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AUSSEN/628: Die Berliner Reparationsverweigerung - Teil 2 (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 23. September 2021
german-foreign-policy.com

Die Berliner Reparationsverweigerung (II)

Proteste in Namibia verhindern Ratifizierung eines Berliner Versuchs, Entschädigungsforderungen für den Genozid an den Herero und Nama billig abzuwehren. Weitere Staaten bestehen auf Reparationen.


BERLIN/WINDHOEK/WARSCHAU/ATHEN - Heftige Proteste haben in Namibia den Versuch der Bundesregierung vorläufig gestoppt, die Forderung nach angemessenen Entschädigungen für den Genozid an den Herero und Nama auszuhebeln. Berlin hatte sich mit der Regierung in Windhoek auf ein vorgebliches Versöhnungsabkommen geeinigt, das den Genozid lediglich politisch, nicht aber juristisch anerkennt und daher keine förmlichen Reparationen, sondern nur freiwillige Zahlungen im Wert der bisherigen deutschen Entwicklungshilfe vorsieht. Bedeutende Organisationen der Herero und Nama weisen es zurück und haben am Dienstag seine Ratifizierung im namibischen Parlament verhindert. Unterdessen halten weitere Staaten ihre Forderungen nach Entschädigung für deutsche Kolonial- und Weltkriegsverbrechen aufrecht, so zumindest zeitweise Tansania, vor allem aber Polen und Griechenland. Die Reparationsschuld der Bundesrepublik gegenüber Warschau wird auf 850 Milliarden Euro, diejenige gegenüber Athen wird auf 288 Milliarden Euro geschätzt. Athen hat zuletzt anlässlich des 80. Jahrestags des deutschen Überfalls Verhandlungen angemahnt - vergebens.

Hilfsgelder statt Entschädigung

Das sogenannte Versöhnungsabkommen mit Namibia, das am 15. Mai nach sechs Jahre währenden Geheimverhandlungen zwischen Berlin und Windhoek paraphiert worden war, sieht keine rechtliche, sondern lediglich eine "politisch-historische" Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama in den Jahren von 1904 bis 1908 vor. Zwar ist die Bundesregierung, wie Außenminister Heiko Maas am 28. Mai bestätigte, bereit, die damaligen "Ereignisse" nun "auch offiziell als das [zu] bezeichnen, was sie aus heutiger Perspektive waren" - als "Völkermord".[1] Zugleich aber beharrt das Auswärtige Amt darauf, juristisch könne der Massenmord an bis zu 65.000 Herero und mindestens 10.000 Nama nicht als Genozid eingestuft werden, da die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, die erstmals Genozid als Straftat definiert, erst 1948 unterzeichnet worden und erst 1951 in Kraft getreten sei; man könne sie keinesfalls rückwirkend anwenden. Entsprechend bietet auch das "Versöhnungsabkommen" Namibia keinerlei reguläre Entschädigung, sondern lediglich eine freiwillige Zahlung an. Sie soll sich auf 1,1 Milliarden Euro verteilt auf die nächsten 30 Jahre belaufen; das ist ungefähr der Betrag, den die Bundesrepublik Windhoek während der vergangenen 30 Jahre als Entwicklungshilfe gezahlt hat.

Proteste

Während die Regierung in Windhoek und ihr nahestehende Herero und Nama sich zuletzt darauf eingelassen haben - Namibia benötigt dringend Geld, umso mehr in der Coronakrise -, wehren sich einflussreiche Organisationen der Opfernachkommen seit Jahren dagegen, von Deutschland billig abgespeist zu werden. Sie haben in den vergangenen Jahren mit Prozessen vor US-Gerichten die Bundesrepublik zur Zahlung von Entschädigungen zu verpflichten versucht, sind damit allerdings gescheitert. Berlin hatte allerlei Tricks angewandt, um sich den Verfahren zu entziehen (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Da die strikt auf dem Recht auf eine förmliche Entschädigung bestehenden Herero und Nama von den Geheimverhandlungen über das "Versöhnungsabkommen" ausgeschlossen waren, blieb ihnen nichts anderes als offener Protest. Diesen setzen sie auch jetzt fort, da die Vereinbarung vom Parlament in Windhoek ratifiziert werden soll. Die Ratifizierung war ursprünglich für Juni vorgesehen, wurde dann aber verschoben - offiziell wegen der Covid-19-Pandemie. Am Dienstag stand sie erneut zur Debatte, wurde allerdings zum zweiten Mal vertagt: Einige hundert Demonstranten protestierten vor dem Parlament; mehrere von ihnen drangen in das Gebäude ein. Die Ratifizierung musste verschoben werden.[3] Die Entschädigungsfrage bleibt in Namibia damit auch formal offen.

