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ASYL/646: Abschiebung von Roma - Verwaltungsakt oder Antiziganismus? (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 50 - Frühling 2010
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Verwaltungsakt oder Antiziganismus?

Die Abschiebung von Roma aus Deutschland am Beispiel von Einzelfällen.

Von Bastian Wrede


Bis zu 10.000 Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo sind in Deutschland momentan von Abschiebung in das Kosovo, nach Montenegro oder Serbien bedroht. Sie sollen gehen, nicht weil sie Roma sind, sondern weil sie als Flüchtlinge nur geduldet waren, solange man sie nicht zurückschicke konnte. Da die Republik Kosovo nun als sicher gilt und deren Regierung sich offiziell bereit erklärt hat, auch Roma-Flüchtlinge zurückzunehmen und zu "reintegrieren", sind die Roma zur Ausreise verpflichtet. Wenn sie nicht freiwillig ausreisen, dann erfolgt die Abschiebung.

Folgt man der Darstellung von Politik und Behörden, handelt es sich um gewöhnliche Verwaltungsakte. Betroffen davon seien sowieso nur diejenigen, die wegen schlechter Integration kein Bleiberecht nach der Altfallregelung bekommen hätten, zum Beispiel StraftäterInnen. Zusätzlich wird auf den Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte und den Schutz für besondere Einzelfälle durch die Härtefallkommissionen verwiesen.

Zwar wurden die Roma in Europa über Jahrhunderte diskriminiert, als "Zigeuner" im Nationalsozialismus zu Hunderttausenden verfolgt und ermordet. Diese Geschichte jedoch scheint für die aktuellen Verwaltungsbezüge vollkommen ohne Belang zu sein. Von "Zigeunern" spricht hier keiner mehr, und als "AntiziganistInnen" möchten weder die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörden noch die InnenministerInnen von Bund und Ländern erscheinen.

Ist die Rede vom Antiziganismus und der historischen Verantwortung der deutschen Gesellschaft für die Roma wirklich angebracht? Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, die Distanz zu verringern und von der Abschiebepolitik im Ganzen auf die Einzelfälle zu fokussieren. Dazu drei aktuelle Falldarstellungen:


Elvira G. aus Wolfenbüttel

Elvira G. ist in Deutschland aufgewachsen. Die heute 22-jährige alleinerziehende Mutter lebte 20 Jahre lang in Deutschland, bevor sie im Juni 2009 aus Wolfenbüttel abgeschoben wurde. Mit ihr abgeschoben wurden ihre damals drei- und vierjährigen Kinder Tuana und Djafer sowie Elviras ehemaliger Lebensgefährte, der Vater der beiden Kinder. Von letzterem hatte sich Elvira zwei Jahre zuvor getrennt, nachdem er sie mehrfach verprügelt und sogar mit einem Messer bedroht hatte. In Deutschland hatte sich Elvira G. auch mit gerichtlicher Hilfe wirkungsvoll gegen die Bedrohung zur Wehr setzen können.

Die gemeinsame Abschiebung setzte Elvira G. der Gefahr erneuter Gewaltanwendung durch ihren Ex-Freund aus, da Elvira im Kosovo keine Familie mehr hat, bei der sie Schutz suchen könnte. Im Kosovo suchte Elvira G. mit ihren Kindern Zuflucht in Pec und kam bei alten Bekannten ihrer Mutter in einer Roma-Siedlung unter. Dort konnte sie allerdings nur für wenige Tage bleiben, da die Familie keine drei zusätzlichen Personen ernähren konnte. Sie stand nun buchstäblich auf der Straße. Ohne Sozialhilfe oder medizinische Versorgung übernachtete sie mit ihren Kindern im Wald oder manchmal für ein oder zwei Tage bei fremden Leuten, die Mitleid mit ihnen hatten. Zweimal kamen fremde Männer zu ihr, geschickt von ihrem Ex-Freund, die ihr drohten, er werde sie umbringen, wenn sie nicht zu ihm zurückkomme.


