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DEMOSKOPIE/362: Stuttgart 21 - Studie zu den Schlichtungsgesprächen (idw)


Universität Koblenz-Landau - 13.12.2010

Stuttgart 21: Die Besänftigung der "Wutbürger" - Studie zu den Schlichtungsgesprächen


Die Schlichtungsgespräche zum Verkehrsgroßprojekt Stuttgart 21 führten zu keiner Meinungsänderung, aber zu weniger Ärger und zu einem besseren Verständnis der Argumente der Gegenseite. Das sind die ersten Ergebnisse einer Online-Befragung, die die Psychologen Dr. Tobias Rothmund und Dr. Anna Baumert von der Universität Koblenz-Landau vor, während und nach den Schlichtungsgesprächen im Konflikt um "Stuttgart 21" durchgeführt haben. 910 Personen im Alter zwischen 23 und 86 Jahren nahmen an der Befragung teil, die sich größtenteils als eindeutige Befürworter (ca. 20% der Befragten) oder eindeutige Gegner (ca. 70% der Befragten) des Projektes einstuften.

Gegner und Befürworter des Projekts unterschieden sich vor Beginn der Schlichtungsgespräche sehr stark in ihrer Bewertung des Planungs- und Entscheidungsverfahrens, das zu S21 geführt hat. Projektgegner empfanden das Verfahren als intransparent und das Verhalten der politischen Entscheidungsträger als unehrlich. Ärger und Empörung über politische Entscheidungsträger und den Entscheidungsprozess standen in direktem Zusammenhang mit verringertem Vertrauen in die Politik sowie der Bereitschaft zur Teilnahme an Protestveranstaltungen gegen S21. Befürworter des Projekts hingegen bewerteten das Entscheidungsverfahren überwiegend als gerecht und legitim. Ärger und Empörung der Projektbefürworter richtete sich vor allem gegen die Projektgegner und deren Proteste.

Die Schlichtungsgespräche wurden von Gegnern und Befürwortern gleichermaßen interessiert wahrgenommen. Über 60% der Befragten gaben an, die Übertragungen live im Fernsehen oder im Internet verfolgt zu haben. Die Gespräche wurden dabei überwiegend als verständlich, transparent und ehrlich wahrgenommen.

Unter den Befragten führten die Schlichtungsgespräche weder bei Gegnern noch bei Befürwortern des Projekts zu einer bedeutsamen Meinungsänderung bezüglich ihrer Zustimmung oder Ablehnung von S21. Befürworter und Gegner gaben aber jeweils an, die Argumente der Gegenseite nun besser zu verstehen. In direktem Zusammenhang mit dem verbesserten Verständnis der Argumente stand dabei auch eine Verringerung des berichteten Ärgers. Desto besser S21-Gegner die Argumente der Gegenseite verstehen konnten, desto geringer ihr Ärger über die politischen Entscheidungsträger und den gesamten Entscheidungsprozess. Umgekehrt ärgerten sich S21-Befürwortern über das Protestverhalten von S21-Gegner umso weniger, je eher sie deren Argumente kannten und verstanden.

"Die Ergebnisse der vorliegenden Studie können als Beleg für einen Erfolg der Schlichtungsgespräche interpretiert werden", so das Fazit von Rothmund und Baumert. "Dieser Erfolg kann jedoch weniger in einer inhaltlichen Klärung der Sachfrage als vielmehr in einer aufklärerischen und besänftigenden Wirkung auf die beteiligten Parteien gesehen werden." Wahrgenommene Ungerechtigkeit und daraus resultierender Ärger stellten Motivation und Antrieb für politisches Protestverhalten dar. In extremer Form könne politische Wut aber auch zur Eskalation sozialer Konflikte beitragen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Eine Besänftigung von "Wutbürgern" könne daher gleichermaßen als Schwächung politischer Protestbewegungen und als Beitrag zum sozialen Frieden gesehen werden, so eine weitere Schlussfolgerung von Baumert und Rothmund. Beide Psychologen arbeiten im Arbeitsbereich Diagnostik, Differentielle und Persönlichkeitspsychologie, Methodik und Evaluation (DDPME) im Fachbereich 8: Psychologie der Universität Koblenz-Landau, wo intensiv zur sozialen Gerechtigkeit und der Auswirkung des Gerechtigkeitsempfindens auf menschliches Verhalten geforscht wird.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution183


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Koblenz-Landau, Bernd Hegen, 13.12.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2010