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REDE/733: Merkel - Regierungserklärung zum Europäischen Rat und G20-Gipfel, 19.03.2009 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Europäischen Rat und G20-Gipfel, 19. März 2009

Stenografische Mitschrift des Deutschen Bundestages


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Die Auswirkungen der Finanzmarktkrise haben die Weltwirtschaft - wir spüren das jeden Tag - mittlerweile voll erfasst. Überall gehen Investitionen und Produktion zurück. Die Arbeitslosigkeit steigt. Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank erwarten für dieses Jahr bestenfalls weltweit eine Stagnation, wahrscheinlich sogar einen Rückgang der Weltwirtschaftsleistung. Von dieser Entwicklung sind alle Wirtschaftsräume der Welt betroffen. Kein Land kann sich davon abkoppeln. Dies stärkt eben auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit gemeinsamer Antworten.

Das Motto heißt also Kooperation statt Abschottung. Das ist der einzige Weg, wieder zu Wachstum und zu Beschäftigung zu kommen. Wir alle erleben in unseren internationalen Kontakten, dass diese Erkenntnis Schritt für Schritt Eingang in konkretes Handeln findet. Dies war so bei den Gipfeltreffen der vergangenen Wochen und Monate, und ich hoffe, dies wird auch bei dem anstehenden EU-Gipfel heute und morgen und bei dem G-20-Gipfel am 1. und 2. April in London so sein.

Die Bundesregierung setzt sich mit aller Kraft dafür ein, diese Chance zum gemeinsamen Handeln zu nutzen. Wir müssen dabei zwei Fragen in den Mittelpunkt stellen. Erste Frage: Wie können wir unsere nationalen Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkrise noch besser abstimmen und bündeln, damit die in den einzelnen Staaten getroffenen Maßnahmen sich nicht gegenseitig behindern, sondern befördern; an welchen Stellen benötigen wir dazu gemeinsame europäische Regeln; gibt es gemeinsame europäische Projekte, die wir jetzt vorziehen oder zusätzlich durchführen können, die uns in Europa hinsichtlich unserer Innovationskraft wirklich voranbringen?

Genau darüber werden wir heute und morgen sprechen. Das Motto des Rates muss und sollte lauten: Wir meistern die Krise gemeinsam, und wir legen in dieser Krise den Grund, um aus ihr als Europäische Union dauerhaft gestärkt hervorzugehen.

Die zweite Frage, die wir behandeln, ist: Was müssen wir tun, um zu verhindern, dass eine solche Krise sich in Zukunft wiederholt? Dieses Thema kann nur im globalen Zusammenhang betrachtet werden. Deshalb wird es im Vordergrund des zweiten Weltfinanzgipfels Anfang April in London stehen.

Es gibt beim Europäischen Rat weitere Themen, von denen ich heute nur eines kurz anreißen möchte, nämlich die Aussagen zur Vorbereitung der Klimakonferenz in Kopenhagen. Wir haben neben den Finanz- und Wirtschaftsmaßnahmen in diesem Jahr einen entscheidenden internationalen Schritt zu meistern: die Erarbeitung eines Post-Kioto-Abkommens, also eines Folgeabkommens für das Kioto-Protokoll. Die entsprechende Konferenz wird Ende des Jahres in Kopenhagen stattfinden. Aber schon heute ist absehbar, dass wir sowohl den Gipfel in London als auch das G-8- und G-5-Treffen - also das Treffen der G 13, Stichwort: Heiligendamm-Prozess - im Sommer nutzen müssen, um die Weichen zu stellen, damit die Umweltminister Ende des Jahres auch wirklich zu belastbaren Ergebnissen kommen. An diesem Punkt wird sich genauso wie an der Frage einer Finanzmarktarchitektur zeigen, ob die Welt bereit ist, auf die globalen Fragen auch globale Antworten zu geben.