Erfolgreich abgeblockt

Entschädigungsforderungen flackern auch in Tansania immer wieder auf. So erklärte etwa Anfang 2017 der damalige tansanische Verteidigungsminister Hussein Mwinyi, die Regierung seines Landes bereite eine offizielle Aufforderung an die Bundesregierung vor, endlich Entschädigungen für die Verbrechen im Kolonialkrieg in Deutsch-Ostafrika von 1905 bis 1907 ("Maji-Maji-Krieg") zu zahlen. Der Krieg kostete wohl 180.000, vielleicht sogar noch deutlich mehr Menschen im heutigen Tansania das Leben. Berlin gelang es zunächst, die Forderungen abzuwehren: Bereits im Frühjahr 2018 ließ sich Außenminister Heiko Maas von seinem tansanischen Amtskollegen bei seinem Besuch in dem ostafrikanischen Land bestätigen, Entschädigungen seien "kein Thema, das die [dortige] Regierung aufgegriffen hat". Maas sagte im Gegenzug etwa die Restaurierung kolonialer Prachtbauten aus der deutschen Kolonialzeit zu (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Dauerhaft erfolgreich war das deutsche Bestreben, Entschädigungsforderungen bereits im Keim zu ersticken, allerdings nicht: Anfang 2020 rief Tansanias Botschafter in Deutschland, Abdallah Possi, die Bundesregierung erneut auf, über "Reparationen zu verhandeln".[5] Berlin blockte die Forderung freilich wie gewohnt ab.[5]

Bis heute nicht beglichen

Ebenfalls noch offen sind Entschädigungen für deutsche Kriegsverbrechen und -zerstörungen im Zweiten Weltkrieg in Polen. Dort verfolgte das Deutsche Reich eine Besatzungspolitik, die der Vorbereitung und Durchführung des Holocaust diente, die daneben aber auch, wie der Historiker Stefan Garstecki formuliert, einen "genozidalen Charakter ... gegenüber den ethnischen Polen" aufwies.[6] Bis zu sechs Millionen Polen kamen zu Tode, darunter rund drei Millionen jüdischen Glaubens, die zum großen Teil in den deutschen Vernichtungslagern ermordet wurden; auch die materiellen Zerstörungen waren enorm. Warschau fordert dafür bereits seit geraumer Zeit Entschädigung und hat den Betrag von einer Parlamentskommission feststellen lassen; er beläuft sich laut Berichten auf annähernd 850 Milliarden Euro.[7] Polnische Politiker bekräftigen immer wieder, man halte an der Forderung fest; zuletzt konstatierte der stellvertretende polnische Außenminister Szymon Szynkowski vel Sek, Deutschland habe die vom NS-Reich "im Zweiten Weltkrieg angerichteten Schäden [bis heute] nicht beglichen".[8] Berlin weist Polens Forderung, endlich Entschädigungen zu zahlen, seit je mit großer Konsequenz zurück (german-foreign-policy.com berichtete [9]).

Bleibende Forderungen

Dasselbe tut es gegenüber Griechenland. Athen fordert seit je, die Bundesrepublik müsse für die immensen Schäden zahlen, die das Deutsche Reich vom Zeitpunkt seines Überfalls am 6. April 1941 bis zum Abzug der Wehrmacht im Jahr 1944 angerichtet hatte.[10] Eine griechische Parlamentskommission kam im August 2016 zu dem Ergebnis, die deutsche Reparationsschuld gegenüber Griechenland belaufe sich heute auf umgerechnet 288 Milliarden Euro. Im Juni 2019 forderte die griechische Regierung zu Verhandlungen über Entschädigungszahlungen auf - und scheiterte damit: Berlin lehnte das Anliegen im Oktober 2019 rundheraus ab. Auch eine diplomatische Note vom Januar 2020 führte zu nichts. Zuletzt bestätigte Athen kurz vor dem 80. Jahrestag des deutschen Überfalls Anfang April dieses Jahres, es halte an seinem Anliegen fest: "Die Frage bleibt offen bis zur Erfüllung unserer Forderungen", erklärte ein Sprecher des griechischen Außenministeriums. "Diese Forderungen sind gültig und aktiv und sie werden mit jedem Mittel geltend gemacht."[11] Mit Blick auf die deutsche Praxis, Forderungen einfach auszusitzen, fügte der Sprecher schließlich noch hinzu: "Verhandlungen würden sehr positiv zur weiteren Förderung der griechisch-deutschen Beziehungen beitragen." Geschehen ist seitdem nichts.


Mehr zum Thema:

Schweigegeld statt Entschädigung,
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8600/
Achthundert Milliarden
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8339/
und Reparationsabwehr aus der Trickkiste.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7959/


Anmerkungen:

[1] Außenminister Maas zum Abschluss der Verhandlungen mit Namibia. auswaertiges-amt.de 28.05.2021.

[2] S. dazu Annahme verweigert
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7503/
und Schweigegeld statt Entschädigung.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8600/

[3] Cai Nebe, Sakeus Iileka: Namibia vertagt Abstimmung über deutsche Entschädigungen erneut. dw.com 21.09.2021.

[4] S. dazu Auf dem Weg zum Vernichtungskrieg (I)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7246/
und Meilensteine deutscher Erinnerung.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7599/

[5] Antonio Cascais: Germany's colonial past catches up with it. dw.com 30.08.2020.

[6] Stefan Garsztecki: Deutsche Kriegsreparationen an Polen? Hintergründe und Einschätzungen eines nicht nur innerpolnischen Streites. In: Polen-Analysen Nr. 227, 27.11.2018. S. 2-7.
S. auch Die Berliner Reparationsverweigerung.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8034/

[7] Sven Felix Kellerhoff: Warum in Polen jetzt 850 Milliarden von Deutschland gefordert werden. welt.de 20.08.2019.

8] Nach Steinmeier-Äußerung: Polens Regierung will neue Debatte um Reparationen. rnd.de 11.02.2021.

[9] S. dazu Die Berliner Reparationsverweigerung.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8034/

[10] S. dazu Reparationsabwehr aus der Trickkiste.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7959/

[11] Griechenland besteht auf Reparationen für Zweiten Weltkrieg. tagesspiegel.de 05.04.2021.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 5. Oktober 2021

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