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ENTWICKLUNGSHILFE/435: Palästina - Am Entwicklungshilfetropf, Geberabhängigkeit mit Folgen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Februar 2013

Palästina: Am Entwicklungshilfetropf - Geberabhängigkeit mit Folgen

von Jillian Kestler-D'Amours



Ramallah, Westjordanland, 28. Februar (IPS) - 'Lokal erzeugte Nahrungsmittel für die lokale Bevölkerung' - nach diesem Grundsatz verfährt die palästinensische Hilfsorganisation 'Sharaka' (Arabisch für Partnerschaft), die ausschließlich aus ehrenamtlichen Mitarbeitern besteht.

"Wir werden von der Vision der Ernährungssouveränität, die uns Palästinenser wirtschaftlich unabhängig macht, von der Verwendung lokaler Ressourcen und der gegenseitigen Hilfe angetrieben", sagt die Sharaka-Mitbegründerin Aisha Mansour. "Erst dadurch wird menschliche Entwicklung möglich. Allein mit einer lokalen Wirtschaft und einem System der lokalen Nahrungsmittelselbstversorgung können wir eine Gemeinschaft aufbauen."

Mansour zufolge ist es gar nicht so leicht, palästinensische Bauern und Verbraucher von der Notwendigkeit zu überzeugen, an der Realisierung dieser Vision mitzuwirken. Dennoch wirbt Sharaka unermüdlich für die Idee der lokalen Nahrungsmittelversorgung und organisiert immer wieder Bauernmärkte in Ramallah.

Die Gruppe verweigert die Annahme internationaler Hilfsgelder. "Das System funktioniert nicht. Dass weiß jeder", so Mansour im IPS-Gespräch über das derzeitige Entwicklungsmodell. "Nur Menschen, die ihre Gemeinden kennen, haben ein wirkliches Interesse daran, diese auch zu entwickeln. Erst diese Menschen bringen die Dinge in Bewegung. So funktioniert Entwicklung, aber nicht das von außen übergestülpte Entwicklungsmodell."


Entwicklungshilfeabhängig

Palästinenser gehören zu den weltweit größten Pro-Kopf-Entwicklungshilfeempfängern. Seit 1994, als die ersten internationalen Hilfsgelder die besetzten Palästinensergebiete erreichten, wurden dort Milliarden US-Dollar investiert. Die erste Geberkonferenz für Palästinenser hatte im Oktober 1993 stattgefunden - kurz nach der Unterzeichnung der Oslo-Friedensabkommen zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO).

"Die Oslo-Abkommen zwischen der PLO und Israel hätten ohne Geberhilfe gar keinen Bestand", meint Samir Abdullah, Generaldirektor des Palästinensischen Forschungsinstituts für Wirtschaftspolitik (MAS) in Ramallah. Die den Palästinensern im Rahmen des Oslo-Abkommens abverlangten Einschränkungen hätten sich als wachstums- und entwicklungshemmend herausgestellt. Gemäß dem Abkommen haben die Palästinenser nur Anspruch auf 80 Prozent ihrer eigenen Steuergelder und Zugang zu lediglich 40 Prozent des Westjordanlandes.

Die aus den Oslo-Abkommen hervorgegangene Palästinenserbehörde (PA) sah sich dadurch genötigt, die Haushaltlücken mit internationalen Hilfsgeldern zu schließen. "Jetzt hat die PA einen Schuldenberg von drei Milliarden Dollar abzutragen", rechnet der Experte vor und warnt vor dem Zusammenbruch. "Ohne die Hilfe der Geber wird sie ihre Schulden nie tilgen können."

In ihrem Nationalen Entwicklungsplan für die Jahre 2011 bis 2013 hatte die PA zwar betont, wie wichtig es sei, sich von internationalen Hilfsgeldern unabhängig zu machen. Doch damit ist vorerst nicht zu rechnen. Internationale Geber haben der PA 2011 und 2012 jeweils eine Milliarde Dollar zugesagt, um funktionsfähig zu bleiben. Da die Gelder aber nicht in Gänze überwiesen wurden, sah sich die PA mit der schlimmsten Finanzierungskrise ihrer Geschichte konfrontiert. Die Behörde ist nicht länger in der Lage, ihre Staatsbediensteten regelmäßig zu bezahlen. Und Präsident Mahmud Abbas bittet des Öfteren die arabischen Staaten um finanzielle Hilfe für seine Administration in Ramallah.

Die internationalen Zuwendungen für die Palästinenser hängen stark von der lokalen politischen Situation und vor allem von den sogenannten Friedensverhandlungen mit Israel ab. Nachdem es der PA im vergangenen November gelungen war, den Status Palästinas bei den Vereinten Nationen aufzuwerten, kündigte Israel an, monatlich 100 Millionen Dollar an palästinensischen Steuereinnahmen zurückzubehalten. Die USA froren 500 Millionen Dollar ein.


Kontraproduktiv

Nora Lester Murad ist Mitbegründerin von 'Dalia', einer palästinensischen Organisation, die sich für die bestmögliche Verwendung der palästinensischen Ressourcen und eine Entwicklung einsetzt, die den Palästinensern zugute kommt. Auch wenn die internationale Hilfe einige positive Begleiterscheinungen für die palästinensische Gesellschaft wie Arbeitsplätze und den Aufbau der Institutionen mit sich gebracht habe, sei sie doch weitgehend zerstörerisch gewesen.

"Sie hat weder den Palästinensern dabei geholfen, ihre Rechte einzufordern, noch zu einer Lösung des Nahostkonflikts geführt. Ich würde sogar noch weiter gehen und behaupten, dass sie die Rechte von Palästinensern unterwandert und die Lösung des Nahostkonflikts erschwert, verzögert, wenn nicht gar verhindert hat", meint Lester Murad gegenüber IPS.

2012 waren die Palästinensergebiete Gaza und Westjordanland mit einer Arbeitslosigkeit von insgesamt 23 Prozent geschlagen. Mitte 2012 erreichte die Jugendarbeitslosigkeit im Westjordanland 30 Prozent und im Gazastreifen 52 Prozent.

Itiraf Remawi, Geschäftsführer des Bisam-Zentrums für Forschung und Entwicklung in Ramallah, ist der Meinung, dass die Palästinenser dringend zu einem nachhaltigeren System der Entwicklung finden müssten. "Jede Entwicklung muss vom Ansatz her die Existenz Palästinas und den palästinensischen Widerstand gegen die Besatzung fördern und unterstützen", meint er.

Das Entwicklungsmodell während der Ersten Intifada Ende der 1980er Jahre sei viel besser gewesen, betont er. "Die Menschen haben freiwillig und als Kollektiv zusammengearbeitet. Ihre Beziehungen zueinander waren sehr eng. Sie kämpften gegen die Besatzung. Und obwohl es unterschiedliche politische Fraktionen gab, hatten sie einen gemeinsamen Plan." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.thisweekinpalestine.com/details.php?id=3267&ed=188&edid=188
http://www.dalia.ps/reforming-aid
http://www.noralestermurad.com/category/international-aid/
http://www.ipsnews.net/2013/02/aid-hurting-palestinians/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 28. Februar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2013