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MILITÄR/929: Krieg ohne Grenzen (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 16. Dezember 2014
(german-foreign-policy.com)

Krieg ohne Grenzen



BERLIN/BAGDAD - Der künftige Irak-Einsatz der Bundeswehr umfasst weit mehr als nur die Ausbildung irakischer Soldaten und findet im Rahmen eines zeitlich wie räumlich nicht eingrenzbaren Mittelost-Krieges statt. Dies geht aus Berichten sowie Stellungnahmen hervor, die in den vergangenen Tagen bekannt wurden. Demnach werden deutsche Offiziere auch in Befehlszentralen für den Krieg gegen den IS Dienst tun und darüber hinaus die irakische Regierung "beraten". Auch habe sich die Bundeswehr um Sicherungsmaßnahmen für Truppen anderer Staaten zu kümmern, heißt es. Über die zeitliche Perspektive des Krieges urteilen führende US-Militärs, man müsse mit bis zu 20 Jahren Dauer rechnen. US-Außenminister John Kerry hat letzte Woche ausdrücklich erklärt, der Krieg sei nicht auf den Irak und Syrien beschränkt; man behalte sich Militärschläge auch in weiteren Ländern ausdrücklich vor. Damit bietet sich die Perspektive eines möglicherweise Jahrzehnte währenden Mittelost-Krieges, der den Rahmen der bisherigen Kriege in Afghanistan und im Irak bei weitem sprengt.


Einsatz in Erbil

Der Einsatz deutscher Soldaten im Irak hat - ohne Mandat des Bundestages - längst begonnen. Wie offiziellen Berichten der Bundeswehr zu entnehmen ist, ist bereits am 27. August ein "militärisches Verbindungselement" mit sechs Soldaten in Erbil eingerichtet worden; formell wurde es dem Auswärtigen Amt unterstellt. In den folgenden Wochen sind weitere Soldaten hinzugekommen, die irakisch-kurdische Kämpfer ("Peschmerga") in den Gebrauch der Waffen einweisen, die aus der Bundesrepublik geliefert worden sind [1] - von Sturmgewehren der Modelle G3 und G36 über Maschinengewehre des Typs MG3 und die "Panzerfaust 3" bis zum gepanzerten Transportfahrzeug Dingo. Ein Oberstabsarzt der Bundeswehr hat die Krankenhäuser in der Region daraufhin überprüft, inwiefern sie für eine Zusammenarbeit mit der Bundeswehr geeignet sind. Jenseits der Aktivitäten vor Ort wurden zwei deutsche Verbindungsoffiziere bereits vor Monaten im United States Central Command (CENTCOM) in Tampa im US-Bundesstaat Florida eingesetzt, von wo aus der Krieg gegen den "Islamischen Staat" (IS) zunächst gesteuert wurde.[2] Die politischen Aktivitäten Berlins in der "Koalition gegen den IS" hatten damit von Anfang an auch eine militärische Komponente.


Hauptquartier in Mittelost

Hintergrund für die nun bevorstehende Ausweitung des Einsatzes, die in den vergangenen Wochen auf zwei "Erkundungsmissionen" im Nordirak ausgelotet wurde, ist dessen vom Westen geplante Gesamtdimension. Bereits Anfang Oktober ist bekannt geworden, dass die westlich geführte "Koalition gegen den IS" weitreichende Absichten verfolgt. Demnach sollen einheimische Soldaten wie etwa die Peschmerga nicht nur mit Ad-hoc-Maßnahmen ausgebildet und trainiert werden, wie sie etwa die Bundeswehr im Nordirak durchführt. Vielmehr sollen in der gesamten Region acht bis zwölf militärische Trainingszentren errichtet werden, einige davon im Irak, andere mutmaßlich in weiteren Staaten des Mittleren Ostens. Eines werde in Erbil installiert und von der Bundeswehr geführt, heißt es; deutsche Soldaten würden sich auch am Betrieb eines zweiten Trainingszentrums beteiligen.[3] Außerdem richten die Vereinigten Staaten zur Zeit ein vorgeschobenes militärisches Hauptquartier im Mittleren Osten ein, um von dort aus den Krieg gegen den IS zu steuern. Berichten zufolge hat es mittlerweile die Arbeit aufgenommen; unter Führung von US-Generalleutnant James L. Terry seien dort rund 200 Militärs im Einsatz, heißt es, davon etwas mehr als die Hälfte US-Amerikaner. In zwei Kommandoeinrichtungen sollen auch deutsche Soldaten eingesetzt werden, heißt es. Demnach will die Bundesregierung Stabsoffiziere in Befehlszentralen in Bagdad und Kuwait entsenden; in Kuwait soll Berichten zufolge das neue Hauptquartier für den Krieg gegen den IS angesiedelt sein.[4]


Eine zentrale Rolle

Berichten zufolge werden seitens der Bundeswehr noch weitere militärische Aktivitäten hinzukommen. Demnach sollen auch in Zukunft irakisch-kurdische Kämpfer sowie Offiziere der irakischen Armee in Kasernen in Deutschland ausgebildet werden. Außerdem sei die Lieferung weiteren Kriegsgeräts geplant, darunter erneut Sturmgewehre und panzerbrechende Waffen.[5] Den im Irak eingesetzten deutschen Militärausbildern würden deutsche Soldaten zur Seite gestellt, die "Eigensicherung und Schutz" gewährleisten sollten, heißt es; in welchem Umfang sie bewaffnet würden, das hänge von ihrem konkreten Standort im Mittleren Osten ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass Bundeswehrsoldaten in Kämpfe verwickelt werden, wird gegenüber der derzeitigen Situation wohl auch deswegen steigen, weil Deutschland, wie es heißt, für ein halbes Jahr die Führung der gesamten multinationalen Trainingsmission übernehmen soll. Dazu gehörten auch Maßnahmen zur Sicherung von Truppen und Ausrüstung anderer Staaten. Schließlich werde die Bundeswehr auch die irakische Regierung "beraten" und die verschiedenen Streitkräfte des Landes, insbesondere die irakische Armee und die Peschmerga, "koordinieren". Damit erhielte Berlin jenseits unmittelbarer Kampfhandlungen eine zentrale Rolle im Krieg gegen den IS.