Der "Abschiebeminister 2009" hat das letzte Wort

Der Fall erregte in den regionalen Medien einiges Aufsehen, und der Landkreis Wolfenbüttel, der die Abschiebung angeordnet hatte, erklärte sich schließlich bereit, Elvira G. nach Möglichkeit aus dem Kosovo nach Deutschland zurück zu holen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch bislang am Widerstand des niedersächsischen Innenministeriums. Innenminister Schünemann, nicht umsonst Träger der Auszeichnung "Abschiebeminister 2009", verteidigte in seiner Rede vor dem Niedersächsischen Landtag im August letzten Jahres die Abschiebung als "rechtmäßig und in keiner Weise zu beanstanden", für eine Wiedereinreise sehe er "rechtlich keine Möglichkeit".


Die gegenwärtige Situation

Inzwischen hat Elvira G. im Kosovo ein kleines, seit langem leer stehendes Haus gefunden, in dem sie nun mit ihren Kindern wohnt. Die Einrichtung besteht aus einem Ofen, für den sie sich nur selten Brennholz leisten kann, und einer dünnen Matratze. Eigentlich ist es mehr eine Ruine als ein richtiges Haus, aber nach Monaten im Freien ist das besser als gar nichts, zumal der Winter auch im Kosovo empfindlich kaltes Wetter mit sich bringt. In der halben Stunde, die ihr die Polizei damals in der Nacht der Abschiebung zum Packen gab, hatte Elvira ganz vergessen, Winterkleidung für die Kinder mitzunehmen. Der kleine Djafer leidet an chronischer Bronchitis, auch Tuana ist ständig erkältet. Zweimal schon war Elvira G. mit Djafer im örtlichen Krankenhaus, aber die Behandlung kostet Geld, und wer nichts hat wird weggeschickt. Geld bekommt die alleinerziehende Mutter im Kosovo aber nicht. Sozialhilfe gibt es nur, wenn die Kinder registriert sind, und dazu bräuchte sie die Unterschrift des Vaters. Selbst mit den 70 Euro Sozialhilfe, die sie maximal bekommen könnte, wären ihre Probleme nicht annähernd gelöst, denn es fehlt an allem - insbesondere an Brennholz, Kleidung, Medikamenten, Lebensmitteln. So bleibt sie auf die unregelmäßige Unterstützung aus Deutschland und auf Almosen ihrer Nachbarn angewiesen, auch der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat ihr Geld geschickt. Was Elvira G. bleibt ist die Hoffnung, dass man ihr irgendwann doch erlauben wird, nach Deutschland zurückzukommen, wo sie sich Zuhause fühlt, wo ihre Mutter und ihre Geschwister leben, und wo auch ihre Kinder eine Zukunft hätten.


Serdana B. aus dem Emsland

Serdana B. ist 16 Jahre alt. Sie wurde im September 2009 aus dem Landkreis Emsland in das Kosovo abgeschoben. Im April 2008 flüchtete sie ohne ihre Eltern aufgrund von geschlechtsspezifischer Verfolgung aus ihrer Heimat. Sie lebte in der Familie einer Stiefschwester ihrer Mutter, wo sie zum ersten Mal seit Jahren, vielleicht zum ersten Mal überhaupt, ein ruhiges und friedliches Leben kennenlernte. Im Juni 2009 feierte sie ihren sechzehnten Geburtstag - die erste richtige Geburtstagsfeier, an die sie sich erinnern konnte, denn im Kosovo lebte sie seit ihrer Kindheit in verschiedenen Flüchtlingslagern, immer unter ärmsten Bedingungen und immer nur auf Zeit.

Aber das Glück währte nur kurz, denn Serdanas Asylantrag wurde abgelehnt, nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil bei einer Anhörung nicht sie selbst, sondern nur ein Mitarbeiter des Jugendamts des Landkreis Emsland als gesetzlicher Vertreter erschien. Dieser erklärte vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), ohne überhaupt ein Wort mit Serdana B. über ihre Fluchtgründe gewechselt zu haben, Serdana sei nur gekommen, um in Deutschland zu heiraten.