Ich füge hinzu, dass Europa sich seiner Aufgabe bewusst ist, hier eine Führungsrolle einzunehmen. Ich will allerdings auch sagen, dass wir unser Licht nicht dauernd unter den Scheffel stellen sollten. Die Europäische Union ist die einzige Staatengruppe, die klare Zusagen gemacht hat, was die Reduktionsziele anbelangt. Wir sind natürlich bereit, den Entwicklungsländern in Fragen des Klimaschutzes zu helfen. Aber schon jetzt alle Angaben zu machen, bevor zum Beispiel die Vereinigten Staaten von Amerika überhaupt ein Ziel für die mittlere Sicht - sagen wir für 2020 - erarbeitet haben, das halte ich verhandlungstaktisch für falsch. Wir können als Europäer das Problem nicht alleine lösen, aber wir wollen Vorreiter sein; das sage ich hier zu.

Meine Damen und Herren, das Zusammenwachsen der europäischen Volkswirtschaften im gemeinsamen Binnenmarkt ist die entscheidende Grundlage für Wohlstand und Wachstum unseres Kontinents. Jeder Mitgliedstaat handelt heute mit all seinen EU-Partnern mehr als mit allen anderen Ländern außerhalb der Europäischen Union. Die natürliche Folge ist, dass wir aufs Engste verflochten sind und dass sich jede Maßnahme in einem Land natürlich sofort auf die Situation in allen anderen Mitgliedstaaten auswirkt.

Deshalb ist es zwingend notwendig, dass wir uns seit Beginn der Krise laufend und intensiv im Kreis der Mitgliedstaaten - bei den Finanzministern, bei den Außenministern, auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs - abstimmen. Der französische Präsident und ich hatten deshalb Anfang März zu einem Sondertreffen eingeladen. Es ist richtig, dass wir im Mai noch einmal zu einem Sondertreffen der Europäischen Union zusammenkommen, um uns über die Beschäftigungschancen in der Krise auszutauschen.

Wir haben beim Rat im Dezember, also beim zurückliegenden Rat, innerhalb der Mitgliedstaaten mit der Kommission abgestimmt, dass wir unsere nationalen Konjunkturpakete koordinieren. Die Europäische Union hat für 2009 und 2010 einen Konjunkturimpuls von über 400 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, einschließlich der automatischen Stabilisatoren. Das sind 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union. Deutschland hat daran mit 80 Milliarden Euro einen wesentlichen Anteil. Unser Beitrag ist ausweislich der Zahlen der Kommission mit 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Jahre 2009 und 2010 beziffert. Das heißt, wir sind in der Spitzengruppe. Wir leisten Überdurchschnittliches. Ich finde das richtig, weil wir als Exportnation natürlich ein Interesse daran haben, dass die Weltwirtschaft wieder auf die Beine kommt. Wir können dies selbstbewusst sagen und deutlich machen; das halte ich für ganz wichtig.

Unsere Maßnahmen fügen sich in das ein, was die Europäische Kommission vorgegeben hat. Sie sind Anreize für zusätzliche Investitionen in Bildung und Forschung, in Infrastruktur und in Klimaschutz. Wir helfen Unternehmen, die aufgrund der Finanzmarktkrise keine Kredite bekommen, mit unserem Bürgschaftsprogramm. Wir stärken die private Nachfrage durch eine Senkung von Steuern und Abgaben, und wir sichern Beschäftigung, zum Beispiel durch die Verlängerung der Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld. Das ist im Übrigen ein Modell, das jetzt in vielen europäischen Staaten Nachahmung findet, weil es eine wirkliche Brückenfunktion im Zusammenhang mit der Krise erfüllt. Wir erleben das jeden Tag in Deutschland.

Wir folgen damit auch komplett der sogenannten Lissabon-Strategie, also der Wachstumsstrategie der Europäischen Union, die traditionell Gegenstand der Beratungen des Frühjahrsrates ist.

Elemente unserer Strategie sind Maßnahmen zur Förderung der Innovationsfähigkeit und zum Bürokratieabbau, der in Europa glücklicherweise vorankommt, sowie weitere Schritte auf dem Weg zur kohlenstoffarmen Wirtschaft. Über zusätzliche Anreize durch gemeinsame europäische Projekte werden wir auf diesem Rat diskutieren. Deutschland hat allerdings deutlich gemacht, dass wir - wir werden nur zustimmen, wenn dies Eingang in die Beschlüsse findet - zusätzliche Maßnahmen nur akzeptieren können, wenn sie 2009 oder 2010 wirklich substanziell begonnen werden; denn es macht keinen Sinn, Geld für die Jahre 2013, 2014 oder 2015 auszugeben, weil die Krise dann - davon gehen wir aus - längst überwunden sein wird. Das muss sicher sein. Dafür treten wir ein.

