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DISKURS/101: Die Demokratie steht bei den Bürgern auch heute noch hoch im Kurs (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 139/März 2013
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Von wegen Krise: Die Demokratie steht bei den Bürgern auch heute noch hoch im Kurs

von Bernhard Weßels



Kurz gefasst: Demokratien brauchen die Anerkennung durch ihre Bürger, doch sei diese im Schwinden begriffen, heißt es oft. Die Empirie liefert hingegen keine Belege dafür, dass die Legitimität der Demokratie in den vergangenen Jahrzehnten generell abgenommen hat. Als politische Ordnung steht die Demokratie bei den Bürgern weiterhin hoch im Kurs. Außerdem lässt sich ein interessanter Zusammenhang beobachten: Je besser die objektive Qualität der Demokratie eines Landes ist, desto zufriedener sind die Bürger auch mit deren Funktionieren.


Sir Winston Churchill hat in einer Rede vor dem britischen Unterhaus im November 1947 angemerkt, die Demokratie sei die schlechteste Regierungsform mit Ausnahme all der Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert würden. Die aktuellen Debatten über die Krise der Demokratie legen nahe, dass die Legitimität zumindest der repräsentativen Demokratie schwindet - in diesem Sinne scheint Churchill mit seiner Aussage, die Demokratie sei das kleinste Übel, recht zu behalten. Dass eine politische Ordnung ihre Anerkennungswürdigkeit unter Beweis stellen muss, wenn sie dauerhaften Bestand haben will, hat schon der Soziologe Max Weber konstatiert: "Keine Herrschaft begnügt sich, nach aller Erfahrung, freiwillig mit den nur materiellen oder nur affektuellen oder nur wertrationalen Motiven als Chancen ihres Fortbestandes. Jede sucht vielmehr den Glauben an ihre 'Legitimität' zu erwecken und zu pflegen." Wie aber steht es um die Legitimität der Demokratie? Sind Anzeichen ihrer Erosion tatsächlich zu verzeichnen?

Eines der komplizierten Probleme der Sozialwissenschaften ist es, Legitimität sowohl konzeptionell als auch empirisch zu fassen. Wohl die beste Annäherung bietet die politische Kulturforschung mit ihrem Konzept zur politischen Unterstützung. Dieses aus der Systemtheorie des amerikanischen Politikwissenschaftlers David Easton entliehene Konzept des political support mag den komplexen Tatbestand von Legitimität und Legitimitätsglaube nicht vollständig erfassen, hat aber gegenüber impressionistischen Gesellschaftsbeobachtungen den Vorteil, tatsächlich bei denjenigen bestimmt zu werden, die eine Ordnung anerkennen sollen - den Bürgern. Ein zweites Problem stellt sich mit der Frage, was als legitim anerkannt werden muss: Ist es die politische Ordnung als solche, also Demokratie als Form des Regierens, oder geht es um die Legitimität einer - wie Max Weber es ausdrücken würde - Herrschaft? Geht es also um die grundsätzliche Anerkennung der Demokratie und ihrer Prinzipien als Ordnungsform oder um das konkrete Funktionieren einer Demokratie?

Churchill vermerkte in seiner oben angesprochenen Rede auch, in Großbritannien bestehe kein Zweifel daran, dass das Volk regieren solle. Die öffentliche Meinung und das gesellschaftliche Interesse, mit verfassungsrechtlichen Mitteln zum Ausdruck gebracht, solle das Handeln der Minister formen, leiten und kontrollieren - Minister seien Diener und nicht Herren des Volkes. Damit sprach er die Anerkennungswürdigkeit der Demokratie als politische Ordnungsform an und mutmaßte, wie das britische Volk der Demokratie gegenüberstehe. Die Annahme, dass Demokratie als Ordnungsform von den Bürgern anerkannt und damit eine legitime Ordnung sei, trifft auch heute für alle entwickelten Industriegesellschaften zu. Repräsentative Umfragen belegen das: Die Aussage "Die Demokratie ist die beste Staatsform" erhält regelmäßig eine hohe Zustimmung unter den Befragten, so dass an der Anerkennung und damit der Legitimität der Demokratie als politischer Ordnung nicht zu zweifeln ist. Ähnliches gilt, wenn die Bürger konkret danach gefragt werden, ob es für das eigene Land gut oder schlecht sei, ein demokratisches politisches System zu haben. Der Mittelwert für die älteren liberalen Demokratien liegt bei 92 Prozent positiver Antworten und bei 89 Prozent für die jüngeren Demokratien in Mittel- und Osteuropa sowie Asien.