Allein in das Kosovo

Am 28. September 2009 um 5.00 Uhr morgens erschien die Polizei bei den Pflegeeltern und brachte Serdana zum Flughafen nach Düsseldorf. Ein Eilantrag gegen die Abschiebung der unbegleiteten Minderjährigen blieb erfolglos, vor allem weil der Verfahrenspfleger sich weigerte, der von den Pflegeeltern beauftragten Rechtsanwältin eine Vollmacht zu erteilen. Auch der Hinweis darauf, dass Serdanas Eltern zwischenzeitlich nach Belgien geflüchtet seien und sie im Kosovo vollkommen allein wäre, konnte den Landkreis Emsland nicht umstimmen. Dort berief man sich auf einen veralteten Eintrag im kosovarischen Melderegister, um zu belegen, dass Serdanas Eltern sich dort aufhielten - eigene Nachforschungen hielt man nicht für notwendig.

Am Flughafen in Pristina wurde Serdana von einem eiligst informierten Bruder der Pflegemutter abgeholt, der mit seiner Familie in Subotica im Norden Serbiens lebt. Diese Familie kümmerte sich um Serdana, hatte aber kaum die finanziellen Mittel, um sie zu versorgen. Das Ehepaar hat selbst sechs minderjährige Kinder, der Stiefonkel hält seine Familie mit Gelegenheitsarbeiten, wie dem Sammeln und Verkaufen von Altmetall oder Brennholz über Wasser.


Rapide Verschlechterung der psychischen Situation

Die Abschiebung rief in Serdana Erinnerungen an traumatische Erlebnisse im Kosovo aus ihrer Vergangenheit wach, und ihre psychische Situation verschlechterte sich rapide. Sie lebte zurückgezogen und war kaum ansprechbar, hatte Alpträume und Depressionen. Zweimal versuchte sie, sich umzubringen. Mehrfach meldete sich der Bruder der Pflegemutter verzweifelt beim Flüchtlingsrat Niedersachsen und erklärte, er mache sich Sorgen um das Mädchen und könne für sie keine Verantwortung übernehmen.


Rückkehr nach Deutschland

Im Januar 2010 ergab sich eine Möglichkeit für Serdana B., auf illegalem Wege wieder nach Deutschland einzureisen. Allen Risiken zum Trotz entschloss sie sich sofort, diese Reise zu machen und zurück zu ihren Pflegeeltern zu fliehen.

Inzwischen ist Serdana wieder im Emsland angekommen. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat dafür gesorgt, dass sie zunächst einmal die Möglichkeit erhält, ihre traumatischen Erlebnisse in einer Psychotherapie aufzuarbeiten. Das BAMF hat bereits erklärt, dass ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wird. Es bleibt zu hoffen, dass Serdana sich mit der Unterstützung ihrer Pflegefamilie stabilisieren und über die Ereignisse der vergangenen Jahre im Kosovo reden kann. Dafür braucht sie vor allem Zeit. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen wird Serdana B. auch weiterhin unterstützen und darauf achten, dass sie ein faires Verfahren bekommt.


Elvis A. aus Fuldatal / Kassel

Der 27-jährige Elvis A. ist nach einer ersten Abschiebung in das Kosovo, ähnlich wie Serdana B., im Januar 2010 illegal wieder nach Deutschland gekommen. Er hatte allerdings weniger Glück und wurde bereits am 9. Februar 2010, nach einigen Wochen in Abschiebehaft, erneut nach Pristina abgeschoben. Durch die Abschiebung wurde er von seiner Frau Gjulijeta T. und seinen Söhnen Muhamed (1,5 Jahre) und Yassin (10 Monate) getrennt, die seit seiner ersten Abschiebung in Göttingen leben.

Elvis A. kam 1999 in der Folge des Kosovo-Krieges mit seinen Eltern nach Deutschland. Er war gut integriert und hatte eine Arbeitsstelle, die es ihm, Gjulijeta T. und den Kindern ermöglicht hätte, ohne Sozialhilfebezug zu leben. Im Gegensatz zu Gjulijeta T., die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG besaß, hatte Elvis A. allerdings nur eine Duldung. Für eine Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung war er knapp zwei Monate zu spät nach Deutschland eingereist. Spätestens mit ihrer geplanten Hochzeit würde aber auch Elvis eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Nach Roma-Tradition waren sie sowieso schon länger verheiratet. Nur die letzten Dokumente aus dem Kosovo fehlten noch zur formellen Hochzeit in einem deutschen Standesamt.