Es geht darum, dass wir jetzt nicht schon wieder die nächsten Konjunkturmaßnahmen fordern.

Ich halte davon überhaupt nichts. Die jetzigen Maßnahmen müssen wirken; sie müssen ihre Wirkung entfalten können. Ein Überbietungswettbewerb von Versprechungen wird mit Sicherheit keine Ruhe in die Entwicklung bringen. Deshalb halte ich es für außerordentlich gefährlich, wenn jetzt transatlantische Gegensätze aufgebaut werden. Ich bin dem amerikanischen Präsidenten sehr dankbar dafür, dass er seinerseits gesagt hat, dass es sich hierbei um eine künstliche Diskussion handelt. Wir brauchen psychologisch gute Signale von London und keinen Wettbewerb um nichtrealisierbare Konjunkturpakete. Wir haben unseren Beitrag jetzt erst einmal geleistet, und der muss wirken.

Deutschland ist in einer guten Lage, weil wir in den letzten Jahren unsere Staatsfinanzen konsolidiert haben. Dadurch haben wir haushaltspolitische Spielräume gewonnen, um in dieser Krise zu agieren. Es ist ganz wichtig, dass wir auf dem Rat, der heute und morgen stattfindet, das Signal setzen, dass wir nach der Krise zur nachhaltigen öffentlichen Finanzpolitik zurückkehren. Das ist aus meiner Sicht und aus Sicht der Bundesregierung unbedingt erforderlich, um sicherzustellen, dass Vertrauen in die Märkte hineinkommt und das Vertrauen der Bürger wächst; es wäre falsch, wenn die Angst vor zukünftigen Steuererhöhungen schon heute das Konsumverhalten bestimmen würde.

Deshalb ist es ein elementarer Fortschritt, dass es in der Föderalismuskommission II gelungen ist, im Grundgesetz eine Schuldenbremse zu verankern, über die wir nächste Woche debattieren werden. Ich möchte mich ganz herzlich bei Herrn Struck und bei Herrn Oettinger dafür bedanken, dass sie diese Föderalismuskommission zum Erfolg geführt haben.

Wir hätten vielleicht kein Ergebnis bekommen, wenn die Zeiten ganz normal gewesen wären. Dass wir in dieser Krise die Kraft aufgebracht haben, diese Maßnahmen zu vereinbaren, ist etwas, was international sehr wohl registriert wird; es findet allerdings auf internationaler Ebene leider noch nicht so viele Nachahmer, wie ich mir das wünschen würde. Deutschland kann und sollte hierfür wirklich werben.

Wir werden uns auf dem Europäischen Rat über die verschiedenen Maßnahmen austauschen. Wir werden noch einmal deutlich machen, dass die Abschottung von Märkten oder die Diskriminierung im europäischen Binnenmarkt kontraproduktive Verhaltensweisen sind - das sind die falschen Antworten auf die Krise - und dass es in dieser Krise nicht um Subventionswettläufe gehen kann, weil auch das das Vertrauen zerstört. Das heißt, wir müssen die grundlegenden Ordnungsprinzipien einhalten, die glücklicherweise durch die Europäische Union vorgegeben sind. Die Europäische Kommission ist die Hüterin der Verträge. Die Regeln des europäischen Binnenmarktes haben sich in den vergangenen Jahrzehnten bewährt, und sie haben auch in der Krise Gültigkeit.

Allerdings sage ich auch: Die Kommission tut gut daran, wenn auch sie auf diese krisenhafte Situation reagiert. Das gilt für Bearbeitungszeiträume, und das gilt zum Teil für Lockerungen im Beihilferecht. Ich sage ausdrücklich, dass dies befristet sein sollte.

