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ASYL/573: Familienzusammenführung? DNA-Tests! (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 46 - Winter 2008/2009
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Familienzusammenführung? DNA-Tests!

Von Albrecht Kieser


Die Bundesregierung diskutiert in diesen Wochen das "Gendiagnostikgesetz" (GenDG). Und wie häufig bei Gesetzen enthält auch dieses ein minderes Sonderrecht für Ausländer, in diesem Falle für Ausländer, die in Deutschland wohnen und ihre Familie hierher holen möchte bzw. hier lebende Deutsche, deren ausländische Familienangehörige nach Deutschland nachziehen wollen. Damit wird eine fragwürdige Praxis fortgeschrieben und verfestigt, die Ausländerbehörden bereits seit Jahren zu etablieren versuchen.

Eine Familie ist eine Familie. Könnte man denken. Bloß: so einfach ist das in den Zeiten der Patchwork-Familie nicht mehr. Da sind die Väter nicht die Väter, die Mütter nur zum Teil und wieder andere Kinder sind dann doch gemeinsame. Wer soll da schon durchblicken.

Und wie sollen Behörden da durchblicken? Nun, das kommt offensichtlich darauf an, um welche Behörde es sich handelt. Und um was für Familien. Wenn zum Beispiel Erwachsene und Kinder in einer Wohnung leben und Hartz IV beantragen, dann ist die Sache ganz klar: dies Gefüge gilt als Bedarfsgemeinschaft, hier: als Patchwork-Familie, egal von wem welche Kinder sind und ob die Erwachsenen überhaupt eine Familie bilden wollen. Fest steht für die entscheidende Behörde: die Erwachsenen und Kinder haben füreinander aufzukommen und wenn einer genug für alle verdient, bekommen die anderen keine staatliche Unterstützung.

Die Ausländerbehörde hingegen denkt ganz anders. Wenn z.B. ein Migrant aus der Türkei oder aus Nigeria seine Frau und seine Kinder nach Deutschland holen möchte - Familiennachzug nennt sich das dann ist diese Absicht erst einmal gar nichts wert. Ein Visum bekommen die Angehörigen des Migranten dafür jedenfalls nicht. Es könnte ja sein, dass Frau und Kinder von sonst woher stammen und gar keine "echte", blutsverwandte Familie mit dem Antragsteller bilden. Die zu schützen erzwingt definiertes internationales Recht; ansonsten geht es im deutschen Ausländerrecht bekanntlich um die Begrenzung, nicht um die Ausweitung der Zuwanderung, Patchwork hin, Patchwork her.

Für diesen Fall - die Patchwork-Familie nämlich fein säuberlich zu unterscheiden von einer blutsverwandten - hat die medizinische Wissenschaft ein klärendes Hilfsmittel parat. Den DNA-Test. Da brauchen angeblicher Papa, die Mama und die Kinder nur ein wenig Spucke oder Blut zu lassen, sie zu untersuchen und schon ist klar: da gehört wirklich zusammen, was die Desoxyribonukleinsäure offenbart hat. Oder eben nicht. Das kostet zwar ein wenig, aber wer seine Familie nach Deutschland holen will, sollte schon über genügend Bargeld verfügen. Jedenfalls ist ein Vater-Mutter-Kind-Test für unter tausend Euro zu haben. Und weil Deutschland nicht Finnland ist, werden anders als dort die angeblich unumgänglichen DNA-Tests auch nicht von der Staatskasse bezahlt, sondern vom Antragsteller. Er will ja schließlich etwas vom deutschen Staat und nicht umgekehrt.

Wo also ist das Problem, abgesehen davon, dass migrantische Patchwork-Familien, in fremden Ländern auch als Großfamilie bezeichnet, nach Deutschland nicht einreisen dürfen? Abgesehen von dieser, nun ja: Diskriminierung, besteht das Problem darin, dass die deutschen Ausländerbehörden keinem Migranten vorschreiben dürfen, einen solchen Test zu machen. DNA- oder Gentests sind eine freiwillige Veranstaltung, nicht nur bei Deutschen, sondern sogar bei Migranten.

Trotzdem wird der Gentest als Regeltest für Migranten und auch für anerkannte Flüchtlinge ausgeweitet, die ihre Familien nach Deutschland holen wollen. Ausländische Abstammungsurkunden, Heiratsurkunden und ähnliche Dokumente gelten den deutschen Behörden nämlich wenig; und rein überhaupt nichts, wenn die Antragsteller aus sogenannten Problemstaaten stammen. Das sind Staaten, in denen nach Ansicht der deutschen Auslandsvertretungen amtliche Dokumente sowieso gefälscht sind oder wenigstens sein könnten. Die zuständigen Bundesländer führen entsprechende Listen (z. B.: http://www.inneres.sachsen-anhalt.de/min/r42/download/ persstandsrecht/erlass_231002.pdf) - wer von dort kommt, der hat Pech gehabt - oder eben den "freiwilligen" Gentest als letzten Ausweg am Hals.

Die erzwungen freiwilligen Gentests haben jetzt Eingang gefunden in den Paragraphen 17, Absatz 8 des Referentenentwurfs zum GenDG. Obwohl eigentlich verboten - Paragraph 17, Absatz 1 desselben Gesetzes verlangt zwingend die Einwilligung einer Person zu dessen genetischer Untersuchung-, gelingt dem Entwurf die Quadratur des Kreises und aus dem Verbot der Zwangsuntersuchung wird ein Gebot im Falle der Familienzusammenführung.

