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REDE/843: Thomas de Maizière zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag, 16.09.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière, zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 16. September 2010 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Der Einzelplan des Bundesministeriums des Innern hat im Haushaltsentwurf des Jahres 2011 ein Volumen von 5,4 Milliarden Euro. Das sind 105 Millionen Euro weniger als im Soll des Jahres 2010. Für einen kleinen und vergleichsweise personalintensiven Haushalt ist das ein respektabler, spürbarer Beitrag zur Sanierung des Bundeshaushalts. Er ist notwendig, aber nicht in allen Politikfeldern leicht umzusetzen.

Lassen Sie mich zu einigen wenigen inhaltlichen Schwerpunkten des Geschäftsbereichs ein paar Worte sagen. Dabei geht es wahrlich darum - ich weiß nicht, ob die Abgeordnete Högl noch anwesend ist -, wer sich innerhalb der Bundesregierung gegen wen durchsetzt, sondern darum, wie die Justizministerin und der Innenminister gemeinsam für mehr Freiheit und Sicherheit in unserem Land sorgen. Das ist unsere Aufgabe, und der stellen wir uns.

Zu Migration und Integration. Darüber haben wir in den vergangenen Wochen in verschiedenen Foren intensiv diskutiert. Das ist sicher eine der Kernfragen unserer Zeit. Ja, es gibt heute Defizite. Ja, es gab in der Vergangenheit Fehler. Da wurde so manche Chance verpasst. Aber seit einigen Jahren arbeiten wir entschlossen an Lösungen, und das lassen wir uns auch nicht nehmen.

Migration und Integration sind untrennbar miteinander verbunden. Wir müssen sachlich, fair und wahrhaftig diskutieren und an Lösungen arbeiten. Wir müssen auch klar differenzieren: Wir fördern die ganz große Mehrheit der integrationsbereiten Ausländer und Migranten durch eine Fülle von Angeboten. Von der kleinen Minderheit der Integrationsunwilligen fordern wir mehr Anstrengungen. Diese Forderungen müssen wir notfalls auch mit Sanktionen durchsetzen.

Wer eine neue Heimat gefunden hat, der muss auch heimisch werden wollen. Wer heimisch wird, muss seine Herkunft nicht verleugnen. Im Gegenteil; gerade darin liegt ja auch die kulturelle Bereicherung. Aber es gelten die Regeln der neuen Heimat und nicht mehr die Regeln der Herkunft.

Die Integrationskurse sind das wichtigste integrationspolitische Förderinstrument des Bundes. Die Teilnahme daran ist teilweise verpflichtend. Deutschkenntnisse sind die Grundvoraussetzung für jede Form von Integration. Viele Migranten nehmen erfolgreich an den Kursen teil. Diese Integrationskurse umfassen nicht nur einen Deutschkurs im Umfang von rund 600 Stunden, sondern auch einen Orientierungskurs über Geschichte, Recht und Kultur in Deutschland.

Der Haushaltsentwurf 2011 sieht - trotz der sonst zum Teil unvermeidlichen Haushaltskürzungen - für diese Integrationskurse den gleichen Ansatz in Höhe von 218 Millionen Euro vor wie der Haushalt für dieses Jahr. Dies wurde auch durch eine Hilfe aus dem Bildungsbereich von Frau Kollegin Schavan möglich, wofür ich dankbar bin.

Rund 30 Prozent der Verpflichteten nehmen an diesen Kursen nicht über die gesamte Dauer oder gar nicht teil. Darüber müssen wir in Deutschland offen reden. Wir haben Sanktionen. Sie reichen von der Verhängung eines Bußgelds über die Kürzung des SGB-II-Satzes bis hin zu der Möglichkeit der Veränderung des Aufenthaltsstatus und Ausweisung. Wir haben hier überwiegend kein Gesetzesproblem, sondern ein Vollzugsproblem.