Das gilt für Ausschreibungsmöglichkeiten, die beschleunigt werden müssen. Dabei müssen die Flexibilitätsinstrumente, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt vorsieht, genutzt werden.

Ein ganz wesentlicher Punkt, den Deutschland im Ecofin-Rat schon eingebracht hat und auf dem Europäischen Rat noch einmal einbringen wird, ist, dass wir sicherstellen müssen, dass die prozyklischen Wirkungen des Basel-II-Abkommens - verständlicher gesagt: die Tatsache, dass sich die Kreditbedingungen in der Krise immer weiter verschärfen, wenn eine Branche in einer schwierigen Situation ist - befristet ausgesetzt werden, damit wir nicht im Frühjahr oder Sommer in eine Kreditklemme geraten, die sozusagen durch Basel II selbst erzeugt ist.

Wir werden sehr dafür kämpfen, das durchzusetzen. Das kann mehr wert sein als manch weiteres Konjunkturprogramm. Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass unsere amerikanischen Partner Basel II nie vollständig umgesetzt haben und dass es dadurch einen extremen Wettbewerbsunterschied gibt. Das können wir uns in der jetzigen Situation nicht leisten.

Wir werden ein klares Bekenntnis zum Stabilitäts- und Wachstumspakt abgeben. Wir werden von deutscher Seite die Kommission ermuntern, die öffentlichen Haushalte in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr sorgfältig zu überprüfen und Wert darauf zu legen, dass nach der Krise ein Ausweg zu soliden Finanzen gefunden wird. Das Beispiel des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts zeigt ebenso wie die Regeln des Binnenmarktes, dass Europa uns einen gemeinsamen Handlungs- und Orientierungsrahmen bietet, den wir natürlich nutzen wollen und der uns zu einem kohärenten und gemeinschaftlichen Verhalten und Handeln bringt.

Wir müssen konstatieren, dass einige Mitgliedstaaten - nicht nur Unternehmen, nicht nur Banken, sondern auch Mitgliedstaaten - in eine Notsituation geraten sind. Diese Mitgliedstaaten können - das haben wir immer wieder deutlich gemacht - auf unsere Solidarität zählen. Wir haben uns bereits im Dezember des vergangenen Jahres darauf verständigt, dass wir versuchen, die Strukturfonds insbesondere für die mittel- und osteuropäischen Länder schneller zur Umsetzung zu bringen. Auch hier ist die Kommission gefordert, bürokratische Hemmnisse abzubauen. Es liegt nicht immer nur an den Mitgliedstaaten, sondern zum Teil auch an der Möglichkeit, diese Strukturfonds überhaupt anzuwenden. Den Mitgliedstaaten, die finanziell in Not geraten sind, werden wir helfen. Wir haben dies bereits an den Beispielen Ungarn und Lettland gezeigt; wenn es andere Mitgliedstaaten trifft, wird das auch dort der Fall sein.

Wir haben seitens der Bundesregierung verabredet, dass wir gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Entwicklungsbank darüber sprechen, wo und wie wir bei der Restrukturierung der Bankenlandschaft in den mittel- und osteuropäischen Ländern eventuell Hilfe leisten können. Denn die mittel- und osteuropäischen Länder sind für uns ein wichtiger Exportmarkt. Wenn dort die Kreditvergabe und die Finanzkreisläufe völlig zum Erliegen kommen, ist das nicht nur ein Schaden für diese Länder, sondern dann zeigt sich, dass es auch in unserem Interesse ist, dass wir dort tätig werden. Deshalb wollen wir durchaus helfen.

Aber wir müssen - auch in Richtung der Länder, die sich im Augenblick mit politischen Entscheidungen leider sehr schwer tun - sagen: Die wesentliche Verantwortung liegt bei den Mitgliedstaaten bzw. Ländern, denen wir helfen. Ich denke, dass wir zum Beispiel in Bezug auf die Ukraine alles unternehmen sollten, damit die notwendigen Handlungen dort erfolgen und das Land nicht immer weiter in Schwierigkeiten gerät.

