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REDE/928: Minister Friedrich zu den Abhöraktivitäten der NSA, 18.11.2013 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, in der vereinbarten Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA und den Auswirkungen auf Deutschland und die transatlantischen Beziehungen vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013 in Berlin:



Sehr verehrte Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen!

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind seit Bestehen der Bundesrepublik eng. Sie sind freundschaftlich und partnerschaftlich. Wir haben enge wirtschaftliche Beziehungen. Wir haben, Herr Ströbele, seit vielen Jahrzehnten auch enge außenpolitische Beziehungen. Wir haben eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Es gilt auch die innere Sicherheit in Deutschland und Europa gemeinsam zu schützen. Aber über allem steht - ich glaube, das ist noch sehr viel wichtiger -, dass wir, Deutsche, Europäer und Amerikaner, eine Wertegemeinschaft bilden. Wir bekennen uns in dieser Wertegemeinschaft zu Demokratie und Freiheit. Das unterscheidet uns von manch anderer Region in der Welt. Auch das darf man in der Diskussion hin und wieder erwähnen und vielleicht zur Kenntnis nehmen.

Wahr ist aber auch, dass jedes gute Verhältnis immer wieder erneuert, erarbeitet und gestärkt werden muss. Die Veröffentlichungen der angeblichen Dokumente des US-amerikanischen Staatsbürgers Snowden vom Juni 2013 waren mehr als irritierend. Sie waren beunruhigend. Was aber noch beunruhigender und irritierender ist, ist, dass seit der ersten Veröffentlichung am 5. Juni 2013 die Informationspolitik unserer amerikanischen Freunde leider zu wünschen übrig lässt, und das auch zum Schaden der Vereinigten Staaten selbst. So konnte beispielsweise - das ist heute schon kurz angeklungen - im Sommer über Wochen in der europäischen Öffentlichkeit behauptet werden, dass Millionen Daten monatlich von der NSA in Deutschland erhoben werden. Das hat natürlich zu großer Aufregung geführt; denn impliziert war der Vorwurf, Millionen Bürger in Deutschland würden ausgespäht. Dann hat sich im Laufe des Augusts herausgestellt, dass es sich bei den 500 Millionen Datensätzen pro Monat, die in Rede standen, um Daten handelte, die der Bundesnachrichtendienst aufgrund von Gesetzen, die von diesem Parlament verabschiedet worden waren, erhoben hat, und zwar in Krisengebieten, unter anderem in Afghanistan. Dabei ging es auch darum, den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten sowie unserer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sicherzustellen. Ich glaube, es ist unsere gemeinsame Aufgabe, das zu tun; denn wenn wir schon Frauen und Männer in solche Krisengebiete schicken, um dort Frieden herzustellen und die Interessen Deutschlands, Europas und der ganzen freien westlichen Welt zu vertreten, dann müssen wir sie auch entsprechend schützen. Das ist dadurch geschehen, dass der Bundesnachrichtendienst Kommunikationsdaten in diesen Krisengebieten erhoben und gemeinsam mit den amerikanischen Freunden und Partnern ausgewertet hat.

Ich sage ausdrücklich: Das alles hat stattgefunden auf der Grundlage von Gesetzen. Unsere Behörden, sowohl der Verfassungsschutz als auch der Bundesnachrichtendienst, handeln aufgrund gesetzlicher Vorschriften. Wenn der Bundesdaten-schutzbeauftragte heute sagt, es gebe so etwas wie einen kontrollfreien Raum der Nachrichtendienste, dann muss ich dem ausdrücklich widersprechen. Der Bundestag hat durch ein sehr enges Geflecht aus Kontrollmöglichkeiten sichergestellt, dass zu jeder Zeit die Geheimdienste in diesem Land kontrolliert werden. - Da können Sie lachen, so viel Sie wollen. - Die Kollegen, die Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums sind und sich stundenlang hinter verschlossenen Türen die Berichte der Präsidenten der Nachrichtendienste anhören, haben auf jeden Fall den Respekt dieses Hauses verdient. Die Kollegen gehen ihrer Aufgabe nach.

Des Weiteren gibt es die G10-Kommission, eingesetzt vom Deutschen Bundestag. Sie befasst sich ausführlich und detailliert mit der Fragestellung, wann und unter welchen Umständen Nachrichtendienste handeln können. Deswegen irrt der Bundesdatenschutzbeauftragte, wenn er glaubt, dass seine Behörde die Überkontrollbehörde sei.

