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SICHERHEIT/036: Richtlinien für eine friedliche Sicherheitspolitik (IPPNWforum)


IPPNWforum | 115 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Jetzt erst recht: Die NATO ist aufzulösen.

Richtlinien für eine friedliche Sicherheitspolitik


Der "Human security"-Ansatz der UN bietet eine Basis für nicht-militärische Sicherheitsstrategien. Eine umfassende Analyse der vielfältigen heutigen Sicherheitsbedrohungen (ökologische Katastrophen, sozioökonomische Verwerfungen, Erosion von demokratischen und menschenrechtlichen Normen) führt unweigerlich zu einem alternativen Sicherheitsbegriff, der menschliche Sicherheit durch Entwicklung, Recht und demokratische Partizipation fördert.


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Neben dem Abbau von Gewalt will eine Strategie des Friedens Bedingungen für die Gestaltung des positiven Friedens erhalten, herstellen und optimieren, und zwar auf allen Ebenen des Handelns und in allen Feldern des Lebens: politisch, ökonomisch, ökologisch, soziokulturell, individuell. Das unterscheidet eine Strategie des Friedens von einem Verständnis von Sicherheitspolitik, das den vorbeugenden Einsatz politischer, diplomatischer und ökonomischer Mittel nie ohne das militärische - als letztes oder als äußerstes - Mittel sieht.


Friedenspolitik als Querschnittsaufgabe - was kann die Bundesregierung tun?

Friedenspolitik in einem umfassenden Sinn beschäftigt sich nicht nur mit der Abwehr konkreter Kriegsgefahr, sondern schafft mittel- und langfristig Bedingungen für einen Frieden, der auf Gerechtigkeit, Solidarität und einem nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen beruht. Deswegen ist Friedenspolitik nicht nur Thema für das Außen- oder Verteidigungsressort, sondern gehört als Querschnittaufgabe in alle Politikbereiche.

Außenpolitik ist ein Kernbereich der Friedenspolitik. Die Beziehungen zu anderen Staaten sind so zu gestalten, dass gewaltsame Konflikteskalation ausgeschlossen wird. Die dazu notwendigen Methoden und Institutionen müssen fortlaufend weiter entwickelt werden. Gleichzeitig tritt eine friedensorientierte Außenpolitik in allen internationalen Bündnissen für deren Entmilitarisierung und für die Einhaltung völkerrechtlicher Normen und Verträge ein. Grundlage ist die Erkenntnis, dass in unserer Welt die einseitige Durchsetzung eigener nationaler Interessen letztlich dem Überlebensinteresse der ganzen Menschheit zuwider läuft.

Verteidigungspolitik, die den Frieden sichern will, muss dafür sorgen, dass militärische Bedrohungspotenziale abgebaut werden - auch und zuerst im eigenen Land sowie in den Bündnissen, in denen Deutschland mitwirkt. Erst recht in einer Situation wie heute, in der Deutschland militärisch nicht bedroht ist, gibt es eine Chance zum Umbau der Verteidigungspolitik zu einer nicht-militärischen Sozialen Verteidigung, das bedeutet die Verteidigung von Werten und Normen mit gewaltfreien Mitteln.

In der Innenpolitik und im Justizwesen ist ein Paradigmenwechsel erforderlich. Eine Gesellschaft, die innere Konflikte gewaltförmig eskalieren lässt, kann nach außen nicht gewaltvermeidend wirken. Insbesondere im Umgang mit MigrantInnen und Flüchtlingen und auch im Erhalt der sozialen Netze zeigt sich die Friedensfähigkeit einer Gesellschaft.

Eine Frieden fördernde Wirtschaftspolitik stellt nicht die Entwicklung der eigenen Volkswirtschaft in das Zentrum ihres Wirkens, sondern richtet sich auch nach den Interessen der Länder des Südens. Sie sorgt dafür, dass diese eine echte Entwicklungschance haben (Steuer- und Zollerleichterungen für fair gehandelte Produkte; Abbau von Zöllen, Einfuhrbeschränkungen, nationalen Subventionen).

Gerade auch die Energiepolitik bedarf im Interesse des Friedens tiefgreifender Umstrukturierungen, weg von den fossilen Ressourcen. Eine konsequente Ausrichtung auf erneuerbare Energien und dezentrale Energieversorgung würde nicht nur die eigene Sicherheit vor militärischen oder terroristischen Angriffen erhöhen, sondern zugleich dazu beitragen, Kriegen um die Kontrolle fossiler Energien oder ihrer Transportwege den Boden zu entziehen.

Eine auf Friedensförderung ausgerichtete Entwicklungspolitik kann Wesentliches zur Vermeidung und zur Beendigung von Gewalt beitragen. Friedensfördernd ist eine Entwicklungspolitik, wenn sie die Lebensgrundlagen und Partizipationsmöglichkeiten der Armen verbessert, den Bildungsstand erhöht und die besonderen Belange von Frauen berücksichtigt.


