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PARTEIEN/104: Die CDU - wofür steht die Partei derzeit? (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2011

Die CDU - wofür steht die Partei derzeit?

Von Josef Schmid


"Die Christlich Demokratische Union Deutschlands: die erfolgreichste Volkspartei unserer Geschichte". So beschreibt sich die Partei selbst auf ihrer Internet-Seite. Die derzeitigen Umfragen und jüngsten Wahlergebnisse wie in Hamburg oder Baden-Württemberg weisen freilich in eine andere Richtung. Auch die Mitgliederzahl sinkt und liegt zur Zeit bei weniger als einer halben Million. Was ist seit ihren Höhenflügen, wo sie zusammen mit der CSU noch deutlich über 40% der Stimmen bei Bundestagswahlen erreichte, mit der CDU passiert? Und: Wo und wofür steht sie derzeit?


Das Selbstverständnis als Volkspartei ist für die CDU historisch und organisationskulturell prägend; sie versteht sich als Union, die allen einen Platz bietet, und weniger als Teil, wie es der Herkunft des Wortes Partei (Pars = Teil) entspräche. Als Volkspartei kann man die CDU auch deswegen bezeichnen, weil sie nachhaltig über 30% der Wählerstimmen erhält. Diese simple Definition geht auf den Parteienforscher Giovanni Sartori zurück; damit wird aber im Wesentlichen der Erfolg als Indikator herangezogen.


Konfliktlinien innerhalb der Partei

Will man dagegen die dem zugrunde liegende Leistung beurteilen, so bietet es sich an, auf das Modell gesellschaftlicher Konfliktlinien zurückzugreifen. Die von Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan entwickelte Theorie besagt vor allem, dass sich in Gesellschaften bestimmte dauerhafte und kaum überwindbare Konfliktlinien (Cleavages) entwickeln, etwa zwischen Kirche und Staat, Peripherie und Zentrum oder Kapital und Arbeit. Volksparteien müssen demnach in der Lage sein, diese Cleavages intern zu reproduzieren und integrieren. Katholische und Evangelische, Arbeiter und Unternehmer, Konservative und Liberale, Libertäre und Autoritäre, Modernisierer und Traditionalisten - all diese müssen politisch unter einen Hut gebracht werden. Dass dies nicht einfach ist, versteht sich von selbst.

Zur Handhabung dieser internen Heterogenität hat die CDU traditionell einige Mechanismen herausgebildet: der stramme Antikommunismus hat unterschiedliche Interessen, Milieus und Personen verbinden können, die Arbeitsteilung zwischen dem Arbeitnehmerflügel mit seiner Zuständigkeit für Sozialpolitik auf der einen und dem Wirtschaftsflügel mit seinen entsprechenden Kompetenzen auf der anderen Seite sind innerorganisatorische Versuche, das Konfliktpotenzial zu reduzieren. Hinzu kommt ein ausgeprägter innerparteilicher Föderalismus, der ebenfalls eine Vielfalt in der Einheit erlaubt. Zugleich hat dieses funktionierende Zusammenspiel von Bundespartei und Landesverbänden in der Blütephase der CDU deren Innovationspotenzial gestärkt und zugleich als Reservoir für Führungspersonal fungiert, beziehungsweise im Konfliktfall auch die Möglichkeit eines Wechsels der politischen Ebene geboten. Schließlich hat ein ausgeprägtes Machtinteresse die Partei zusammen geschweißt, denn man verstand und versteht sich als natürliche Regierungspartei.

Was ist von diesem Erfolgsmodell, von diesem Grundelement einer Volkspartei, heute noch in der CDU existent? Skeptiker würden darauf antworten: nichts mehr. Der Antikommunismus ist nach dem Fall der Mauer und den globalen politischen Veränderungen obsolet geworden, Wirtschafts-, Gesellschafts- und Sozialpolitik lassen sich so einfach nicht mehr trennen, die politischen Traditionsbastionen erodieren angesichts der Säkularisierung und des Wertewandels. Schlimmer noch, die CDU markiert nicht mehr die Mitte. So schreibt Franz Walter in SPIEGEL ONLINE: "Die Intellektuellen mochten maliziös lästern und sich über intellektuelle Unzulänglichkeiten der biederen CDU-Anführer kritisch auslassen - das Volk in seiner Majorität schätzte dennoch Rhetorik und Auftritt der Adenauers, Erhards und Kohls; nicht zuletzt gerade wegen ihrer Kleinbürgerlichkeit, wegen ihres Patriarchalismus, wegen ihrer Bindung an Provinz und Brauchtum. Die CDU war die Partei der Mitte, die Volkspartei der Republik, die natürliche Regierungspartei schlechthin."


Was bleibt?