Weniger eindeutig verhält es sich mit der Antwort auf die Frage nach dem Funktionieren der jeweiligen Demokratie. Die Debatte in der Politikwissenschaft darüber, ob die Zufriedenheit der Bürger mit dem Funktionieren der Demokratie abnimmt und damit Legitimitätsprobleme der Demokratie zunehmen, ist in vollem Gange. Kern der Debatte ist zum einen die Frage, wie welche Befunde zu beurteilen sind. Übereinstimmend wird von zwei zentralen Protagonisten der Debatte, dem amerikanischen Politikwissenschaftler Russell J. Dalton und der britischen Politikwissenschaftlerin Pippa Norris konstatiert, dass das Vertrauen in die politischen Eliten und Institutionen in einigen Ländern im Schwinden begriffen ist. Während Dalton darin ein Legitimationsproblem sieht, lehnt Pippa Norris eine solche Generalisierung ab. Die Entwicklungen in den demokratischen Ländern seien zu unterschiedlich und generelle Trends nicht zu erkennen, lautet ihr Argument.

Zum anderen spielt in der Diskussion auch eine Rolle, welche Zeiträume sinnvollerweise untersucht werden. Werden sehr lange Zeitreihen betrachtet, zum Beispiel für die USA von Mitte der 1960er Jahre an bis heute, ist eine deutliche Abnahme des Vertrauens in zentrale Institutionen wie den amerikanischen Kongress oder die Exekutive zu beobachten. Allerdings schwand das Vertrauen in die Institutionen nach 1980 nicht weiter. Wird also der Verlauf erst von 1980 an betrachtet, lässt sich kein Vertrauensrückgang feststellen. Werden als Anfang die 1990er Jahre gewählt - was gut damit zu rechtfertigen ist, dass seit dem Ende des Staatssozialismus das Gegenbild zur liberalen Demokratie fehlt -, lassen sich weder Trends noch einheitliche Entwicklungen für die fortgeschrittenen Industriegesellschaften ausmachen.

Was für das Vertrauen in politische Institutionen und politische Autoritäten gilt, trifft auch auf die Frage nach dem Funktionieren der Demokratie eines Landes zu. Die Zufriedenheit mit der faktischen Funktionsweise der Demokratie weist seit den 1970er Jahren keine länderübergreifenden Gemeinsamkeiten auf. Sie schwankt erheblich, ein Trend lässt sich nicht ablesen. So hat in einigen Ländern Europas die Demokratiezufriedenheit zugenommen, etwa in den Niederlanden, Italien, Dänemark oder Irland, in Portugal dagegen abgenommen. Seit 1990 verzeichnen sogar noch mehr Länder eine gestiegene Demokratiezufriedenheit, zum Beispiel Frankreich, Griechenland und Spanien, wobei in den beiden letztgenannten seit 2008 aufgrund der Wirtschaftskrise wieder ein rapider Niedergang zu beobachten ist. Für die anderen Länder der EU ergeben sich keine Trends, aber Fluktuationen, mit ähnlichen Anteilen Demokratiezufriedener Anfang der 1970er Jahre und um das Jahr 2010. Damit liefert die Empirie keine Belege dafür, dass es eine generelle Abnahme der Legitimität der Demokratien gegeben hat.