Meine Damen und Herren, neben dem aktuellen Krisenmanagement werden wir heute und morgen auch beraten, welche Lehren wir aus der Entstehung der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise ziehen. Denn es muss uns gelingen, derartige Krisen in der Zukunft zu vermeiden. Es ist ganz offensichtlich, dass der bisherige Finanzmarktrahmen nicht mit der Globalisierung der Finanzmärkte Schritt gehalten hat. Es gibt dafür eine Vielzahl von Ursachen: Regelungsdefizite und völlig falsch gesetzte Anreize. Das alles hat zu einer verhängnisvollen Kettenreaktion geführt, die die gesamte Weltwirtschaft in diese Krise gestürzt hat. Zur Wahrheit gehört die Tatsache - es macht keinen Sinn, darum herumzureden -, dass manche Fehlanreize und Regelungsdefizite zum Teil politisch unterstützt und nicht bekämpft wurden. Die Politik kann sich an dieser Stelle nicht herausreden und sagen, dass sie von nichts gewusst hat.

Deutschland gehörte zu denen, die in diesem Zusammenhang vieles angemahnt haben.

- Auch wenn Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, kann ich Ihnen nur sagen, dass es so war. Aber Sie wissen es offenbar besser.

Meine Damen und Herren, was die Dimension der Krise, die wir derzeit erleben, angeht, stelle ich fest: Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um den Aufbau einer neuen, noch nicht existierenden internationalen Finanzmarktverfassung. Dies steht auch im Vordergrund des G-20-Teffens Anfang April dieses Jahres.

Der erste Weltfinanzgipfel im November vergangenen Jahres in Washington war ein Meilenstein. Dort wurde zum ersten Mal ein Aktionsplan zur Neugestaltung der Finanzmärkte verabredet. Dieser Aktionsplan ist sehr konkret und umfasst knapp 50 Punkte. Wir haben uns damals darauf geeinigt, den wirtschaftlichen Ordnungsrahmen den globalen Bedingungen anzupassen und für eine lückenlose Regulierung bzw. Aufsicht der Finanzmärkte zu sorgen.

Der Londoner Gipfel wird natürlich ein Stück weit als Beweis dafür dienen, ob wir wirklich in der Lage sind, das, was wir uns vorgenommen haben, umzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, habe ich die europäischen G-20-Teilnehmer eingeladen, um sich auf eine gemeinsame europäische Position zu einigen. Wir werden das auf dem Europäischen Rat noch einmal bekräftigen. Die Finanzminister haben erhebliche Vorarbeiten geleistet. Ich glaube, man kann sagen, dass die Fortschritte sichtbar sind, dass wir aber noch nicht am Ende dessen sind, was wir in London erreichen wollen.

Wir haben uns darauf verständigt, dass Orte, Akteure und Produkte der Transparenz und Überwachung bedürfen. Gerade im Hinblick auf Steueroasen sage ich, dass es richtig und unabdingbar ist, Ross und Reiter beim Namen zu nennen. Allein diese Androhung hat bereits dazu geführt, dass sich viele Staaten, insbesondere im europäischen Raum, zu Wort gemeldet und dazu beigetragen haben, dass die OECD-Standards anerkannt werden.

Ich hoffe, dass uns in London ein wesentlicher Schritt gelingt. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind.

Deutschland wird auf jeden Fall Wert darauf legen - darüber habe ich neulich auch mit dem französischen Präsidenten gesprochen -, dass auf dem Londoner Gipfel die Frage ?Welche Lehren ziehen wir aus dieser Krise? in den Mittelpunkt gerückt wird und man sich nicht nur mit aktuellen Fragen der Krisenbekämpfung beschäftigt. Das halte ich für sehr wichtig.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns die Ursachen dieser Krise vergegenwärtigen, stellen wir fest: In Wahrheit ist sie das Ergebnis langfristiger Entwicklungen, die immer wieder zugelassen haben, dass Länder über ihre Verhältnisse gelebt haben. Deshalb halte ich die deutsche Schlussfolgerung, eine Schuldenbremse zu verankern, auch wenn dieser Weg mühevoll wird und viele schon heute besorgt sind, welche Folgen sie in den nächsten Jahren für unsere Haushalte haben wird, für sehr wichtig.

