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ASYL/583: Stellungnahme zur "Residenzpflicht" in Schleswig-Holstein (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 47 - Frühling 2009
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Erlass zur sog. "Residenzpflicht" in Schleswig-Holstein vom 31.3.2009
Stellungnahme des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein

Von Martin Link


Anlässlich des "Öffentlichen Hearings zur Situation von MigrantInnen in Schleswig-Holstein" am 29. Oktober 2008 im Kieler Landeshaus hatte die Bemerkung eines Behördenvertreters, einer Ausweitung des Geltungsbereichs der sog. "Residenzpflicht" stünde seitens des Innenministeriums grundsätzlich nichts entgegen, einige Erwartungen und nicht unerhebliche Hoffnungen geweckt.


Der inzwischen in Kraft getretene diesbezügliche Erlass "Räumliche Beschränkungen von Duldungen in Ausnahmefällen auf das Land Schleswig-Holstein" vom 31.3.2009 (www.frsh. de/behoe/erlass.html) wurde diesen Erwartungen leider nicht gerecht. Der Flüchtlingsrat nimmt wie folgt zu diesem Erlass Stellung:


Gelegenheit zu Weitherzigkeit verpasst

Der Erlass des Kieler Innenministeriums vom 31.3.2009 zur sog. "Residenzpflicht" verpasst die Gelegenheit zu einem von Weitherzigkeit getragenen administrativen Paradigmenwechsel, sondern versteckt sich hinter einer u.E. falsch verstandenen bundesgesetzlichen Intension, die sich darin genügt, alle Betroffenen gleich schlecht zu behandeln: "Vollziehbar Ausreisepflichtige sollen gegenüber Asylbewerbern nicht besser gestellt werden."

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein hingegen lehnt die sog. "Residenzpflicht" ohne Unterschiede zu machen grundsätzlich ab. Bundesweit gemachte Erfahrungen und auch die schleswigholsteinische Praxis lehren, dass sie im Ergebnis diskriminierend wirkt, die Betroffenen isoliert, Integration verhindert, die Gefahr administrativen Missbrauchs birgt, zu vielfältigen gesamtgesellschaftlichen Reibungsverlusten führt und eine unnötige zusätzliche Belastung der öffentlichen Hand bedingt.


Umkehr von Grundsatz und Ausnahme

Wir beklagen ausdrücklich die im Erlass vollzogene Umkehr von Grundsatz und Ausnahme:

Grundsätzlich ist gem. § 61.1, S.1 AufenthG die Beschränkung des Aufenthalts auf das Bundesland zu befolgen. Entsprechend sind Zuwiderhandlungen gegen kommunalen Kreis-/Stadt-beschränkten Aufenthalt weder als Ordnungswidrigkeit noch als Straftat sanktionierbar. Im weiteren räumt das Gesetz in begründeten Ausnahmefällen - wozu rein rechtlich die aktive Verweigerung der Mitwirkung an aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, nicht aber die Nichtbereitschaft zur freiwilligen Ausreise gehört - laut § 61.1 S.2 die Möglichkeit weiterer Auflagen ein. Der Erlass-Entwurf kehrt das so vom Gesetzgeber vorgegebene Prinzip mit der Ausweitung des Aufenthaltsbereichs nur im Falle des Wohlverhaltens um. In den Anwendungshinweisen zum Gesetz ist im übrigen von der Beschränkung der Wohnsitznahme auf einen Ort oder eine Unterkunft die Rede - nicht von der Einschränkung des Aufenthaltsbereichs.


Erzwingung von Mitwirkung

Die üblicherweise von den Ausländerbehörden vorgebrachten Begründungen für aufenthaltsbereichbeschränkende Restriktionen sind bei Ausreisepflichtigen nach aller Erfahrung von Beratungseinrichtungen und relevanten Verwaltungen ohnehin weder für die administrative Erzwingung von Mitwirkung noch zur Durchsetzung von Aufenthaltsbeendigungen zielführend. So ist bis dato noch niemals überzeugend dargelegt worden, inwieweit z.B. das "Untertauchen" eines ausreisepflichtigen Geduldeten durch die Kreis-/Stadtbeschränkten Aufenthalt verhindert werden könnte. Ebenso wenig erschließt sich u.E. auch mit Blick auf das Gebot der Verhältnismäßigkeit behördlicher Auflagen nicht, warum der der zuständigen Ausländerbehörde ggf. bekannte "faktische Aufenthalt"sort außerhalb des Kreises bzw. der kreisfreien Stadt für ausländeramtliche Korrespondenz oder im Falle Vorsprachebedarfs prinzipiell schlechter erreichbar sein soll oder in negativer Weise den "Zuständigkeitsbereich" der ABH berührt.


Martin Link ist Mitarbeiter beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.


