Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

AUSSEN/499: Außenwissenschaftspolitik hat Konjunktur (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 125/September 2009
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Sanfte Macht und harte Interessen
Außenwissenschaftspolitik hat Konjunktur

Von Tim Flink und Ulrich Schreiterer


In seiner Funktion als Bundesaußenminister erklärte Frank-Walter Steinmeier 2009 zum "Jahr der Außenwissenschaftspolitik". Bei der groß angelegten internationalen Konferenz "Wissenswelten verbinden" stellte er zu Jahresbeginn im Auswärtigen Amt eine neue Initiative der Bundesregierung dazu vor. Das Politikfeld mit dem umständlichen und langweilig klingenden Namen führt gegenüber klassischen Gebieten internationaler Beziehungen wie Wirtschafts- und Sicherheitspolitik zwar noch immer ein Schattendasein. Doch das ändert sich gerade: Seit einigen Jahren haben alle reichen Industrieländer das Thema für sich entdeckt und verfolgen es mit ganz unterschiedlichen Zielen und Ressourcen.

Während sich die rasante Internationalisierung der Wissenschaft primär deren eigener Dynamik verdankt, treten in der bi- und multilateralen wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit und in der dieser übergeordneten Außenwissenschaftspolitik die einzelnen Staaten als Akteure mit jeweils eigenen strategischen Interessen auf den Plan.

Für die Entdeckung von Forschung und Technologie als ein Spielfeld internationaler Beziehungen sprechen mehrere Gründe. So beruht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hochentwickelter Industriestaaten immer stärker auf erfolgreichen Innovationen unter Nutzung von Forschungsergebnissen. Angesichts der zunehmenden globalen Konkurrenz um Wissensressourcen und um neue Märkte, die mit harten Bandagen ausgetragen wird, machen Wissenschaft und Technologie plötzlich außenpolitisch Karriere. Dabei geht es Deutschland und anderen reichen, hochindustrialisierten Staaten nicht allein um langfristige Ressourcensicherung. Vielmehr hoffen sie, die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit könne auch Brücken zu solchen Ländern und Kulturen schlagen, die ihnen politisch nicht gerade nahe stehen oder das capacity building in armen Regionen zum Beispiel von Afrika unterstützen. Knallharte Interessen an der weltweiten Nutzung wissenschaftlicher Talente und Potenziale, geostrategische Erwägungen und der Einsatz von "smart power" (Hillary Clinton) zur Entspannung internationaler und interkultureller Konflikte sind somit wesentliche Triebkräfte für die Außenwissenschaftspolitik.

Die neue Initiative der Bundesregierung knüpft an die "Konzertierte Aktion Internationales Marketing für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland" an. Programmatisch stützt sie sich auf die 2006 beschlossene "Hightech-Strategie" und die "Internationalisierungsstrategie" vom Februar 2008, die beide vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) verantwortet werden. Daher erhebt dieses Ressort - nicht unbedingt zur Freude des Auswärtigen Amts - einen Gestaltungsanspruch für die deutsche Wissenschaftsaußenpolitik. Ihm obliegt die Federführung für die interministerielle Abstimmung prioritärer Ziele und Strategien für wichtige Zielländer, und die meisten Wissenschaftsattachés in den deutschen Botschaften sind nicht etwa Karrierediplomaten, sondern entsandte Mitarbeiter des BMBF.

Wie und warum unterscheidet sich nun aber die Außenwissenschaftspolitik verschiedener Länder in ihren Ziele, Strategien, Instrumenten und Spezifika, und wie ist die von Deutschland darin einzuordnen? Diesen Fragen ging ein vom BMBF und Auswärtigen Amt gefördertes Projekt zwischen September 2008 und März 2009 nach. Es sollte nicht nur die allgemeine Strategie und policy von Deutschland mit der von Frankreich, Großbritannien, Japan, der Schweiz und den USA vergleichen, sondern insbesondere auch deren Auftritt in Zielregionen untersuchen, die alle für wichtig erachten: die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China, Südkorea und die USA selber. Die Recherchen umfassten neben der Analyse amtlicher Dokumente, politischer Verlautbarungen und einzelner Kooperationsprogramme vor allem Experteninterviews mit Vertretern von Ministerien und Wissenschaftsorganisationen in den Vergleichsländern und mit deren Wissenschaftsattachés in allen sechs Zielländern.