Neben dem PKGr und neben der G10 gibt es auch den Bundesdatenschutzbeauftragten. Das wollte ich nur sagen, weil die Kritik heute von den Agenturen verbreitet wurde, die aber meines Erachtens nicht gerechtfertigt ist.

Aber nun zum Schweigen unserer amerikanischen Freunde, das leider dazu führt, dass es allerhand Verschwörungstheorien und in der Zwischenzeit ein Misstrauen sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik und in der Bevölkerung gibt. Deswegen kann man mit Fug und Recht davon sprechen, dass das Vertrauen, das notwendig ist, damit Deutschland und Amerika auf guter Basis auch in der Zukunft weiter zusammenarbeiten, gestört ist und wiederhergestellt werden muss. Die Amerikaner müssen aufklären. Sie dürfen sich nicht in Widersprüche verstricken. Das gilt im Übrigen auch für die Vorwürfe, die in den Raum gestellt worden sind und die das angebliche Abhören des Handys der Frau Bundeskanzlerin angehen. Ich möchte an der Stelle sagen, dass es auch dazu bisher keine ausreichenden Einlassungen und Informationen der amerikanischen Partner gibt. Ich kann Ihnen aber auch sagen, dass sich jeder, der ein Handy oder Kommunikation in Deutschland abhört, egal ob es die Kommunikation von Bürgern oder die Kommunikation von Behörden oder Regierungsmitgliedern ist, strafbar macht. Wann immer strafbares Handeln im Raum steht beziehungsweise ein hinreichender Anfangsverdacht besteht, gehen unsere Ermittlungsbehörden diesen strafbaren Handlungen nach und nehmen Ermittlungen auf.

Deswegen werden auch in der Frage, ob das Handy der Bundeskanzlerin abgehört worden ist, die zuständige Staatsanwaltschaft oder die Generalbundesanwaltschaft entscheiden, wie zu ermitteln ist. Das ist in einem Rechtsstaat so vorgesehen. Das macht nicht die Politik, sondern das machen rechtsstaatliche Stellen - Staatsanwälte, Generalstaatsanwälte -, wenn sie einen Verdacht haben. Sie vernehmen auch Zeugen, wenn von diesen Zeugen etwas zu erwarten ist.

Die Aufklärungsbemühungen der Bundesregierung ebenso wie die der Europäischen Union sind umfangreich. Wir, sowohl die Justizministerin als auch ich, haben schriftliche Anfragen gestellt, und zwar schon im Juni. Es wurde uns bisher nur ein Teil dieser Anfragen beantwortet. Es wurde eine Vielzahl von Delegationsreisen in die eine wie in die andere Richtung durchgeführt; hochrangige Gespräche fanden statt. Die amerikanische Regierung ist hierdurch sehr frühzeitig problembewusst geworden. Wenn der amerikanische Außenminister heute eine Reise nach Europa plant, dann ist das, glaube ich, ein Zeichen dafür, dass die Gespräche gewirkt haben.

Wir haben eine umfangreiche technische Sonderprüfung durch unseren Bundesverfassungsschutz vornehmen lassen. Wo immer irgendwelche Vorwürfe im Raum standen, hat der Verfassungsschutz umgehend Ermittlungen aufgenommen. Wir haben die Provider informiert und versucht, herauszufinden, ob es an irgendwelchen Knoten tatsächlich unerlaubte Zugriffe gegeben hat. All diese Dinge sind erfolgt.

Die Demokratie kennt aber noch weitere Mechanismen. Wir sehen das derzeit in den Vereinigten Staaten. Im amerikanischen Parlament, im amerikanischen Kongress, genauso wie in der Öffentlichkeit gibt es eine breite Diskussion, und es werden die Fragen gestellt, was die amerikanischen Geheimdienste dürfen - dieselbe Frage stellen auch wir im Deutschen Bundestag -, ob die Verhältnismäßigkeit gegeben ist und wie man mit Freunden umgeht. Daran können Sie erkennen, dass Demokratien verschiedene Wege und Mechanismen haben, diesen Selbstreinigungsprozess, wo er notwendig ist, durchzuführen. Dass der amerikanische Präsident höchstpersönlich einen Bericht über die Spionagetätigkeit seiner Behörden angeordnet hat und dieser Bericht am 15. Dezember vorliegen soll, ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt. Auch wir erwarten umfangreiche Informationen aus diesem Bericht.

