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REDE/835: Zu Guttenberg zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2010, 11.06.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 20. Januar 2010 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Am 19. Mai dieses Jahres hat die Bundesregierung den Entwurf eines Wehrrechtsänderungsgesetzes 2010 beschlossen, um den Wehrdienst und in dessen Folge auch den Zivildienst auf sechs Monate zu verkürzen. Ich bin dankbar, dass dieser Gesetzentwurf vonseiten der Fraktionen der CDU/CSU und FDP aufgegriffen wurde und jetzt auch aus der Mitte des Parlaments eingebracht wird. Damit sind wir in der Lage, das Gesetzgebungsverfahren zu beschleunigen. Dies entsprach und entspricht der Zielsetzung der Bundesregierung.

Bei dem Wehrrechtsänderungsgesetz ging es immer auch um Planungssicherheit für die betroffenen jungen Männer. Es ist mir daher besonders daran gelegen, dass wir das Verfahren auch im Interesse der Betroffenen möglichst rasch zum Abschluss bringen. Frühzeitige Planungssicherheit ist für die von Wehrpflicht und Zivildienst betroffenen jungen Männer ungemein wichtig.

Mit dem Gesetzentwurf liegt zudem ein tragfähiges Konzept zur Ausgestaltung des ambitionierten kürzeren Wehrdienstes vor, das auch die Anliegen des Zivildienstes, wie insbesondere die vorgesehene Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes, entsprechend berücksichtigt. Das ist ein Anliegen, für das die Frau Kollegin Schröder gekämpft hat, die sich dazu sicher auch noch äußern wird.

Ungeachtet der aktuellen Entwicklungen behält der Gesetzentwurf seine Aktualität. Gerade angesichts der anstehenden Reform der Bundeswehr, die zu einem gewissen Zeitpunkt auch einen Anpassungsbedarf bei der Wehrform zur Folge haben kann, ist es wichtig, dass die ab 1. Juli dieses Jahres Einberufenen auch für ihre private Lebensplanung jedenfalls Klarheit darüber haben, wie lange sie zu dienen haben. Diese Klarheit und entsprechend auch diese Planungssicherheit sind wir unseren Wehrpflichtigen schuldig.

Allein deshalb hatten wir den Kompromiss zur Stichtagsregelung ab 1. Juli 2010 für die erstmalige Einberufung zu W 6 akzeptiert - wir haben das intensiv auch zwischen und mit den Fraktionen diskutiert -, obwohl hierdurch - das muss man sagen - auch die Anstrengungen für die Bundeswehr bei der Umsetzung spürbar erhöht werden; aber es ist machbar und durchführbar.

Die allgemeine Wehrpflicht war in der über 50-jährigen Geschichte der Bundeswehr immer die richtige Wehrform und weitestgehend eine Erfolgsgeschichte. Die Zusammensetzung unserer Streitkräfte aus Berufs- und Zeitsoldaten, Grundwehrdienst und freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst Leistenden sowie Reservisten hat entscheidend zu den beiden auch international anerkannten Markenzeichen der Bundeswehr beigetragen: hohe Professionalität und feste Verankerung in Volk und Staat.

Ich war und bin daher ein grundsätzlicher Befürworter der allgemeinen Wehrpflicht. Es ist gerade die Zielsetzung der Verkürzung des Grundwehrdienstes, die allgemeine Wehrpflicht auch unter den modernen Rahmenbedingungen und einer möglichst geringen Belastung aufrechtzuerhalten.

Sie wissen aber auch, dass Grundlage für unsere bisherigen Planungen ein Streitkräfteumfang von insgesamt 225.000 Soldatinnen und Soldaten war.

Nun sind zwei Gesichtspunkte miteinander in Verbindung zu bringen:

erstens eine grundlegende Strukturreform, die bereits zu Beginn auch meiner Amtszeit in ihrer Ausgestaltung und mit Blick auf die Einrichtung einer Kommission auf den Weg gebracht wurde - es ist unbestritten, dass die Bundeswehr strukturell reformiert werden muss -,

und zweitens der Umstand, dass auch der Verteidigungshaushalt seinen Beitrag zur allgemeinen Haushaltskonsolidierung leisten muss. Auch die Bundeswehr bleibt nicht von den gegebenen finanzpolitischen Zwängen und Entwicklungen unberührt.

Allerdings dürfen nicht die finanzpolitischen Zwänge und Entwicklungen allein die künftige Struktur der Bundeswehr bestimmen, sondern die künftige Struktur der Bundeswehr muss sich letztlich aus ihrem Auftrag, ihren Zielsetzungen und den künftigen Herausforderungen definieren. Das ist der entscheidende Punkt.

