden Menschen.

Um der Lebensmittelindustrie eine praktische Anleitung für die Umsetzung realitätskonformer, den Wünschen der Kunden entsprechender Beschreibungen auf den Verpackungen zu geben, wurden die Verbraucher_innen in der oben genannten Studie ebenso danach befragt, welche Informationen auf der "Schauseite der Lebensmittel" für sie wichtig sind: Abbildung des Produkts, Name des Produkts, Nettofüllmenge, Bezeichnung, Marke und Mindesthaltbarkeitsdatum, und zwar wahrheitsgemäß.

Fragwürdige Rechtslage

Wie schwer es jedoch ist, Lebensmittelproduzenten dazu zu verpflichten, irreführende Angaben zu unterlassen, zeigt ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom Februar. Nach Angaben von foodwatch lief fünf Jahre lang ein Rechtsstreit mit einem Lebensmittelhersteller darüber, ob der Slogan "So wichtig wie das tägliche Glas Milch" auf dem Label eines bekannten zuckerhaltigen KinderFrüchtequarks irreführend ist oder nicht. Der Bundesgerichtshof entschied zum Leidwesen der Verbraucher_innen: "Der Slogan ist nicht irreführend!" Es handele sich erkennbar um ein Produkt, das sich von Milch unterscheide. "Der Verbraucher weiß, dass Früchtequark mehr Zucker hat als Milch", urteilte das Gericht.

Der Vorsitzende Richter fügte allerdings laut foodwatch hinzu: Nach dem Europarecht brauche ein solcher Slogan zusätzliche Angaben auf dem Produkt. Um über die genauen Hinweise zu entscheiden, verwies er den Fall an ein anderes Gericht weiter. foodwatch dazu: "Der Schwindel kann also mit höchstrichterlichem Segen weitergehen. Obwohl der Quark mit bis zu 17 Prozent Zucker alles andere als ausgewogen ist, kann er auch künftig mit Gesundheitswerbung versehen werden." Gesundheitsversprechen, beziehungsweise "Health Claims", hielten selten was sie versprechen. Deshalb gebe es aus Sicht von foodwatch nur eine sinnvolle Lösung: "Gesundheitswerbung hat auf Produktverpackungen nichts verloren. Lebensmittel sind keine Medikamente - wer krank ist, sollte zum Arzt gehen, nicht in den Supermarkt."

Widersprüchliche Genehmigungsverfahren

Die Lebensmittelretter von foodwatch haben zudem die Erfahrung gemacht, "dass sich Lebensmittelhersteller aufgrund der sogenannten Health-Claims-Verordnung zwar ihre gesundheitsbezogenen Werbeaussagen durch die EU genehmigen lassen müssen, bewertet werden allerdings oft nur isolierte Effekte einzelner Zusätze, nicht jedoch, ob das Lebensmittel insgesamt empfehlenswert ist." Es wird davon ausgegangen, dass gesundheitsbezogene Angaben in den allermeisten Fällen irreführend seien und den Verbrauchern nicht helfen, sich ausgewogen zu ernähren. Von der Politik werden eindeutige Regeln gefordert, die es Lebensmittelherstellern nicht mehr ermöglichen, irreführende Gesundheitsversprechen zu verwenden.


Weitere Informationen:

www.foodwatch.org
www.vzbv.de

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Quelle:
DER RABE RALF
26. Jahrgang, Nr. 185, Seite 14
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2015

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