Der Trick ist eine Koppelung des GenDG mit dem Aufenthaltsgesetz, und zwar der dort niedergelegten "Mitwirkungspflicht" des § 82. Wenn eine Ausländerbehörde, bei der ein Familiennachzug beantragt wird, die vorgelegten Nachweise und Dokumente für nicht ausreichend hält, dann kann sie künftig ganz legal eine genetische Untersuchung fordern. So erläutert der Referentenentwurf in der offiziellen Begründung: "Da die Nachweisprobleme gemäß § 82 Abs. 1 AufenthG zu Lasten des Antragstellers gehen, ist ein Familiennachzug ohne eine genetische Abstammungsuntersuchung nicht möglich." Lässt sich die Familie nicht zu einer "freiwilligen" Genkontrolle erpressen, hat sie eben Pech gehabt mit ihrem Traum vom gemeinsamen Leben in Deutschland.

Dass Ausländern oder mit Ausländern verheirateten Deutschen im GenDG systematisch ein minderes Sonderrecht aufgezwungen wird, ergibt sich aus den weiteren Bestimmungen von § 17, Artikel 8, die mit "der Sache", also dem Familiennachzug, gar nichts mehr zu tun haben.

Dort wird festgelegt, dass jemand, der sich derart gezwungen freiwillig dem Gentest unterzieht, die Testergebnisse der Auslandsvertretung zu überlassen hat und den Abgleich mit dem Gentest des hiesigen Antragstellers der deutschen Ausländerbehörde. Auf die Verwendung des Gentests hat der Getestete also keinen Einfluss, er kann sie auch nicht vernichten lassen kann. Die Auswertung der Tests wird in jedem Falle der visumerteilenden Behörde gemeldet. Das Recht aller anderen Menschen, die sich genetisch untersuchen lassen, Herr über das Verfahren zu bleiben und z.B. die Ergebnisse vernichten (§ 11 des Gesetzes) zu lassen, wird ausdrücklich ausgehebelt [1].

Außerdem können die so erhobenen Gendaten den Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden - auch dies ein Bruch mit den sonstigen Bestimmungen des Gesetzes, die das nur unter eingeschränkten Bedingungen erlauben. § 17, Abs. 8 des Referentenentwurfs legt fest: für diejenigen, die sich um Familienzusammenführung bemühen, gilt das nicht: "Ergibt sich der Verdacht einer Straftat, dürfen das Ergebnis der genetischen Untersuchung und die genetische Probe zum Zwecke der Strafverfolgung übermittelt werden."

Das Ausländeramt Viersen hat noch vor Verabschiedung des Gesetzes gezeigt, dass wahrlich alle Dämme von Anstand und Menschenwürde brechen, wenn man davon überzeugt ist, dass Ausländer oder ihre Ehepartner nicht die Rechte zustehen wie jedem anderen "deutschen" Bürger. Die Ausländerbehörde will nämlich dem gemeinsamen Kind eines seit dem Jahre 2005 ordentlich verheirateten Paares Blut abzapfen lassen. Und dem Vater natürlich auch. Der ist Türke und durfte 2007, als sein Sohn in Deutschland geboren wurde, im Wege der Familienzusammenführung einreisen. Weil er sich aber nicht freiwillig einem Gentest unterziehen wollte - warum auch, er war ja als verheirateter Ehemann per Gesetz der Vater des Kindes - griff die Ausländerbehörde zum Strafrecht. Die Weigerung, sich gentesten zu lassen und damit die Aufklärung der Frage zu hintertreiben, ob hier eine Blut- oder nur eine Patchwork-Familie vorläge, lasse auf eine strafbewehrte Scheinehe schließen. Dem Kind jedenfalls sei Blut zu diesem Zwecke zu entnehmen, der Vater sei in die Türkei auszuweisen, wenn er sich weiterhin weigere.

Das ist so einfallsreich wie ehrlich in der rassistischen Grundhaltung: Ausländer lügen, um nach Deutschland zu gelangen und müssen zur Wahrheit gezwungen werden. Ob das Viersener Verfahren allerdings Schule machen kann, ist rechtsgültig noch nicht abschließend geklärt (http://www.vdj.de/index.php?id=45,275,0,0,1,0&hashlD=24133a6e34d03fdc2fe99celef701a5f).

Aber zu befürchten steht, dass der Rechtsstreit mit dem Rückenwind des vorgelegten Gendiagnostikgesetzes und der dort gepflegten Geisteshaltung im Sinne des Viersener Ausländeramtes abgeschlossen wird.


Albrecht Kieser ist Journalist im Rheinischen JonrnalistInnenbüro, Köln


Anmerkung
[1] Aus der Begründung des Referentenentwurfs: "Die genetischen Proben der Familienangehörigen, die das Visum benötigen, werden im Ausland genommen. Sofern den Auslandsvertretungen vor Ort Vertrauensärzte zur Verfügung stehen, führen diese die Probenentnahme durch und klären die Betroffenen auf. Im Übrigen arbeiten die Auslandsvertretungen mit dem örtlichen ärztlichen Personal zusammen. Die Abstammungsuntersuchung selbst wird in Deutschland vorgenommen. Das Ergebnis der Untersuchung wird dem Betroffenen und der Auslandsvertretung gleichzeitig mitgeteilt."


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 46 - Winter 2008/2009, Seite 35-36
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2009