Ich vertrete von daher die Position, dass letztendlich der entscheidende Maßstab für die Bundeswehr erfüllbar bleiben muss, nämlich die Fähigkeit zum Einsatz im Rahmen des gegebenen und auch des künftigen Aufgabenspektrums. Ein Denken vom Einsatz her ist etwas, was wir letztlich schon seit 20 Jahren als Realität begreifen müssen, auch wenn wir uns einige Male unglaublich schwergetan haben, dieser Realität nachzukommen. Es ist Realität, und es wird Realität bleiben.

Wenn ich von der Fähigkeit zum Einsatz spreche, dann ist es für mich selbstverständlich, dass Einsätze unserer Soldatinnen und Soldaten nicht nur rechtlich und politisch legitim, sondern immer auch militärisch vertretbar und verantwortbar sein müssen. Dies bedeutet nicht allein eine angemessene Ausrüstung - das selbstverständlich in besonderer Weise -, sondern auch hinreichende Ausbildungs- und Trainingsmöglichkeiten, richtige Laufbahn- und Personalstrukturen sowie bestmögliche soziale und materielle Rahmenbedingungen. Gerade letztere haben eine bedeutende Auswirkung auf die Sicherstellung der Motivation und damit auf die Fähigkeit, im Einsatz zu bestehen und richtig zu handeln. Dies unter den gegebenen wie künftigen nicht nur finanziellen Bedingungen zu leisten, ist eine erhebliche Herausforderung.

Entsprechend der Beschlussfassung, die wir in der Bundesregierung einvernehmlich getroffen haben, werden jetzt Konsequenzen und Auswirkungen von strukturellen Überlegungen und von Einsparleistungen im Verteidigungsetat auf die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit unseres Landes, auf den möglichen Personalumfang der Bundeswehr, ihre Struktur und die Wehrform geprüft und bewertet.

Feststellen kann ich schon jetzt, ohne hier ein endgültiges Ergebnis vorwegnehmen zu können, dass Einsparungen im Verteidigungsetat, die kurzfristig wirksam werden, in nennenswertem Umfang kurzfristig nur im Bereich des Personals zu erzielen sind. Von daher führt aller Wahrscheinlichkeit nach an einer erheblichen Personalreduzierung kein Weg vorbei. Wenn wir über künftige Strukturen nachdenken und eine entsprechend gut ausgestattete, aber auch den Einsätzen nachkommende Bundeswehr haben wollen, ist es allerdings wichtig, dass der Weg in diese Richtung weist und wohl auch weisen muss. Das kann durchaus zur Folge haben, dass mit Blick auf das Gesamtpersonalgefüge sich der Grundwehrdienst nicht, jedenfalls nicht mehr in der jetzt vorgesehenen Form, aufrechterhalten lässt. Aber wir nehmen uns Zeit, die künftige Ausgestaltung entsprechend ergebnisoffen zu diskutieren. Wir werden - das ist wichtig - dieses Thema in den nächsten Wochen und Monaten gemeinsam mit dem Parlament diskutieren.

Aber bei geringer werdendem Gesamtumfang und gleichzeitig unverändertem Fortbestand der Wehrpflicht muss berücksichtigt werden, dass möglicherweise zu viele der länger dienenden Soldaten durch rein wehrpflichtspezifische Aufgaben wie Ausbildung und Führung der Rekruten gebunden wären. Die damit verbundene enorme Kraftanstrengung würde an die Grenze ihrer Vertretbarkeit, aber auch ihrer Vermittelbarkeit in der Truppe stoßen. Auch diese Diskussion ist zu führen. Wir müssen aufpassen, dass wir keine Ressourcen blockieren. Wir müssen darauf achten, dass wir nicht solche Ressourcen blockieren, die zwingend für kritische Einsätze oder deren Vorbereitung benötigt werden.

Ich habe daher in meinem Hause auch dazu eine ergebnisoffene Prüfung angewiesen, die aber auch keine Tabus und Denkverbote enthält. Ich glaube, das ist wichtig und richtig. Von daher lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht voraussehen, für wie lange wir den heute vorliegenden Gesetzentwurf wirklich in der Praxis umsetzen. Umso erforderlicher ist es aber, ihn zügig umzusetzen, gerade mit Blick auf die Planungssicherheit für die betroffenen jungen Männer.

Ich bitte Sie, das Gesetzgebungsverfahren, wie vorgesehen, weiter zu betreiben. Wir entsprechen damit dem Ziel der Rechts- und Planungssicherheit für diese jungen Männer. Es steht dann in jedem Fall fest, dass die zum 1. Juli Einberufenen nur noch einen Grundwehrdienst oder Zivildienst von sechs Monaten ableisten müssen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 67-1 vom 11.06.2010
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg,
zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 11.
Juni 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2010