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Dokumentation des Erlasses des Innenministeriums Schleswig-Holstein vom 31.3.2009:

Räumliche Beschränkungen von Duldungen in Ausnahmefällen auf das Land Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein sind Duldungen bisher generell auf den Kreis oder das Gebiet der kreisfreien Stadt beschränkt worden. Dies ist auch sachdienlich, weil die ausreisepflichtigen Personen für das Ausreiseverfahren, insbesondere für die Passersatzbeschaffung zur Verfügung stehen sollen. Da es sich bei den Ausreisepflichtigen zumeist um rechtskräftig abgelehnte Asylsuchende handelt, ist außerdem nicht nachvollziehbar, weshalb der Aufenthalt während des Asylverfahrens gesetzlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt wird (§ 56 Abs. 1 AsylVfG), nach Rechtskraft der negativen Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge dann aber auf das ganze Bundesland erweitert werden sollte (§ 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).

Die räumliche Beschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde stellt eine Auflage nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG dar. Hierzu wird auf die Begründung des Gesetzentwurfs zum Zuwanderungsgesetz der damaligen Bundesregierung vom 16. Januar 2003 (Drs.-Nr. 22/03) verwiesen:

"Daneben hat die Ausländerbehörde die Möglichkeit, weitere Auflagen und Bedingungen anzuordnen. Die Vorschrift dient darüber hinaus der Angleichung der aufenthaltsrechtlichen Folgen von vollziehbar Ausreisepflichtigen gegenüber Asylbewerbern. Vollziehbar Ausreisepflichtige sollen gegenüber Asylbewerbern nicht besser gestellt werden."

Die Praxis in Schleswig-Holstein, bei abgelehnten Asylbewerbern nach Eintritt der Ausreiseverpflichtung, die räumliche Beschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde fortgelten zu lassen, entspricht somit exakt den Intensionen des Gesetzgebers bei Schaffung des Zuwanderungsgesetzes. Da dies für alle Betroffenen zunächst in gleichem Maße gilt, handelt es sich dabei nicht um eine Sanktion. Dies korrespondiert auch mit § 56 Abs. 3 AsylVfG, wonach räumliche Beschränkungen aus dem Asylverfahren auch nach Erlöschen der Aufenthaltsgestattung in Kraft bleiben.

Die Ausländerbehörden können im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens in besonders gelagerten Fällen von der o.g. Regel abweichen. Insbesondere darf man nicht verkennen, dass in vielen Fällen über einen Zeitraum von mehreren Jahren eine Aufenthaltsbeendigung nicht möglich ist und die oder der Betroffene das Abschiebungshindernis nicht zu vertreten hat. Die Beschränkung auf das Kreisgebiet oder auf die kreisfreie Stadt wird dann unverhältnismäßig, zumal dadurch auch die Arbeitsplatzsuche außerhalb des Bereichs der Ausländerbehörde unnötig erschwert wird. Zur Entlastung öffentlicher Kassen ist es aber erforderlich, dass möglichst viele geduldete Personen ihren Lebensunterhalt selbst tragen. Außerdem darf man den Verwaltungsaufwand nicht außer Acht lassen, der durch die Ausstellung von Genehmigungen zum Verlassen des Bereichs der räumlichen Beschränkung entsteht.

In diesen Fällen sollte weiterhin möglichst frühzeitig ein Aufenthaltstitel nach dem 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes in Betracht gezogen werden, der dann volle Bewegungsfreiheit gewähren könnte. Ist die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nicht möglich, wird gebeten, zukünftig wie folgt zu verfahren:

Tritt die Vollziehbarkeit der Ausreiseverpflichtung ein und kann die Ausreise nicht sofort vollzogen werden, ist wie bisher eine Duldung, beschränkt auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde auszustellen, da zunächst festgestellt werden muss, ob der Ausländer bei der Aufenthaltsbeendigung kooperiert. Ist in absehbarer Zeit nicht mit einer Aufenthaltsbeendigung zu rechnen, soll denjenigen, die

• das Ausreisehindernis nicht selbst zu vertreten haben,

• keinen Leistungseinschränkungen nach § 1a Nr. 2 AsylbLG unterliegen

• und bei denen § 11 BeschVerfV keine Anwendung findet oder finden würde,

eine Duldung erteilt werden, die mit einer auf das Land Schleswig-Holstein erweiterten räumlichen Beschränkung versehen ist. Die Wohnsitznahme ist in diesen Fällen auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde zu beschränken.

Gleichzeitig soll die Abschiebung für mindestens 3 Monate ausgesetzt werden. Die Duldung kann im Einzelfall mit einer auflösenden Bedingung versehen werden. Der Ausländer ist dann auf die Bedeutung des Eintrags besonders hinzuweisen.

Treten nachträglich wesentliche relevante Umstände bezüglich der Aufenthaltsbeendigung ein, die der Ausländer zu vertreten hat (siehe oben), ist die Duldung wieder auf den Kreis bzw. auf die kreisfreie Stadt zu beschränken. Das gleiche gilt wenn die Erweiterung der räumlichen Beschränkung missbräuchlich genutzt wird, z.B. in dem der Wohnsitz faktisch außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Ausländerbehörde verlegt wird.

Weitere Erlasse des Landes Schleswig-Holstein online:
www.frsh.de/behoe/erlass.html


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 47 - Frühling 2009, Seite 14-15
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Oldenburger Str. 25, 24143 Kiel
Tel.: 0431/73 50 00, Fax: 0431/73 60 77
E-Mail: office@frsh.de
Internet: www.frsh.de
Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm

Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2009