Das ist vorbei! Angebot und Nachfrage haben sich - personell und programmatisch - bei der Union verschoben, andere Parteien drängen in die Mitte und durchdringen die (klein-) bürgerlichen Milieus. In Oberschwaben sind die Grünen nicht selten katholischer als die CDU, böse Zungen sehen Teile der SPD dichter bei den Traditionskompanien der Union als beim Rest der Partei - was auch umgekehrt gilt.

Die Wahlforschung hat es intensiv belegt: Der Wähler ist wählerisch und unzuverlässig geworden und auch durch noch so intelligente Marketingstrategien nur schwer zu binden. Die politischen Ausschläge sind größer geworden, der Verlust von 10 Prozentpunkten bei einer Wahl fast schon normal, und das einstmals so stabile Zweieeinhalb-Parteien-System ist einem dynamischen Fünf-Parteien-System gewichen. Die Bemühungen um eine Parteireform, die eine höhere Attraktivität zum Ziel hatte, sind in der CDU - freilich nicht nur dort - weitgehend gescheitert. Insofern wundert es nicht, dass auch die Mitglieder schwinden, überaltern und alles andere als repräsentativ sind. Junge Menschen und Frauen sind knapp in der CDU - trotz Ursula von der Leyen und Kristina Schröder. Hinzu kommt, dass die Problemlösungskompetenz und Zukunftsfähigkeit der Union nachlässt und angesichts der Komplexität der Herausforderungen - Globalisierung, demografischer Wandel, Wissensgesellschaft, um nur einige Stichworte zu nennen - auch nicht einfach wieder gefunden werden kann.

Geblieben ist aber sicherlich das Interesse am Regieren und Angela Merkel stellt in mancherlei Hinsicht die "Königin der Macht" dar. Zumindest hat sie es geschafft, nach einem rot-grünen Intermezzo die Partei wieder ins Kanzleramt zu bringen und von dort aus zu führen. Angesichts der großen Herausforderungen und Wandlungsprozesse sowie der mehrfach erlebten Rückschläge bei Wahlen ist die sichere Position der Kanzlerin durchaus bemerkenswert. Die berüchtigten Granden der CDU sind inzwischen ausgestorben, seien es nun die einflussreichen Chefs der Vorfeld- und Unterorganisationen oder die einst mächtigen Ministerpräsidenten. Alle Konkurrenten sind abhanden gekommen, die innerparteilichen Diskurse und Konflikte sind erlahmt - und wenn sie aufflackern, sind sie eher medial in Talkshows inszeniert, als dass die Heerscharen wirklich aufeinanderprallen.

Das gilt im Übrigen auch vielfach für die Konkurrenz zwischen den großen Parteien. Die Unterschiede wirken oft künstlich, eher als Design und nicht als Ausdruck gesellschaftspolitischer Grundüberzeugung. Insofern gleicht das machtvolle Zentrum in der CDU doch eher einem "schwarzen Loch". Die Ansammlung an politischer Macht in der Partei wie im System scheint manchmal ohne aktive Gestaltungswirkung, freilich - und das darf man nicht unterschlagen - erlaubt sie ein durchaus erfolgreiches Reagieren und Krisenmanagement. Vielleicht hatte ja Luhmann dieses Phänomen vor Augen, als er den Parteien einen strukturellen Opportunismus attestierte.


Wird aus der Not eine Tugend?

Man kann aus der Not natürlich eine Tugend machen und aus den Problemen der Volksparteien im Allgemeinen und der CDU im Besonderen einen grundlegenden Wandel des Parteitypus ableiten oder als Parteistrategie aktiv vorantreiben. Die professionalisierte Wählerpartei sowie der Rückgriff auf Max Webers charismatische Herrschaft sind derzeit stark diskutiert. Freilich lassen sich die vielfältigen Funktionen der Volksparteien - etwa Partizipation, Legitimation, Rekrutierung, Programmformulierung - nur schwer ersetzen. Die Medien zum Beispiel sind für eine permanente Bindung oder für die Entwicklung nachhaltiger Lösungskonzepte und politischer Grundwerte keine Alternative. Zudem ist Angela Merkel keine Medienkanzlerin; vielleicht ist sie Staatsfrau - aber vor allem ist sie politische Pragmatikerin und eine Technikerin der Macht.

Natürlich lassen sich alle Schwächen dadurch überleben, dass die Fragen nach der Erfüllung von Parteifunktionen und nach der Typik der Organisation eher akademischer Natur sind. In der wirklichen Politik ist alles relativ: Solange die CDU noch besser ist als die SPD bzw. die Fragmentierung des Parteiensystems anhält, lässt sich mit Mittelmaß auch re(a)gieren.

Josef Schmid (* 1956) ist Professor für Politikwissenschaft; derzeit hauptamtlicher Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen.
josef.schmid@uni-tuebingen.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2011, S. 33-35
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2011