Die Anwendung obliegt im Wesentlichen den 600 Ausländerbehörden in Deutschland. Die Frage, ob, in welchem Umfang und warum nicht von solchen Sanktionsmöglichkeiten Gebrauch gemacht worden ist, werde ich versuchen zu beantworten. Ich werde dies bei der nächsten Innenministerkonferenz im Gespräch mit meinen Kollegen zum Gegenstand machen und dann gerne die Öffentlichkeit darüber unterrichten. Zum Thema der öffentlichen Sicherheit. Deutschland bleibt eines der sichersten Länder der Welt. Die polizeilich registrierte Kriminalität ist und bleibt rückläufig. Dennoch gibt es eine Reihe von Entwicklungen, die mir Sorgen machen. Wir können sie aus Zeitgründen hier jetzt nicht im Einzelnen und umfänglich bereden. Über das Thema Gewalt war eben schon gesprochen worden. Ich nenne die Themen organisierte Kriminalität, Terrorismus und Internetkriminalität.

Bezüglich des Terrorismus bestätigen auch jüngere Beobachtungen unserer Sicherheitsbehörden: Der internationale Terrorismus stellt nach wie vor eine ernst zu nehmende Bedrohung für die Sicherheit unseres Landes und das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger dar. Im Fokus unserer Sicherheitsbehörden befinden sich knapp über 1.000 Personen, über die sicherheitsrelevante Hinweise und Erkenntnisse vorliegen. 130 Personen davon werden als sogenannte Gefährder eingestuft, knapp 280 als sogenannte relevante Personen. Dass sich nähere öffentliche Informationen darüber verbieten, liegt in der Natur der Sache. Aber niemand soll daraus, dass nicht viel darüber geredet wird, schließen, dass nicht Tag und Nacht daran gearbeitet wird. Erfolgreich ist das im Übrigen nur - das sage ich der Opposition mit Blick auf einen anderen Kontext der letzten Wochen -, wenn alle Sicherheitsbehörden, selbstverständlich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten, sehr eng zusammenarbeiten.

Zu den zwei Guantánamo-Häftlingen möchte ich nur zwei Worte sagen.

Erstens. Ja, sie sind da.

Zweitens. Ich richte an alle die Bitte, sie in Ruhe zu lassen.

Besondere Sorge bereitet mir die Entwicklung im Zusammenhang mit der Internetkriminalität. Im Jahr 2009 haben wir im Bereich der engeren IuK-Kriminalität - Herr Mayer hat darauf hingewiesen - einen Anstieg von rund einem Drittel zu verzeichnen. Kinderpornografie, Bot-Netze und Wirtschaftskriminalität sind da Stichworte. Eines ist jedoch klar: Ohne die notwendigen rechtlichen Befugnisse machen wir den Ermittlern ihre Arbeit teilweise fast unmöglich. Deswegen halte ich es für zwingend erforderlich, dass wir uns rasch auf eine Neuregelung der Mindestspeicherungsfristen für Telekommunikationsverbindungsdaten einigen. Wenn man einen neuen Begriff findet, ist das vielleicht ein Weg zu einem neuen Denken. Aber dass wir alle Debatten, die wir zu führen haben - es ist auch kein Geheimnis, dass wir sie führen -, in Anwesenheit der Öffentlichkeit vor dem Deutschen Bundestag führen, das werden Sie jedenfalls bei mir nicht erleben.

Freiheit und Sicherheit sind elementare Werte unseres Zusammenlebens, auch im Internet. Wir müssen diese Werte auch im Internet sicherstellen. Das Internet ist eine kritische Infrastruktur wie die Strom- und Wasserversorgung. Das hat erhebliche Folgen. Kritische Infrastrukturen müssen zuverlässig zur Verfügung stehen. Dies ist auch eine Aufgabe der Daseinsvorsorge der öffentlichen Hand. Was das im Einzelnen bedeutet, wird uns in den nächsten Jahren noch intensiv beschäftigen. Daran arbeiten wir: sichere Regierungsnetze, europäische Zusammenarbeit, Abwehr von Angriffen auf das Regierungsnetz und andere Angriffe, die Bot-Netz-Initiative, der neue Personalausweis, das De-Mail-Gesetz.

