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REDE/739: Merkel - Ausstellung "Sechzig Jahre. Sechzig Werke. ...", 30.04.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zur Eröffnung der Ausstellung
"Sechzig Jahre. Sechzig Werke. Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland"
am 30. April 2009 in Berlin


Sehr geehrter Herr Diekmann,
sehr geehrter Herr Großmann,
sehr geehrter Herr Smerling,
liebe Kollegen Thomas de Maizière und Bernd Neumann,
liebe Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
vor allen Dingen Sie alle, die Freunde der Bundesrepublik Deutschland
und der Kunst, die dazu gehört!

Der Parlamentarische Rat hat am 23. Mai 1949 in Bonn das Grundgesetz verkündet. In Artikel fünf, Absatz drei des Grundgesetzes heißt es: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei." Das war die Grundlage dafür, dass die Kunst entstehen konnte, die hier aus 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland gezeigt wird - aus über 40 Jahren aus einem Teil Deutschlands, heute seit fast 20 Jahren nunmehr aus ganz Deutschland -, in der Kunst und Kultur einfach zum Leben gehören wie die Luft zum Atmen.

Ich will mich nicht allzu weit darüber auslassen, was diese Ausstellung über Kunstbetrachtungen zeigt. Es sind genügend Sachkenner und Kunstschaffende hier. Diese Ausstellung zeigt Folgendes:

Erstens. Spontane Ideen, kurzfristige Ideen sind oft gute Ideen.

Zweitens. Allen Unkenrufen zum Trotz kann man sie auch in Deutschland noch umsetzen. Die Deutschen schaffen es - das zeigen diejenigen, die diese Ausstellung nach vorne gebracht haben - und zeigen, dass man Mut zur Lücke beweisen kann.

Lieber Herr Diekmann, ich will nicht sagen, dass das die ganze Sache bildfähig macht. Aber das war sicherlich eine Möglichkeit, Kunst vielen Menschen nahe zu bringen, die sonst vielleicht einen Bogen um solche Ausstellungen machen. Deshalb kann man hier wahrscheinlich mehr und konzentrierter über Kunst lernen als in vielen anderen Ausstellungen, wenn man sich für die Kunst der Bundesrepublik Deutschland interessiert. Ich habe mir sagen lassen, dass extra eine Besucherschule entwickelt wurde und die wahrscheinlich so etwas wie einen kleinen Geschichtskurs bietet.

Diese Ausstellung ist ein Beweis für das, was man "Public Private Partnership" nennt, also für eine gute Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Institutionen. Sie zeigt auch, dass es viele Menschen in unserem Land gibt, die leidenschaftlich sind und schnell etwas auf die Beine stellen können.

Gerhard Richter hat gesagt: "Kunst ist die höchste Form der Hoffnung." Seiner Ansicht nach ist gerade auch Kunst "die Sehnsucht nach verlorenen Qualitäten, nach einer besseren Welt, nach dem Gegenteil von Elend und Aussichtslosigkeit".

Ich glaube, deshalb ist diese Ausstellung auch in dieser Zeit, in der ja unsere Bundesrepublik wieder einmal einer Bewährungsprobe ausgesetzt ist, ein ganz wichtiges Beispiel, um noch einmal zurückzuschauen, was unter anderen Umständen in einem zerstörten Deutschland geleistet wurde - in einem Deutschland, das erst wieder auf die Beine kommen musste, das nach dem Nationalsozialismus in Schutt und Asche lag, das aber aus dieser Ödnis und aus diesen Schrecken einen Weg herausgefunden hat. "Stillleben mit Häuserblick" - das ist das erste Bild dieser Ausstellung - gibt uns eine Assoziation dazu.

Wir haben vieles in der Bundesrepublik Deutschland erlebt. Ich als jemand, der damals auf der anderen Seite der Mauer gelebt hat, darf sagen: Selbst aus der Entfernung betrachtet war es gut, dass es die Bundesrepublik gab. Es war ein Stück Trost und Hoffnung, dass man mit der deutschen Staatsbürgerschaft - das wird oft unterschätzt, dass sie sozusagen passiv auch in der DDR existierte - immer einen Ausweg in der größten Not hatte. Einige Künstler stehen dafür, die es geschafft haben, in die Freiheit zu gehen. Sie brauchten sie, um überhaupt etwas leisten zu können. Ich glaube, dass wir daraus auch Kraft für die Aufgaben schöpfen können, die jetzt vor uns liegen. Denn manchmal hat man ja nach der deutschen Wiedervereinigung gedacht: Die wichtigen geschichtlichen Aufgaben sind gelöst, der Kalte Krieg ist zu Ende, die Freiheit hat gesiegt. Sie hat auch bei uns gesiegt. Glücklicherweise können heute 80 Millionen Menschen in Freiheit leben. Aber unsere Generation hat eben auch noch Aufgaben.

Ich wünsche mir, dass man, wenn der 70. und 80. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland gefeiert werden, dann sagen kann: Auch in dieser Zeit, die durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise natürlich einen Einschnitt erfährt, hat uns Kunst ein Stück Hoffnung gegeben und uns gezeigt, dass es immer eine Vision geben muss und dass man daraus Kraft schöpfen kann.

In diesem Sinne wünsche ich dieser Ausstellung von ganzem Herzen viele Besucher und viel Freude beim Betrachten der Werke! Ich freue mich jetzt auch darauf, einige davon zu sehen. Wer eine ganz spezielle Zeitreise durch die Bundesrepublik Deutschland erleben möchte, der sollte in diesen Tagen diese Ausstellung besuchen. Herzlichen Dank dafür, dass Sie an Ihre Arbeit geglaubt haben!

Abschließend noch eine Bemerkung: Ich will den Nimbus der Geschichtserzählung nicht stören. Es ist ja ein beliebtes Instrument, eine Variante der Geschichte zu erzählen, um auf einen Widerruf zu hoffen und damit dann die Wahrheit zu erfahren. Ich darf sagen: Herr Diekmann hat nahezu alles richtig erzählt. Es war nur in Prag und nicht in Straßburg einen Tag später. Es ist ein Stück deutsch-französischer Freundschaft, die uns Deutschen und der Bundesrepublik Deutschland ja auch so viel nach dem Zweiten Weltkrieg geholfen hat, die es möglich gemacht hat, dass wir jetzt für eine Zeit lang Beuys und sein Klavier hier haben. Nach der Ausstellung werden wir es dann dem Centre Pompidou natürlich wieder zurückgeben.


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Quelle:
Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zur Eröffnung der Ausstellung
"Sechzig Jahre. Sechzig Werke. Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland"
am 30. April 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2009