Was haben wir veranlasst, und was planen wir, um die Spionageabwehr zu verstärken?

Zum Ersten: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Rahmen eines Reformprozesses, der im Frühjahr angestoßen wurde, schon im April und Mai angefangen, die Spionageabwehr personell, organisatorisch und technologisch zu verstärken.

Wir haben dafür gesorgt, dass in einem engen Dialog mit der Internetwirtschaft, angestoßen durch die Bundeskanzlerin in einem IT-Gipfelprozess, seit vielen Jahren die Fragen der Sicherheit im Internet erörtert werden und auch auf ihre technologische Machbarkeit hin überprüft werden.

Wir brauchen mehr und bessere Verschlüsselungen; das ist ein wichtiger Punkt. Dafür brauchen wir aber auch vertrauenswürdige Hersteller und Dienstleister. Das Ganze ist eine zentrale Aufgabe, die wir gemeinsam angehen müssen. Wir können die digitale Souveränität Europas nur dann erhalten, wenn es uns gelingt, in der Zukunft die technologische Souveränität über die Netzinfrastruktur und die Netztechnik zu erlangen und zu verstärken.

Hier liegt im Übrigen eine wichtige Aufgabe für die Europäische Union. Wenn man nach den großen europäischen Themen und Aufgaben fragt, dann bekommt man zur Antwort, dass es eine wichtige Aufgabe ist, auch in der Netzpolitik die technologische Souveränität Europas herzustellen, um sicherzustellen, dass wir in der digitalen Welt ebenfalls souverän bleiben. Wir müssen das Vertrauen der Wirtschaft stärken. Die Allianz für Cyber-Sicherheit hat dafür gesorgt, dass wir mit den mittelständischen und mit den großen Unternehmen pragmatische Lösungen finden können.

Ich habe bereits zu Beginn des Jahres den Entwurf eines IT-Sicherheitsgesetzes vorgelegt, bei dem es darum geht, zusammen mit den Betreibern kritischer Infrastruktur jederzeit ein Lagebild über Angriffe auf die Netze und Sabotage der Netze erstellen zu können. Ich hoffe, dass wir diesen Entwurf eines Sicherheitsgesetzes schnell in diesem Hause verabschieden können.

Wir prüfen, in welchem Maße es möglich und unter Kostengesichtspunkten sinnvoll ist, dass wir in der Zukunft die Möglichkeit eines europäischen Routings, also des Durchleitens von Daten nur über europäische Netze, anbieten. Ich glaube, dass das wichtig ist. Ich habe mich in der vergangenen Woche mit der EU-Kommissarin Kroes über die Frage einer europäischen Cloud, also einer sicheren Cloud für die Aufbewahrung von Daten europäischer Bürger, unterhalten. Ich meine, dass es eine wichtige Aufgabe der Europäischen Union in der Zukunft sein kann, einen Rechtsraum, einen Wirtschaftsraum, einen Sicherheitsraum zum Schutz der Daten herzustellen.

Wir müssen auf europäischer Ebene die Datenschutz-Grundverordnung sehr schnell umsetzen. Ein wichtiger Punkt in dieser Datenschutz-Grundverordnung ist für uns, dass sichergestellt sein muss, dass, wann immer Daten europäischer Bürger an Behörden ausländischer Staaten ausgeliefert werden, Transparenz gewährleistet wird. Jeder Bürger muss das Recht haben, gegen eine solche Auslieferung vorgehen zu können.

Schließlich ist es wichtig, dass wir auch im Verhältnis mit unseren amerikanischen Freunden, insbesondere hinsichtlich unserer Beziehungen in wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Hinsicht, deutlich machen, dass wir ein gemeinsames Verständnis von Datenschutz und Datensicherheit entwickeln müssen.

Deswegen ist es wichtig, dass wir eine Art digitale Grundrechtscharta auf den Weg bringen und ein gemeinsames Verständnis entwickeln.

Aber über allem steht, dass wir die enge Partnerschaft mit unseren amerikanischen Freunden und Partnern brauchen, auch um die Sicherheit der Bürger in diesem Land in der Zukunft gewährleisten zu können.

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Quelle:
Bulletin 98-2 vom 18. November 2013
Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich,
in der vereinbarten Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA und den
Auswirkungen auf Deutschland und die transatlantischen Beziehungen
vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2013