Plötzliche Abschiebung

Am 25. Mai 2009 stand spät abends plötzlich die Polizei vor der Tür. Als Elvis A. nicht sofort öffnete, wurde die Wohnungstür kurzerhand aufgebrochen, und die hereinstürmenden Polizisten führten Elvis A. vor den Augen seiner Frau und Kinder ab. Gjulijeta T. wurde mit Muhamed und dem knapp einen Monat alten Yassin noch in der Nacht auf die Straße gesetzt, da ihr Name nicht im Mietvertrag stand. Eine Nachbarin nahm sich der geschockten und hilflosen jungen Mutter an. Am nächsten Morgen wurde Elvis A. in den Kosovo abgeschoben. Drei Tage später kamen die letzten Papiere für die Hochzeit.


Im Kosovo: Entschluss zur Rückkehr nach Deutschland

Im Kosovo ging Elvis A. zuerst nach Gnjilane. Hier musste er feststellen, dass sein Elternhaus vollständig zerstört war. Er übernachtete einige Zeit bei einer anderen Roma-Familie im Ort. Albanische Nachbarn, die der Familie von Elvis A.s Kollaboration mit den Serben vorwarfen, erkannten Elvis und bedrohten ihn mehrfach. Später wurde er von albanischen Jugendlichen verprügelt und musste im Krankenhaus notdürftig versorgt werden. Für eine angemessene medizinische Behandlung reichte sein Geld nicht, und eine Krankenversicherung hatte er nicht, da er sich nicht als kosovarischer Staatsbürger registrieren konnte. Wegen der fehlenden Anmeldung wurde auch die Anzeige, die er bei der kosovarischen Polizei erstatten wollte, nicht aufgenommen. Stattdessen teilte man ihm dort mit, dass Roma im Kosovo nicht willkommen seien. Da es für Elvis A. im Kosovo auch nach einigen Monaten keinerlei Möglichkeiten gab, seinen Unterhalt zu sichern oder vor Angriffen geschützt zu werden, und Gjulijeta T. und seine Söhne auf ihn warteten, entschloss er sich, illegal nach Deutschland zurückzukehren.


Wieder in Deutschland: Sofortige Anordnung einer erneuten Abschiebung

Im Januar 2010 war Elvis A. wieder in Deutschland. Als er sich bei der Ausländerbehörde in Kassel anmeldete, wurde er sofort in Abschiebehaft genommen. Sowohl die Durchführung eines neuen Asylverfahrens als auch eine Petition beim Hessischen Landtag wurden binnen kürzester Zeit abgelehnt. Auch ein Eilverfahren beim Verwaltungsgericht Kassel konnte die Abschiebung nicht stoppen, da der Richter keinen rechtlichen Grund für einen Verbleib von Elvis A. in Deutschland sehen konnte. Ein fachärztliches Attest, das die Traumatisierung Gjulijeta T.s durch die Abschiebung belegte, erklärte er zum Gefälligkeitsgutachten, die Trennung der Kleinkinder von ihrem Vater wurde bagatellisiert. Es wurde entschieden, dass man es der jungen Familie zumuten könne, zu warten bis Elvis im Kosovo ein Visum zur Familienzusammenführung erhält. Dass Elvis A. als Abgeschobener einer Einreisesperre unterliegt, die erst dann befristet werden kann, wenn mehrere tausend Euro für die Erstattung der Abschiebungskosten bezahlt wurden, erwähnte der Richter nicht.

Am 9. Februar 2010 wurde Elvis A. mit einem Sammelabschiebungsflug aus Baden-Baden nach Pristina abgeschoben. Jetzt teilt er sich ein Zimmer mit einem Bekannten und dessen Frau in Serbien. Im Kosovo konnte er aus Angst vor Verfolgung nicht bleiben. Wie er in Serbien überleben soll, weiß er noch nicht. Sicher ist nur, dass er zurück zu seiner Familie nach Deutschland möchte.