Im Ergebnis zeigten sich in der Außenwissenschaftspolitik der sechs untersuchten Länder viele Übereinstimmungen, aber auch überraschende Unterschiede in den Zielen und in der Vorgehensweise. Differenzen in der Form und im Ton resultieren meist aus den innenpolitischen Agenden der jeweiligen Regierung, aus nationalen Politikstilen und politischen Entscheidungsstrukturen. Wegen ihrer engen Verzahnung mit den Strukturen des politischen Systems und mit dessen kommunikativen Gepflogenheiten wird die Außenwissenschaftspolitik überall anfällig für wechselnde politische Konjunkturen und Präferenzen.

Frankreich verfügt zwar über das mit Abstand größte Netzwerk von Wissenschaftsdiplomaten und üppig dotierte Förderprogramme. Aber ähnlich wie Deutschland ist es gerade erst dabei, seine Außenwissenschaftspolitik neu auszurichten. Die anderen vier Staaten haben das schon getan und experimentieren seit einigen Jahren mit neuen Herangehensweisen und Instrumenten.

Großbritannien spielte den Vorreiter. Unter der "Agenda for Global Change" der Regierung von Tony Blair baute das Foreign Office zwischen 2001 und 2006 ein weltweites "Science and Innovation Network" auf, das Anliegen des Klimawandels und der Pandemie-Prophylaxe propagieren, zugleich aber auch hochwertige Produkte britischer Unternehmen vermarkten sollte.

Der Bundesrat der Schweiz definierte in seiner "Botschaft" für "Bildung, Forschung und Innovation 2008-2011" thematische Prioritäten und regionale Schwerpunkte für die Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der EU und der USA und unterlegte diese gleich auch mit verbindlichen Budgets.

Der japanische Wissenschaftsrat präsentierte im Mai 2008 eine viel beachtete Denkschrift zur Stärkung der "Science and Technology Diplomacy".

Das National Science Board, oberstes wissenschaftspolitisches Beratungsgremium der USA, hatte bereits zwei Monate zuvor in einem Memorandum gefordert, "International Science and Engineering Partnerships" müssten eine Priorität der US-Außenpolitik werden. Flankenschutz für diesen Vorstoß kam von der American Academy for the Advancement of Science. Im April 2008 richtete sie in ihrem Hauptquartier in Washington D.C. ein neues "Center for Science Diplomacy" ein, das enge Verbindungen zum amerikanischen Außenministerium pflegt.

Dass Außenwissenschaftspolitik Konjunktur hat, steht außer Zweifel. Aber was genau verbirgt sich hinter diesem schwammigen Begriff, und was tun die einzelnen Länder, um ihre Interessen auf diesem Feld zur Geltung zu bringen? Die Palette der behandelten Themen ist sehr breit. Für den Wunsch nach verbesserten bilateralen Beziehungen ist dort genauso Platz wie für globale Armuts- und Seuchenprävention. Entwicklungs- und sicherheitspolitische Anliegen wie die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen gehen Hand in Hand mit Interessen an einer weltweiten Vermarktung von Atommeilern oder hochwertigen Rüstungsgütern. Überall durchkreuzen und verquicken sich "weiche" und "harte" Anliegen, politische und wirtschaftliche Interessen, in der Forschung nicht minder als in der Technologiepolitik. Selbstverständlich teilen nicht alle Länder alle Ziele. Sie setzen in einzelnen Regionen jeweils unterschiedliche Akzente und präferieren jeweils verschiedene Mittel. Ein Standardmodell für die Außenwissenschaftspolitik gibt es also nicht. Ihre Themen sind bunt gemischt, ihre Instrumente vielfältig. Fast scheint es, als gelte das Motto "Alles ist möglich".