Wir können nicht so weitermachen wie bisher und sozusagen von Krise zu Krise eilen. Wenn wir uns die Vergangenheit vor Augen führen, stellen wir fest: Ende der 90er-Jahre haben wir eine schwere Asien-Krise erlebt. Anfang des 21. Jahrhunderts gab es die sogenannte New-Economy-Krise. Jetzt befinden wir uns in einer noch schlimmeren weltweiten Krise. Wir müssen alles tun - das beschäftigt mich sehr, weil wir darüber kontroverse Auseinandersetzungen führen und manchmal vielleicht auch als diejenigen dastehen, die nicht bereit sind, so viel auszugeben wie andere -, damit wir nicht geradezu gesetzmäßig in die nächste Krise laufen. Wir haben inzwischen drei große Krisen erlebt. Wenn die Menschheit daraus nicht die richtigen Lehren zieht, dann hat sie nichts verstanden. Die Folgen wären wirklich schwerwiegend.

Da unsere Aufgabe nicht nur darin besteht, Finanzprodukte und Finanzmärkte zu regulieren, habe ich vorgeschlagen, dass wir gemeinsam eine Charta des nachhaltigen Wirtschaftens entwickeln.Das hat bei den europäischen G-20-Teilnehmern große Zustimmung gefunden. Ich hoffe, dass wir uns dies in London vornehmen können.

Nachhaltiges Wirtschaften heißt, Prinzipien festzulegen, die verhindern, dass wir dauerhaft über unsere Verhältnisse leben und dass wir Ressourcen in Anspruch nehmen, die wir nicht regenerieren können. Nur wenn sich die Welt gemeinsam auf einen solchen Anspruch verständigt, wird es möglich sein, in der Zukunft Krisen zu verhindern.

Globalisierung bedeutet, dass wir uns das nicht alleine vornehmen. Jedes Land muss natürlich seinen Beitrag leisten. Globalisierung bedeutet aber eben auch, dass wir miteinander, international, verabreden müssen, dass keiner von diesen Standards abweicht. Es reicht nicht, zu sagen, dass kein Land eine Steueroase sein darf. Darüber hinaus müssen sich alle zum nachhaltigen Wirtschaften verpflichten.

Ich bin also der Meinung, dass wir alle Möglichkeiten haben, statt Angst und Ohnmacht Zuversicht und aktives Handeln zu gestalten. Es muss der Wille dazu da sein. Ich sage für die Bundesregierung, dass dieser Wille da ist. Ich sage auch, dass wir mit unserer Erfahrung im 60. Jahr der Bundesrepublik Deutschland und mit über 60 Jahren Erfahrung mit der sozialen Marktwirtschaft einen Beitrag dazu leisten können. Das heißt, dass der Staat bereit ist, als Hüter der Ordnung aufzutreten, und das heißt, dass sich Staaten in der globalen Welt gemeinsam darauf verständigen, Institutionen zu akzeptieren, die überwachen und kontrollieren, ob die Staaten die gemeinsam verabschiedeten Prinzipien einhalten.

Die wesentliche Frage ist: Gibt es eine solche Bereitschaft? Die europäischen Mitgliedstaaten kennen sich damit aus. Sie haben Aufgaben an die Europäische Kommission und an das Europäische Parlament abgegeben. Es ist uns nicht immer leichtgefallen, aber es hat die Grundlage dafür geschaffen, dass wir heute in der Europäischen Union gemeinschaftlich agieren können. Dieser Prozess muss sich vollziehen, auch auf der internationalen Ebene. Wir werden mit unseren nationalen Erfahrungen mit der sozialen Marktwirtschaft und mit der Erfahrung aus der europäischen Zusammenarbeit unseren Beitrag dazu leisten. Ich glaube, dass wir dazu die Unterstützung dieses Hohen Hauses haben.

Herzlichen Dank.


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Quelle:
Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Europäischen
Rat und G20-Gipfel, 19. März 2009
Stenografische Mitschrift des Deutschen Bundestages
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2009