Der Demokratie eines Landes hilft es gleichwohl wenig, dass es globale Trends nicht gibt, wenn im eigenen Land das Vertrauen und die Zufriedenheit in die Demokratie schwinden. In diesem Fall stellt sich vielmehr die Frage nach der Bedeutung für das Fortbestehen der Demokratie. Wann ist also die Schwelle erreicht, wo die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie so gering geworden ist, dass die Demokratie eines Landes in Frage gestellt werden könnte? Auf diese Frage gibt es bisher keine Antwort. Entsprechend schwer fällt es einzuschätzen, was die Ab- oder Zunahme politischer Unterstützung für die Stabilität einer Demokratie tatsächlich bedeutet. Allerdings sollte unabhängig vom Niveau eine abnehmende Unterstützung der Demokratie eines Landes immer ein Aufmerken bei den politisch Verantwortlichen hervorrufen. Wir wissen, dass die Bürger das Funktionieren der Demokratie nicht zufällig, willkürlich oder lediglich unter dem Eindruck aktueller politischer Entwicklungen beurteilen. Mit anderen Worten: Die Unterschiede im Ausmaß der Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie zwischen Ländern können ein Indiz dafür sein, wie die Bürger die Qualität ihrer Demokratie wahrnehmen. Das zeigt ein Vergleich zwischen objektiv gemessener Demokratiequalität und subjektiver Zufriedenheit mit der Demokratie in einem Land. Das Demokratiebarometer - ein vom WZB in Kooperation mit der Universität Zürich entwickeltes Instrument, das die Qualität der Demokratie anhand objektiver Informationen bestimmt - liefert Daten, die mit repräsentativen Bevölkerungsumfragen zur Funktionsweise der Demokratie verglichen werden können. Die Daten zu den Einstellungen der Bürger stammen aus repräsentativen Nachwahlbefragungen der Comparative Study of Electoral Systems, einem Projekt, an dem das WZB ebenfalls beteiligt ist. Die Ergebnisse sind eindeutig: Je besser die objektive Qualität der Demokratie eines Landes ist, desto zufriedener sind die Bürger mit der Demokratie in diesem Lande. Die Demokratien, die die höchste Demokratiequalität aufweisen - das sind in Europa die skandinavischen Länder -, haben auch die mit dem Funktionieren der Demokratie zufriedensten Bürger. Umgekehrt sind in Ländern mit schwacher Demokratiequalität wie Polen oder Italien die Bürger am wenigsten mit dem Funktionieren ihrer Demokratie zufrieden. Augenscheinlich hat also die Qualität der Demokratie einen direkten Einfluss darauf, wie zufrieden Bürger mit ihrer Demokratie sind. Auch die Unterschiede im Ausmaß der Demokratie-Zufriedenheit zwischen Ländern sind ein wichtiger Hinweis auf Unterschiede im Ausmaß der Legitimität. Sie sind demnach keine Spezifika der jeweiligen politischen Kultur, sondern reflektieren objektive Unterschiede, die zwischen den hier betrachteten etablierten Demokratien bestehen.

Was bedeuten diese Ergebnisse für die Frage: Wann wird es kritisch für eine Demokratie? In Europa ist die Demokratie selbst der Länder mit den niedrigsten Werten noch weit davon entfernt, ernsthafte Qualitätsmängel aufzuweisen. Es sind Qualitätsunterschiede auf hohem Niveau. Polen und Italien, die Schlusslichter im Demokratieranking der Länder, gelten immer noch als stabile Demokratien. Der gezeigte Zusammenhang zwischen Demokratiezufriedenheit und Demokratiequalität verweist also darauf, dass letztere bedeutend abnehmen müsste, um einen entsprechenden Niedergang in der Demokratiezufriedenheit nach sich zu ziehen. Mit anderen Worten: Für eine echte Legitimitätskrise der Demokratie ist wohl noch viel Luft nach unten.


Bernhard Weßels ist Senior Researcher der Abteilung Demokratie und Demokratisierung und Privatdozent am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Er hat am WZB die Federführung für die von der DFG geförderte Deutsche Wahlstudie 2009-2017.
bernhard.wessels@wzb.eu


Literatur:

Dalton, Russell J.: Citizen Politics: Public Opinion and Political Parties in Advanced Industrial Democracies. Washington: Congressional Quarterly Press 2008.

Klingemann, Hans-Dieter/Fuchs, Dieter/Zielonka, Jan (Hg.): Democracy and Political Culture in Eastern Europe. London: Routledge 2006.

Norris, Pippa: Democratic Deficit: Critical Citizens Revisited. Cambridge, MA: Cambridge University Press 2011.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 139, März 2013, Seite 14-16
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2013