Nationale Idiosynkrasien kommen bis hinein in die Instrumentarien zur Geltung. Doch wer zum Beispiel erwarten würde, die Außenwissenschaftspolitik Frankreichs und Japans mit ihrer langen Tradition zentralstaatlicher Koordination und Intervention in der Forschungs- und Technologiepolitik sei straff hierarchisch organisiert und wie aus einem Guss, sieht sich getäuscht. Zwar definiert Japan seine strategischen Ziele genau so, wie man es erwarten würde - von der Spitze aus. Doch zugleich unterhalten seine Forschungsund Wissenschaftsorganisationen, genau wie d ie Frankreichs, auffallend viele Repräsentanzen im Ausland. Teilweise sind sie selbstständig, teilweise in die Botschaften eingebunden, wo die Vertreter der Organisationen dann in Personalunion als Wissenschaftsattachés amtieren. Welches Ministerium für welches Vorhaben verantwortlich zeichnet, ist weder in Japan noch in Frankreich ausgemacht, sondern wird stattdessen vor Ort im Einzelfall ausgehandelt. Von Transparenz und klarer Kommandokette in beiden Ländern keine Spur.

Auf der anderen Seite des Typen-Spektrums stehen die USA. Trotz eines eindeutigen Primats sicherheitspolitischer und geostrategischer Anliegen reicht ihre Außenwissenschaftspolitik weit darüber hinaus. Programme, operative Verantwortlichkeiten und Ressourcenseinsatz handhabt die zuständige Abteilung des Außenministeriums von Zielland zu Zielland und je nach Thema unterschiedlich, wobei bi- oder gar multilateral getragene Forschungsprogramme interessanterweise so gut wie gar keine Rolle spielen. Darin kommt zum Ausdruck, dass es in den USA kein Wissenschafts- oder Forschungsministerium gibt und die Kompetenzen in der Wissenschafts- und Technologiepolitik stark zersplittert sind. Mit der notorischen Vielstimmigkeit geht ein gelassen-pragmatischer Umgang mit Herausforderungen und Problemen einher, der nicht nach Direktiven oder Regularien fragt und ein nur schwer durchschaubares, aber durchaus effektives und erfolgreiches Durchlavieren ermöglicht. Dazu gehört, dass Wissenschaftsorganisationen wie die National Science Foundation viel daran setzen, um die besten Wissenschaftler aus aller Welt in die USA zu locken.

Großbritannien, die Schweiz und Deutschland nehmen mit ihrer jeweils charakteristischen Mischung aus zentraler Koodination und Einbindung dezentraler Akteure eine Mittelstellung in diesem Typen-Tableau ein. Was das britische Beispiel besonders interessant macht, ist die Tatsache, dass das "Science and Innovation Network" nicht hielt, was man sich davon versprochen hatte. Schon lange vor seiner Reorganisation unter dem Dach des neuen Ministeriums für "Business, Innovation and Skills" im Jahr 2009 war deutlich geworden, dass sich Universitäten und die Research Councils, das britische Pendant zur Deutschen Forschungsgemeinschaft, von ihm weder vertreten noch gut bedient fühlten und ihre Interessen im Ausland daher lieber selber wahrnehmen wollten.

Die Schweiz hat versucht, solche schwierigen Gemengelagen von Interessen und Zuständigkeiten zu vermeiden und der Wissenschaft von Anfang an eine eigene Rolle und Stimme in ihrer Außenwissenschaftspolitik zu geben. Projekte im Rahmen der von der Regierung ausgehandelten bilateralen Kooperationsprogramme werden vom Nationalfonds begutachtet und von einer Hochschule als Projektträger betreut. Das Standortmarketing und die Anbahnung wissenschaftlich-technischer Kooperationen besorgt SWISSNEX, ein neues Format von Wissenschaftshäusern, die in Public-Private Partnership getragen werden, Themen sondieren und Netzwerke potenzieller Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik in der Schweiz wie im Zielland knüpfen sollen.