Die Liste der Einzelschicksale ist lang

Die Liste der Einzelschicksale abgeschobener Roma ließe sich beliebig verlängern: Der 25-jährige Sead, der kein Bleiberecht erhielt, weil er dreimal in zehn Jahren die Residenzpflicht verletzt hatte; der 14-jährige Kujtim, der nach der Abschiebung versuchte, sich umzubringen; der 26-jährige Faruk, der schon seit 3,5 Jahren allein im Kosovo ist und seitdem seine Tochter nicht mehr gesehen hat ...

Alle Abgeschobenen berichten - wie auch UNHCR, der EU-Kommissar für Menschenrechte und unzählige Flüchtlings- und Hilfsorganisationen - von der Diskriminierung und Ausgrenzung der Roma im Kosovo, von Armut, Arbeitslosigkeit und Gewalt. Viele dieser Berichte sind der Bundesregierung, den Landesregierungen und den Planenden und Ausführenden der Abschiebungen bekannt. Dennoch gehen die Abschiebungen weiter.


Antiziganismus ohne AntiziganistInnen

Diese Ignoranz gegenüber dem Leiden der Menschen, gegenüber der qualitativen Besonderheit jedes einzelnen Schicksals und gegenüber der spezifischen Situation der Roma in Europa ist es, die das antiziganistische Moment in den Abschiebungen von Roma sichtbar macht. Die Roma werden nicht durch den Fingerzeig von AntiziganistInnen zu "Zigeuner" erklärt, sondern durch ihre Abschiebung in die Barackenlager und auf die Müllhalden des Balkans. Der Verwaltungsakt der Abschiebung identifiziert die Roma mit dem Bild von den "Zigeuner" und zwingt sie in eine Existenz, die dem Vorurteil entspricht. Einmal so gebrandmarkt, sehen sie sich im Kosovo, in Serbien oder Montenegro der direkten, alltäglichen antiziganistischen Diskriminierung durch die Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt.

Um zu funktionieren, benötigt der Antiziganismus keine hasserfüllten AntiziganistInnen, sondern die "Kälte des bürgerlichen Subjekts" (Adorno), die aus Menschen Gegenstände von Verwaltungsakten oder wirtschaftlichem Kalkül macht. Diese Gefühlskälte, mit der im Nationalsozialismus die Identifizierung, Verfolgung und Ermordung hunderttausender Roma als "Zigeuner" oder "Zigeuner-Mischlinge" organisiert und durchgeführt wurde, ist auch in den Schicksalen von Elvira G., Serdana B. und Elvis A. spürbar. Von ihr sind die zynischen Entscheidungen getragen, die Ehepaare trennen, weil ihre Ehe nicht anerkannt wird, Menschen aus ihrer Heimat verbannen, weil sie nicht nützlich genug sind und Roma zu einer Existenz als "ZigeunerIn" zwingen, nur weil es rechtlich möglich ist.

Die Abschiebung von Roma-Flüchtlingen aus dem Kosovo ist ein Verwaltungsakt und als solcher antiziganistischer Gewaltakt, da er Roma entwurzelt und heimatlos macht, sie einem Leben im Elend aussetzt und sie so als "ZigeunerInnen" identifiziert. Die Abschiebungen vollziehen sich als gewaltsame Deportationen, denen die Selektion nach wirtschaftlichen und kulturellen Kriterien vorausgeht. Die Empörung über solche Deportationen und der Kampf für ein bedingungsloses Bleiberecht für die Roma in Deutschland sind Ausdruck des zivilgesellschaftlichen Bewusstseins, dass es angesichts der historischen deutschen Verantwortung für die Verfolgung und Vernichtung der Roma unerträglich ist, tausende Roma behördlichen Schikanen, kulturellem Anpassungsdruck, täglicher Angst vor Deportation und letztlich einer Existenz im Elend auszusetzen.


Spendenaufruf: Für die Vorbereitung der Familienzusammenführung sammelt der Unterstützerkreis von Gjulijeta jetzt Spenden. Es wird u.a. Geld für die Erstattung der Abschiebungskosten, Reisekosten und die Eheschließung in Serbien benötigt. Spenden bitte an:

Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Konto 8402 306 - Postbank Hannover eG -
BLZ 250 100 30 - Zweck: Gjulijeta und Elvis


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 50 - Frühling 2010, Seite 30-34
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2010