Das Internet ist ein sehr freiheitliches Medium. Diese Freiheit müssen wir bewahren und schützen, und zwar vor einzelnen Unternehmen, die ihre Marktmacht ausspielen wollen, ebenso wie vor dem individuellen Missbrauch durch Kriminelle. Es gibt eine breite Debatte um die zentralen Zukunftsfragen unserer Informationsgesellschaft.

Google Street View ist nur ein Wimpernschlag im Internetzeitalter. Es geht nicht nur um Fassaden und öffentliche Plätze. Es werden neue Dienste entwickelt und Verknüpfungen hergestellt, die eine weit größere Auswirkung auf das Leben des Einzelnen haben als die reine Abbildung von Häuserfassaden. Gefragt sind Nüchternheit und Klarheit beim Blick auf die Chancen und auf die Risiken.

Wir müssen darauf achten, dass wir mit einer gesetzgeberischen Reaktion nicht die Maßstäbe verrücken. Alles, was wir tun, muss vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklungen auch durchsetzbar sein. Wir brauchen deswegen eine angemessene Balance zwischen Offenheit für Informationen, für Innovationen, für das offensichtliche Informationsinteresse der Bürger, aber auch für den Schutz der Privatsphäre und legitimer Sicherheitsinteressen.

Am kommenden Montag werden wir bei einem von mir initiierten Treffen Eckpunkte für künftige Regelungen beraten, welche alle Geodaten und vor allem ihre Verknüpfung im Internet in den Blick nehmen.

Vorhin war vom Beschäftigtendatenschutz die Rede. Die Regierung hat einen Gesetzentwurf zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes beschlossen. Damit ist dieser Bundesregierung etwas gelungen, was vielen Bundesregierungen zuvor nicht gelungen ist. Der Gesetzentwurf schafft einen angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Arbeitnehmer und den berechtigten Interessen der Arbeitgeber. Er dient auch einem effektiven Betriebsablauf und der Korruptionsbekämpfung. Wir werden diesen Gesetzentwurf hier noch beraten und dann Gelegenheit haben, ausführlich darüber zu diskutieren.

Im nächsten Jahr bietet die Frauenfußballweltmeisterschaft unserem Land wieder die Gelegenheit, sich als guter Gastgeber zu präsentieren, und unsere Frauen sind ganz gut drauf.

Genau dasselbe wünsche ich mir für die Olympischen Winterspiele 2018 - möglichst in München. Die Bewerbung Münchens um die Ausrichtung der Spiele findet unsere volle Unterstützung. Katarina Witt ist ein Glücksfall für diese Bewerbung. Ich bitte den Deutschen Bundestag, wie bisher die Bundesregierung, die Stadt München und den Freistaat Bayern bei der Bewerbung um diese Olympischen Winterspiele zu unterstützen.

In diesem Jahr feiern wir den 20. Geburtstag der deutschen Einheit. Demnächst werden wir im Kabinett den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit beschließen und der Öffentlichkeit vorstellen. Dann wird sicher auch Gelegenheit sein, im Deutschen Bundestag darüber zu diskutieren. Wenn wir bei dieser Diskussion ein volles Haus hätten, wäre das schön.

Ich will jetzt keine Einzelheiten zu dem Bericht und zu der Entwicklung der vergangenen 20 Jahre nennen. Ich will nur zwei Punkte zum Schluss sagen.

Bei allen Turbulenzen und Debatten, die wir haben, sollten wir im politischen Tagesgeschäft hin und wieder auch - und dazu boten die vergangenen Tage einen Anlass - an den Mut und die Tatkraft von Menschen wie Bärbel Bohley denken. Dann können wir vielleicht, wenn wir uns zaghaft und schüchtern fühlen, manches zurückstellen und uns vornehmen, schwierige Dinge gemeinsam anzupacken.

Das Zweite. Unsere Nationalhymne hat einen sehr schönen Eingangsvers: "Einigkeit und Recht und Freiheit". Das betrifft nicht nur die deutsche Einheit, sondern ist für die Bundesregierung, für den Bundesminister des Innern und hoffentlich für uns alle auch ein konkreter Handlungsauftrag, über den Haushalt hinaus.


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Quelle:
Bulletin Nr. 88-4 vom 16.09.2010
Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière,
zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag
am 16. September 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2010