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MILITÄR/927: Die NATO im neuen Kalten Krieg (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. Nr. 37 vom 12. September 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Die NATO im neuen Kalten Krieg
Gipfelkonferenz in Wales beschloss Paket für den Ausbau der NATO

von Georg Polikeit



Der NATO-Militärpakt, der eigentlich seit mehr als 20 Jahren mit der Auflösung des Warschauer Paktes am 1. Juli 1991 den letzten Schein einer Existenzberechtigung verloren hat, hat sich mit seinem jüngsten Gipfeltreffen am 4./5. September in Newport/Wales (Großbritannien) einen neuen "Feind" zugelegt. An die Stelle der früheren Bedrohungslüge von der "sowjetischen Gefahr" zu Zeiten des kalten Krieges trat die Lüge von einer "russischen Bedrohung Europas".

Sicherlich ist das Russland von heute nicht mehr die Sowjetunion. Die Politik der heutigen russischen Führer wird von anderen Interessen und Zielen bestimmt als die der UdSSR. Das Putin-Regime dient den Interessen des wiedererstandenen russischen Kapitalismus und vor allem den Interessen der dominierenden Öl- und Finanzkonzerne und ihrer Oligarchen. In deren Interessenlage spielen gewiss auch geopolitische Gesichtspunkte und das Ringen um Einflusszonen eine Rolle. Dennoch trägt die heutige russische Außenpolitik im Grunde eher defensiven Charakter.

Denn es war nicht Russland, das in den letzten Jahrzehnten ein dichtes Netz von Militärstützpunkten rund um die Welt außerhalb des eigenen Territoriums aufrechterhalten hat und weiter ausbaut. Es waren die USA und die Führungsmächte der EU, die über die NATO ihren Einfluss und ihre Militärpräsenz in Osteuropa bis an die Grenzen Russlands ausgedehnt haben, obwohl in den "Wendejahren" 1989/90 einst zugesichert und in der NATORussland-Grundakte von 1997 vertraglich festgeschrieben worden war, dass die NATO sich nicht nach Osten ausdehnen und keine zusätzlichen "substanziellen Kampftruppen" in Osteuropa stationieren wird.

Die NATO-Chefs versuchten also, die Behauptung von den angeblichen russischen Expansionsabsichten gegen Europa als propagandistisches Schreckgespenst zur Rechtfertigung weiterer Aufrüstungsschritte und als Tarnschild für ihren eigenen Expansionskurs in Osteuropa zu verwenden.

Die am 5. September von den 28 NATO-Staaten gebilligte "Gipfelerklärung von Wales" hat in insgesamt 113 einzelnen Punkten ein ganzes Programm zum Ausbau der NATO als hegemoniales Machtinstrument und "militärischer Arm" zur Durchsetzung des weltweiten Führungs- und Herrschaftsanspruchs der NATO beschlossen. Ausdrücklich wird darin nicht nur die "Verteidigung des Territoriums der NATOStaaten", sondern auch die Stärkung der weltweiten "Krisenreaktionsfähigkeit" als Bündnisziel verkündet. Die NATO soll "eine starke, handlungsbereite, robuste und reaktionsfähige Allianz bleiben, die fähig ist, derzeitigen und künftigen Herausforderungen zu begegnen, von woher sie auch kommen mögen", heißt es in dem Text. Dem soll der in Wales verabschiedete neue "NATO Readiness Action Plan" ("Aktionsplan Einsatzfähigkeit") dienen.

Im Zentrum dieser Planungen steht der weitere Ausbau der NATO-Präsenz in Osteuropa.

Dazu gehört, dass der bisherige Status Russlands als "Partner", der in der NATO-Russland-Grundakte von 1997 verankert war, praktisch aufgekündigt und Russland als "Gegner" der NATO bezeichnet wird.

Vorgesehen ist, "im östlichen Teil des Territoriums der Allianz eine ständige Präsenz und Aktivität in der Luft, auf dem Boden und zur See nach dem Rotationsprinzip aufrechtzuerhalten" (http://www.nato.int/cps/fr/natohq/news_112 460.htm). Durch das Abhalten von ständigen Manövern in den östlichen NATO-Staaten soll eine ständige Präsenz von Truppen aus den USA und den EU-Staaten einschließlich der Bundeswehr sichergestellt werden, von Estland, Lettland und Litauen über Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Slowenien bis Rumänien und Bulgarien.