Wo und wie die deutsche Außenwissenschaftspolitik ihre thematischen und geographischen Prioritäten setzen wird, steht noch nicht ganz fest. BMBF und Auswärtiges Amt wollen dafür die Vorgaben der High-Tech- und Internationalisierungsstrategie durchdeklinieren und Umsetzungsszenarien ausarbeiten. Zu klären sind nicht nur die Kompetenzen der beiden Häuser, sondern auch die Instrumente und Anreize der deutschen Außenwissenschaftspolitik sowie die Rolle, die den Wissenschafts- und Forschungsorganisationen darin zukommen soll. Der Blick über den nationalen Tellerrand legt zweierlei nahe: Außenwissenschaftspolitik braucht ein "Markenzeichen" und einen klaren inhaltlichen Fokus. Für Erfolge in diesem diffusen Feld ist es unerlässlich, auf Win-win-Konstellationen für Politik, Wissenschaft und Wirtschaft hinzuarbeiten. Wissenschaft für außenpolitische Ziele einzuspannen, die nicht auch ihren eigenen Interessen dienen, funktioniert nicht. Wissenschaftliche Kooperation und deren intendierte Nebeneffekte lassen sich nicht herbeiwünschen. Mit der Unterzeichnung staatlicher Abkommen ist es nicht getan. Die Politik kann nicht allein über den Kurs des Schiffes bestimmen und die Wissenschaft in dessen Rumpf Kohle schippen lassen. Doch letztlich hängt alles davon ab, was Außenwissenschaftspolitik heißt und zu welchem Ende man sie betreibt: Soll Außenpolitik der Wissenschaft helfen oder die Wissenschaft außenpolitische Ziele unterstützen? Je nachdem, ob es um Standortmarketing, Krisenprävention, um die Sicherung von Ressourcen oder nachhaltiger wissenschaftlicher Zusammenarbeit geht, wird sie sich anderer Mittel und Partner bedienen müssen.


Ulrich Schreiterer, geboren 1953, studierte Soziologie, Geschichte und Literaturwissenschaft in Marburg, Bielefeld und an der London School of Economics. Nach diversen Tätigkeiten im deutschen Hochschul- und Wissenschaftsmanagement, unter anderem im Wissenschaftsrat und bei der Bertelsmann Stiftung, arbeitet er seit Juli 2008 am WZB im Bereich der Präsidentin zur Evaluationsforschung und ist zugleich assoziiertes Mitglied der Forschungsgruppe "Wissenschaftspolitik". Zuvor war er fünf Jahre lang Senior Research Scholar an der Yale University und lehrte als Lecturer im dortigen Department of Sociology.
uli.schreiterer@wzb.eu

Tim Flink ist Politikwissenschaftler in der WZB-Forschungsgruppe "Wissenschaftspolitik" und beschäftigt sich vor allem mit europäischer Forschungs- und Technologiepolitik und Fragen des Wissenstransfers. Zuvor war er am Manchester Institute of Innovation Research (UK) und als persönlicher Referent des Direktoriums in der Koordinierungsstelle EG der Wissenschaftsorganisationen (Brüssel), einer Sondereinrichtung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, beschäftigt.
flink@wzb.eu


Literatur

Georg Schütte (Hg.), Wettlauf ums Wissen. Außenwissenschaftspolitik im Zeitalter der Wissensrevolution, Berlin, Berlin University Press 2008, 254 S.

Eugene B. Skolnikoff, Science, Technology, and the Evolution of International Politics, Princeton, NJ: Princeton University Press 1993, 340 S.

Carolin S. Wagner, "The Elusive Partnership: Science and Foreign Policy", in: Science and Public Policy, Vol. 29, No. 6, 2002, S. 409-417

Charles Weiss, "Science, Technology and International Relations", in: Technology in Society, Vol. 27, 2005, S. 295-313

Websites

AAAS Center for Science Diplomacy: http://diplomacy.aaas.org

Auswärtiges Amt, Initiative "Wissenswelten verbinden":
www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/KulturDialog/ Aussenwissenschaftsinitiative2009/UebersichtAWP.html


*


Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 125, September 2009, Seite 27 - 29
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
Tel.: 030/25 49 10, Fax: 030/25 49 16 84
Internet: http://www.wzb.eu

Die WZB-Mitteilungen erscheinen viermal im Jahr
(März, Juni, September, Dezember)
Bezug gemäß § 63, Abs. 3, Satz 2 BHO kostenlos


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2009