Probleme mit dem Grundgesetz

Vor diesem Hintergrund will das Bundeskabinett noch in dieser Woche ein Mandat für die Bundeswehr beschließen, das anschließend vom Bundestag abgesegnet werden soll. Schwierigkeiten ergeben sich allerdings dadurch, dass das Grundgesetz bewaffnete Einsätze der Bundeswehr nur zur Landesverteidigung (Artikel 87a) oder aber "zur Wahrung des Friedens" in "einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit" (Artikel 24) vorsieht. Letzteres ist auf NATO- und auf UN-Interventionen gemünzt und öffnete bislang die Türen für Bundeswehreinsätze in aller Welt. Ein Mandat des UN-Sicherheitsrates für den Krieg gegen den IS zu erhalten, ist aber faktisch undenkbar, seit der Westen die UN-Resolution zur Errichtung einer Flugverbotszone in Libyen zur Legitimation genommen hat, um - tatsächlich unter Bruch der Resolution - die Regierung Gaddafi zu stürzen. Dass Russland oder China ein weiteres Mal das Risiko eingehen könnten, in Fragen von Krieg und Frieden betrogen zu werden, gilt als nicht vorstellbar. Ein offizieller NATO-Beschluss hingegen gilt derzeit als nicht wünschenswert. Zwar hat die Koalition gegen den IS ihr jüngstes Treffen in der Brüsseler NATO-Zentrale abgehalten, doch wird allgemein davon ausgegangen, dass eine offizielle Kriegsbeteiligung des Bündnisses den involvierten arabischen Ländern einen völlig irreparablen Rufschaden brächte und daher vermieden werden muss. Die Bundesregierung lehnt es nun offenbar ab, offiziell - nach dem Vorbild der Parole von der "Verteidigung Deutschlands am Hindukusch" (Peter Struck, SPD, 2002) - nun noch die "Verteidigung Deutschlands im Nordirak" nach Artikel 87a auszurufen und sich damit endgültig lächerlich zu machen. Der Bundestag soll die informelle Koalition gegen den IS daher zu einem "System gegenseitiger kollektiver Sicherheit" erklären. Dass dies von einem Gericht akzeptiert werden könne, wird allgemein bezweifelt.


Der zwanzigjährige Krieg

Das bevorstehende Mandat betrifft - auf juristisch wohl kaum haltbarer Grundlage - einen Krieg, der sowohl zeitlich als auch räumlich nicht eingrenzbar ist. Ray Odierno, Stabschef des US-Heeres, hat bereits Ende September erklärt, wegen der "Komplexität der Umgebung, in der wir jetzt operieren müssen", sei mit einer zeitlichen Perspektive von wohl "10 bis 15 bis 20 Jahren" zu rechnen.[6] Damit überträfe der neue Krieg denjenigen in Afghanistan, wo deutsche Truppen jetzt seit rund 13 Jahren stationiert sind. Zum Umfang der Truppen, die im Mittleren Osten eingesetzt werden sollen, heißt es gegenwärtig, man rechne vorläufig mit der Entsendung von rund 1.500 Soldaten durch die Koalition gegen den IS - zusätzlich zu rund 1.500 US-Militärs, die bereits in dem Land operierten. Darüber hinaus hat US-Außenminister John Kerry erklärt, man werde den Krieg keinesfalls auf Syrien und den Irak begrenzen, sondern sich Militärschläge und anderweitige Interventionen in anderen Ländern dezidiert offenhalten - genauso wie im sogenannten Anti-Terror-Krieg nach dem 11. September 2001.[7] Die räumliche Eingrenzung, die im Afghanistan-Krieg - abgesehen von Militärschlägen im pakistanischen Grenzgebiet - noch relativ verlässlich war, ist für den neuen Mittelost-Krieg, an dem sich die Bundeswehr maßgeblich beteiligt, damit faktisch nicht mehr vorhanden.


Weitere Informationen zum Krieg gegen den IS finden Sie hier: Vom Westen befreit, Von Kurdistan nach Alawitestan, Das Ende einer Epoche (I), Waffen für die Peschmerga, Das Ende einer Epoche (II) und Der zwanzigjährige Krieg.


Anmerkungen:

[1] S. dazu Waffen für die Peschmerga.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58947

[2], [3] Bundeswehr plant Ausweitung des Irak-Einsatzes. www.sueddeutsche.de 04.10.2014. S. dazu Der zwanzigjährige Krieg. http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58966

[4], [5] Matthias Gebauer: Neues Bundeswehr-Mandat: Deutschland schickt Soldaten in die Anti-IS-Kommandozentrale.
www.spiegel.de 13.12.2014.

[6] Michelle Tan: As airstrikes roll on, Army division HQ will deploy to Iraq.
www.navytimes.com 27.09.2014.

[7] Molly O'Toole: Kerry Says the Fight Against the Islamic State Could Expand Beyond Iraq and Syria.
www.defenseone.com 09.12.2014.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2014