Außerdem wird laut NATO-Text im Rahmen der "schnellen Eingreiftruppen" ("Rapid response forces") eine spezielle "Speerspitze" ("Very High Readiness Joint Task Force") aus mehreren tausend Soldaten gebildet, die fähig ist, "innerhalb weniger Tage" in Aktion zu treten, und zwar "mit Unterstützung von Luft-, See- und Spezialeinsatzkräften".

Um dies zu ermöglichen, sollen Einsatzstäbe und Kontrollinstanzen sowie ständige Vorratslager für Waffen und andere militärische Ausrüstungen in den betreffenden Staaten angelegt werden. Ausdrücklich erwähnt wird, dass auch die Seestreitkräfte einbezogen werden, und zwar nicht nur in der Ostsee, sondern auch im Schwarzen Meer.

Ein weiteres Kapitel der weiteren NATO-Ausdehnung nach Osten ist der verstärkte Zugriff auf die Ukraine. Im Vordergrund steht zunächst die "Hilfe" der NATO für Aufbau und Ausrüstung der Kiewer Armee. Neben der "Beratung" und Ausbildung der ukrainischen Truppen durch NATO-Offiziere wird auch die direkte Lieferung von Waffen durch einzelne NATOMitgliedstaaten auf bilateraler Ebene vorgesehen. Außerdem sollen auch hier vermehrt NATO-Manöver abgehalten werden. Das nächste, "Rapid Trident" ("Schneller Dreizack") findet schon am 15.-26. September unter Beteiligung von 1300 Soldaten aus den USA, aber auch aus Georgien, Aserbaidschan und Moldawien statt. Auch vier Bundeswehroffiziere werden im Bereich "Logistik und Auswertung" teilnehmen. Mit den Manövern soll auch die "Interoperabilität" der ukrainischen Armee mit den NATO-Streitkräften - also die Angleichung der Bewaffnung, Struktur und Einsatzkonzepte der ukrainischen Armee an NATO-Standards - verstärkt werden. Auch eine direkte NATO-Mitgliedschaft der Ukraine wird weiterhin anvisiert, wenn auch nicht sofort.

Die "Gipfelerklärung von Wales" beschränkt sich aber nicht auf Osteuropa. Erwähnt werden darin auch die Konflikte im Mittleren Osten und in Nordafrika, die als "Bedrohungen des euro-atlantischen Sicherheitsumfelds" dargestellt werden. Die Stationierung der "Patriot"-Raketen in der Türkei und die Stationierung ähnlicher Raketenabschussbasen in anderen Ost-Staaten wird befürwortet. Außerdem werden Afghanistan, Iran, Syrien, Jordanien, der westliche Balkan, Armenien, Moldawien, Aserbaidschan, das Mittelmeer, Mali und die Sahel-Sahara-Zone als Gebiete erwähnt, in denen NATO-Interessen berührt sind und NATO-Forderungen durchgesetzt werden müssen.

Nicht zuletzt enthält die Wales-Erklärung Festlegungen zur Erhöhung der Rüstungsausgaben. "Wir stimmen überein, die Tendenz zur Senkung der Verteidigungsbudgets umzukehren", heißt es in dem Text. Eine "starke Verteidigungsindustrie" in der gesamten Allianz und besonders eine stärkere Verteidigungsindustrie in Europa sei erforderlich. Deshalb werden alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, in den nächsten Jahren unbedingt das "Minimumniveau" von 2 Prozent des BIP für Rüstungsausgaben anzustreben, davon mehr als 20 Prozent für "große Ausrüstungsvorhaben". Dies soll jedes Jahr auf den Tagungen der Verteidigungsminister und der Staats- und Regierungschefs als Kontrollpunkt auf der Tagesordnung stehen (Die deutschen Verteidigungsausgaben lagen nach NATO-Statistik 2013 bei 1,3 % BIP).

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 37 vom 12. September 2014, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2014