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MENSCHENRECHTE/315: Kuba - Meinungsfreiheit weiterhin ein Traum, Papstbesuch brachte keine Fortschritte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Oktober 2015

Kuba: Meinungsfreiheit weiterhin ein Traum - Papstbesuch brachte keine Fortschritte

von Louise Tillotson


MEXIKO-STADT (IPS) - Einen Monat nach dem historischen Besuch von Papst Franziskus in Kuba verebben die Hoffnungen auf größere Meinungsfreiheit in dem Land so rasch wie die Jubelrufe, mit denen das Kirchenoberhaupt begrüßt worden war. Bei seiner Ankunft sagte Franziskus, Kuba habe die Chance, "sich der Welt zu öffnen". Er forderte die jungen Menschen in dem Karibikstaat auf, einen Dialog mit all denjenigen zu beginnen, die "anders denken".

Die Kubaner hörten dem Papst zu, ihre Regierung dagegen nicht. Stattdessen hindern die kubanischen Behörden Menschenrechtsaktivisten weiterhin daran, abweichende Meinungen zu äußern.

Laut der unabhängigen Kubanischen Kommission für Menschenrechte und Nationale Versöhnung gab es im Jahr 2014 jeden Monat durchschnittlich 741 willkürliche Festnahmen. Während des Papstbesuchs stieg die amtlich registrierte Zahl im September auf 882.


Harte Strafe für Oppositionelle

Unter den Festgenommenen waren die Aktivisten Zaqueo Baez Guerrero, Ismael Bonet Rene und María Josefa Acón Sardinas, die Mitglieder der Dissidentengruppe Patriotische Union Kubas (UNPACU) sind. Sie wurden am 20. September in Gewahrsam genommen, nachdem sie eine Sicherheitsabsperrung überwunden hatten, um mit dem Papst zu sprechen. Seitdem sind sie in Haft.

Wahrscheinlich müssen sie mit einer Anklage wegen Missachtung der Staatsgewalt, Widerstand gegen diese oder gar wegen des Angriffs auf auf die Staatsgewalt sowie wegen öffentlicher Ruhestörung rechnen. Bei einer Verurteilung drohen ihnen zwischen drei und acht Jahren Gefängnis.

Die Verfolgung Oppositioneller hat offensichtlich weiter zugenommen, nachdem der Papst das Land verlassen hat. Am 11. Oktober wurden Hunderte Menschenrechtsaktivisten und Dissidenten, darunter Mitglieder von UNPACU und der Gruppe der Damen in Weiß ('Damas de blanca') willkürlich festgenommen. An dem Tag wollten sie an friedlichen Protesten teilnehmen, um die Regierung zur Freilassung von Aktivisten und politischen Gefangenen aufzufordern. Die Patriotische Union Kubas gehört zu den Organisationen, deren Mitglieder besonders häufig festgenommen werden.

Die 60 Mitglieder der Damen in Weiß, die am 11. Oktober in Gewahrsam genommen wurden, erzählten später, geprügelt und stundenlang festgehalten worden zu sein, weil sie an einer friedlichen Demonstration teilgenommen hatten, die nicht länger als zehn Minuten dauerte. "Der Protestmarsch begann um 13:30 Uhr und wurde um 13:40 Uhr gestoppt", sagte Berta Solar, Vorsitzende der Gruppe. Auch die Mutter und Großmutter des politischen Häftlings Danilo Maldonado Machado, ein unter dem Pseudonym 'El Sexto' bekannter Graffiti-Künstler, nahmen an der Aktion teil.


Polizei wendet Gewalt gegen Andersdenkende an

"Es waren viele Polizisten anwesend, die die Damen in Weiß in Busse einsteigen ließen. Sie nahmen sie mit, damit niemand ihren Protest sehen konnte. Es war schrecklich anzusehen, wie die Frauen von den Polizisten in die Busse gezerrt wurden", sagte die Mutter von Maldonado Machado.

Ein Aktivist berichtete kürzlich davon, wie ein Bus, in dem er mit weiteren 29 Personen saß, auf dem Weg in die Stadt Santiago de Cuba von 40 Polizisten angehalten wurde. "Sie zwangen uns zum Aussteigen und drohten uns Prügel und Haft an. Ich wurde in einem Jeep mitgenommen und in großer Entfernung abgesetzt. Um nach Hause zu kommen, musste ich viele Kilometer laufen."

Nach Angaben des UNPACU-Generalsekretärs José Daniel Ferrer wurden die Wohnungen von vier Sozialaktivisten vor Kurzem geplündert und verwüstet. Ein anderer Aktivist gab an, nach der Festnahme geschlagen worden zu sein. "Ein Beamter sagte uns, wir sollten alle den Mund halten. Ansonsten würde uns die Polizei die Zähne ziehen." Die Sicherheitskräfte hätten erst von ihm abgelassen, als er längst blutüberströmt gewesen sei.


Menschenrechtsdebatte in Kuba noch nicht möglich

Viele Kubaner hatten sich von dem Besuch des Papstes zunächst erhofft, dass die Regierung Meinungsfreiheit im Land zulassen würde. Das jüngste Vorgehen gegen Andersdenkende macht jedoch deutlich, dass dieselben bekannten Repressionstaktiken noch immer angewandt werden, um abweichende Meinungen zu unterdrücken.

Was die Achtung der Menschenrechte betrifft, so befindet sich Kuba zweifellos an einem Scheideweg. Die Regierung sagt seit langem, dass sie die Rechte auf Bildung und Gesundheitsversorgung unterstützt und auch bei der Stärkung der Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transvestiten und Intersexuellen vorangekommen sei.

Dennoch ist es unmöglich, die Menschenrechtslage in Kuba umfassend zu bewerten, wenn die Ausübung des Grundrechts auf friedliche Meinungsäußerung so streng überwacht wird und unabhängige Beobachter nicht ins Land gelassen werden.

Solange Kubaner abweichende Meinungen nur dort äußern dürfen, wo die Regierung ihre Kontrolle ausübt, und solange das Demonstrationsrecht so stark einschränkt wird, ist eine weiter gefasste Diskussion über die Menschenrechte kaum vorstellbar. (Ende/IPS/ck/21.10.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/10/opinion-the-unlikely-chance-of-a-serious-human-rights-debate-in-cuba/

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IPS-Tagesdienst vom 21. Oktober 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2015

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