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ASYL/1339: Bundestagsdebatte über "sichere Herkunftsländer" ohne faktische Grundlage (Pro Asyl)


Pro Asyl - Pressemitteilung vom 18. Januar 2019

Bundestagsdebatte über »sichere Herkunftsländer« ohne faktische Grundlage

PRO ASYL: Gesetzentwurf ist abzulehnen


PRO ASYL appelliert an den Bundestag, dem aktuellen Gesetzentwurf zur Erweiterung der Liste der »sicheren Herkunftsländer«, der heute verhandelt wird, nicht zuzustimmen. Er ist aus rechtlichen Gründen und aus pragmatischen Erwägungen abzulehnen. Zudem öffnet er politischen Manipulationen die Tür.

Die Einstufung von Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien als »sichere« Herkunftsstaaten widerspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, wonach Sicherheit vor Verfolgung »landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen« muss (BVerfG, Beschluss v. 14. Mai 1996, 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93). In allen zur Debatte stehenden Ländern werden Minderheiten diskriminiert und insbesondere Homosexualität geahndet.

PRO ASYL kritisiert, dass auch der von der Regierungskoalition per Änderungsantrag kurzfristig eingebrachte Verweis auf »spezielle Rechtsberatung für besonders vulnerable Gruppen« faktisch ins Leere laufen wird. Die Formulierung ist nicht mehr als ein Köder für die Länder im Bundesrat. Die Regelung wird schon deshalb ins Leere laufen, weil - im Übrigen gegen europäisches Recht - überhaupt keine gesetzlichen Vorkehrungen getroffen sind, um bei allen Asylantragstellenden »besonders Schutzbedürftige« zu identifizieren. Selbst die im Koalitionsvertrag verabredete »unabhängige« Asylverfahrensberatung als Angebot für alle soll vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Eigenregie als formale Erstinformation durchgeführt werden. »Ein behördliches Pseudoangebot statt unabhängiger Beratung«, sagt Bernd Mesovic, rechtspolitischer Leiter bei PRO ASYL. »Als die am Ende über den Asylantrag entscheidende Instanz ist das BAMF ungeeignet, Vertrauen zu vulnerablen Personen herzustellen, deren Bedarfe zu ermitteln und Kontakte zu Rechtsanwälten zu vermitteln.« PRO ASYL appelliert an die rot und grün mitregierten Bundesländer, sich bereits jetzt von dieser Mogelpackung zu distanzieren.

Der Gesetzentwurf ignoriert außerdem die Grundsatzentscheidung des EuGH, nach der abgelehnte AsylbewerberInnen die Möglichkeit haben müssen zu klagen, ohne dass sie währenddessen abgeschoben werden dürfen (Urteil v. 19.06.2018, C-181/16). Asylsuchende aus »sicheren Herkunftsländern« werden i.d.R. als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt. Das ermöglicht aber derzeit die Abschiebung während des laufenden Verfahrens (§ 75 i.V.m. § 36 AsylG). Dies hätte also zwingend neu geregelt werden müssen, fehlt aber im Entwurf. (Weitere Erläuterungen dazu auch in unserer Stellungnahme [1])

Auch das Argument, »offensichtlich unbegründete« Ablehnungen würden das Asylverfahren beschleunigen, hält einer praktischen Prüfung nicht stand. Die Dauer eines Asylverfahrens hängt ganz überwiegend von anderen Faktoren ab, wie z.B. von einer ausreichenden Personalausstattung beim BAMF. Stattdessen ist die Diskussion um »sichere Herkunftsstaaten« politischer Popanz nach dem Motto »wer dagegen ist, verhindert effektive Asylverfahren«, der den andauernden Asylstreit weiter anstachelt, ohne tatsächliche Relevanz für schnellere Asylverfahren zu haben.

Das Bundesinnenministerium (BMI) begründet die Einstufung als »sichere Herkunftsstaaten« darüber hinaus damit, dass die Anerkennungsquoten bei diesen Ländern unter 5 Prozent liege. Abgesehen davon, dass es eine solche 5%-Hürde als Beweis für »sichere Herkunftsstaaten« weder im Asylrecht, noch nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gibt: Die Quoten werden seitens der Bundesregierung heruntergerechnet. Von der Bundesregierung werden nämlich auch die formellen Ablehnungen mit eingerechnet, was die Schutzquoten nach unten drückt (»unbereinigte« Quote).* Die bereinigten Quoten liegen bei den zur Debatte stehenden Maghreb-Staaten aktuell (Januar bis November 2018) bei: Algerien 4,5 Prozent, Marokko 8,0 Prozent und Tunesien 5,5 Prozent.

Anerkennungsquoten sind zudem politisch manipulierbar, indem das BMI politischen Druck auf das BAMF ausübt - nicht durch Anweisungen, sondern durch öffentliche Äußerungen von Erwartungshaltungen. Bestes Beispiel: Afghanistan. Ausgehend von der Behauptung des damaligen Innenministers De Maiziere, afghanische Asylsuchende hätten meist keine Fluchtgründe, gingen die Anerkennungsquoten deutlich nach unten.

Aus politisch manipulierbaren Quoten die Voraussetzungen für die Einstufung weiterer Länder als »sichere Herkunftsstaaten« ableiten zu wollen, ist zynisch. Macht die Methode Schule, könnten BAMF und Regierung im Zusammenspiel versucht sein, die Liste der angeblich »sicheren Staaten« kontinuierlich zu erweitern. Der reduzierte Rechtsschutz im Fall der Entscheidung als »offensichtlich unbegründet« würde damit Zug um Zug von der Ausnahme zur Regel.

* Um die Entscheidungspraxis des BAMF realistischer abbilden zu können, rechnen wir die »sonstigen Verfahrenserledigungen« aus den Quoten heraus (sog. »bereinigte Schutzquote«), da in diesen Verfahren keine inhaltliche Prüfung der Asylgründe stattfindet (bspw. weil aufgrund der Dublin-Verordnung ein anderer EU-Staat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist oder wegen Verfahrenseinstellung, weil ein Asylantrag zurückgenommen wurde). Somit finden nur diejenigen Asylverfahren, in denen die Asylgründe der Betroffenen inhaltlich geprüft wurden und in denen Schutz erteilt oder abgelehnt wurde, Berücksichtigung in unseren Berechnungen. Durch einen hohen Anteil formeller Erledigungen würde diese tatsächliche Schutzquote verzerrt, denn über die Schutzbedürftigkeit wurde in diesen Fällen weder positiv noch negativ entschieden.


[1] https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/2018-07-12-PRO-ASYL_Stellungnahme-zum-GE-sichere-HKL.pdf

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Quelle:
Pro Asyl - Pressemitteilung vom 18. Januar 2019
Postfach 160 624, 60069 Frankfurt/M.
Telefon: +49 069 - 23 06 88, Fax: +49 069 - 23 06 50
E-Mail: proasyl@proasyl.de
Internet: www.proasyl.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2019

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