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ASYL/699: Syrer nach Abschiebung gefoltert - Behörde besteht auf Zahlung der Abschiebekosten (Pro Asyl)


Pro Asyl - Pressemitteilung vom 26. Mai 2011

Syrer nach Abschiebung gefoltert
Ausländerbehörde Wiesbaden besteht dennoch auf Zahlung der Abschiebungskosten

PRO ASYL: Abgrund des Behördenzynismus


Ein 24-jähriger Syrer, der im September 2008 ausgewiesen und nach Syrien abgeschoben wurde, ist dort in der Folge inhaftiert und gefoltert worden. Nachdem ihm die erneute Flucht nach Deutschland gelang, hat dieses Faktum das Verwaltungsgericht Wiesbaden in einem Urteil vom 13. Januar 2011 festgestellt und weitere Abschiebungsversuche untersagt. Das Gericht war im Eilverfahren angerufen worden, da die Ausländerbehörde dem jungen Syrer gedroht hatte, ihn erneut abzuschieben. Der Behörde war bekannt, dass er nach der Abschiebung in Syrien inhaftiert worden war. Das Verwaltungsgericht hat auf vielen Seiten des Urteils Details der erlittenen Folter dargestellt und die entsprechenden Angaben des Gefolterten für glaubhaft gehalten.

Die Ausländerbehörde der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden zieht eine eigenwillige Konsequenz aus den katastrophalen Ereignissen: Sie hält es für angemessen, dass das Folteropfer die Kosten, die für seine zwangsweise Abschiebung entstanden sind, selbst zahlt. Gefordert werden mit bürokratischer Genauigkeit 5.347,81 Euro. "Ein Abgrund des behördlichen Zynismus", kritisiert PRO ASYL Referent Bernd Mesovic. Die Behördenlogik ist offenbar: Was gestern eine rechtmäßige Abschiebung gewesen ist, kann heute nicht Unrecht sein und umso weniger gratis. Die an der Abschiebung beteiligten Behörden haben offenbar selbst dazu beigetragen, dass sich das Folterrisiko für den Abgeschobenen drastisch erhöhte. Die Ausländerbehörde hatte nämlich dem syrischen Konsulat den Ausweisungsgrund - eine Straftat - zusammen mit der Beantragung des Passersatzpapieres mitgeteilt. Alle diese Unterlagen waren in einem verschlossenen Umschlag, den die mitfliegenden Begleitbeamten der Bundespolizei am Flughafen Damaskus direkt an syrische Grenzbeamte übergaben. Da der abgeschobene Syrer über den Inhalt des verschlossenen Umschlags zuvor nicht informiert gewesen war, hatte er angegeben, lediglich wegen illegalen Aufenthalts abgeschoben worden zu sein. Deshalb sei er von den syrischen Verhörbeamten als Lügner bezeichnet und während Verhör und Folter immer wieder nach der Straftat gefragt worden, die sich aus den Unterlagen ergab.



Zum Hintergrund:

Selbst bei rechtmäßigen Abschiebungen müssen sich die verantwortlichen Behörden und ggf. die Bundespolizei darum bemühen, die Risiken für Abgeschobene nicht noch zu erhöhen. Inhalte des Asylverfahrens und Angaben zu den persönlichen Lebensverhältnissen gehen die Behörden des Zielstaates in der Regel nichts an. Gerade im Fall Syriens sind die Risiken für Rückkehrer ohnehin beträchtlich. Immer wieder landen Abgeschobene über Tage und Wochen nach Ankunft in Damaskus in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt - mit einem erheblichen Folterrisiko im geheimdienstverseuchten Syrien.
PRO ASYL hat sich deshalb mit den Fakten zu dieser Abschiebung an das Auswärtige Amt gewendet und um Aufnahme des Falles in den Lagebericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage gebeten. Deutsche Behörden sollten zudem den Hinweis erhalten, alles zu unterlassen, was zusätzliche Risiken im Abschiebungsfall erhöhen könnte, fordert PRO ASYL. Die Organisation hält Syrien-Abschiebungen seit langem für völlig inakzeptabel.
Nach Monaten der Prüfung hat sich am 4. April 2011 das Hessische Innenministerium gegenüber PRO ASYL in einem Schreiben geäußert. Unmittelbar nach Bekanntwerden unseres Falles habe das Innenministerium gegenüber der für Syrien-Abschiebungen in Hessen zuständigen Zentralen Ausländerbehörde verfügt, dass sogar Hinweise an die deutsche Botschaft in Damaskus zu Verurteilungen und die Nennung der Strafhöhe zu unterlassen sind.
In Bezug auf den konkreten Einzelfall bestätigt das Hessische Innenministerium weitgehend die Darstellung des abgeschobenen Syrers. Der Umschlag mit den Passersatzpapieren sei durch einen Begleitbeamten der Bundespolizei in Anwesenheit des Abgeschobenen geöffnet und das Laissez-Passer an den Vertreter der syrischen Grenzbehörde übergeben worden. Für die Begleitkräfte der Bundespolizei sei mangels Übersetzung nicht ersichtlich gewesen, ob das Dokument Hinweise auf eine verbüßte Haftstrafe enthielt.
In anderen Worten: Behördenkommunikation der bis dahin üblichen Art führte dazu, dass die syrischen Behörden von deutscher Seite mehr Informationen als nötig erhielten, wovon der Abgeschobene nichts wusste. In den Augen der Syrer war der Abgeschobene ein Lügner, aus dem die Wahrheit mit Folter herausgeholt werden sollte.

Weitere Informationen zu Syrien:
http://www.proasyl.de/de/presse/detail/news/ruecknahmeabkommen_mit_syrien_beenden/


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Quelle:
Pro Asyl - Pressemitteilung vom 26. Mai 2011
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Internet: www.proasyl.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2011