Militärische Verteidigung ist überflüssig.

Die aktuelle Sicherheitslage bietet die Möglichkeit zu umfassender Abrüstung und Entmilitarisierung. Daraus ergeben sich materielle, personelle, strukturelle und finanzielle Konsequenzen: Die Bundeswehr kann schrittweise abgebaut werden. Ziel ist eine Bundesrepublik ohne Armee.

Die Auflösung der UdSSR und des Warschauer Paktes, die Wiedervereinigung Deutschlands und die Osterweiterung der EU haben auch die Bündnisverteidigung im ursprünglichen Sinn überflüssig gemacht. Jetzt erst recht: Die NATO ist aufzulösen.

Peacekeeping kann noch eine Aufgabe der Bundeswehr sein. Dies ist der klassische Blauhelmeinsatz - unabdingbare Voraussetzung ist die Zustimmung der beteiligten Konfliktparteien. Umstritten ist in der Kooperation, ob dies nur nach Kapitel VI - mit Zustimmung aller Konfliktparteien - oder auch nach Kapitel VII - als Intervention - geschehen darf. Über jeden Einsatz der Bundeswehr hat der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit zu entscheiden.


Schritte zur Abrüstung

Aufgaben wie die Verschrottung und Vernichtung von Waffen - gerade von Atomwaffen, Chemiewaffen - und die Minenräumung sind kostenintensiv und aus dem bisherigen Verteidigungshaushalt zu finanzieren. Dafür wird jährlich der Verteidigungshaushalt um fünf Prozent gekürzt. Mit diesen steigenden Mitteln werden Abrüstung und Konversion, aber auch Projekte ziviler Konfliktbearbeitung und später auch Entwicklungs- und Sozialaufgaben finanziert. Die umfassende Abrüstung in der Bundesrepublik ermöglicht auch eine umfassende Konversion. Ziel ist es, Rüstungsforschung, -produktion und -exporte komplett zu beenden.


Europa: Friedens- statt Militärmacht im UN-Rahmen

Wenn die EU tatsächlich zum Frieden in der Welt beitragen und "Friedensmacht" werden will, dann müssen (...) Militarisierungs-Schritte wieder rückgängig gemacht werden. Insbesondere muss auf die Fähigkeiten zur militärischen Intervention verzichtet werden. Statt mehr militärisches Gewicht in die Waagschale der weltpolitischen Machtkonkurrenzen zu legen, sollte die EU in Abgrenzung zur militarisierten Politik der Hegemonialmacht USA (und anderen) bewusst auf die militärische Komponente in ihrer Politik verzichten und ein eigenständiges Profil als friedensfördernde Akteurin entwickeln.

Eine Friedensmacht Europa muss nicht nur auf militärische Integration und auf Interventionskapazitäten verzichten, sondern auch auf Atomwaffen. Die Nuklearmächte Frankreich und Großbritannien sind zur Aufgabe ihres Nukleararsenals zu bewegen; Deutschland muss auf jegliche nukleare Teilhabe verzichten. Europa muss zur Atomwaffenfreien Zone werden.


Das Völkerrecht stärken, die UN reformieren, die OSZE aufwerten

Die Staaten der EU sollen für eine Stärkung des Völkerrechts und die Reform der UN eintreten. Dies kann geschehen durch eine aktive Unterstützung der Initiativen von Seiten der NGOs zum Abschluss weiterer Abrüstungsverträge, durch Rücknahme nationalstaatlicher Vorbehalte gegenüber völkerrechtlichen Verträgen (z.B. des deutschen Vorbehalts gegenüber der UN-Kinderkonvention), durch Stärkung der zivilen Kompetenz der OSZE, durch ein Abstimmungsverhalten in der UN-Generalversammlung, welches allein dem Ziel der Abrüstung und der Fortentwicklung des internationalen Rechts verpflichtet ist.


Zivile Konfliktbearbeitung als Alternative zum Militär ausbauen

Weil das Zusammenleben von Menschen und Völkern immer von Konflikten geprägt ist, werden Strukturen und Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung gebraucht. "Zivile Konfliktbearbeitung" (ZKB) ist der bewusste Einsatz nicht-militärischer Mittel zur Vermeidung, Beilegung und Nachsorge gewaltsamer Auseinandersetzungen. ZKB ist ein weites Aufgabenfeld und zugleich ein Gesamtsystem von Institutionen und Mitteln. Der Grundgedanke ist die Suche nach Lösungen, die für alle Beteiligten eines Konfliktes akzeptabel sind. Die ZKB ist von der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden und zu fördern, auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Auf keinen Fall sind ZKB-Maßnahmen in militärische Maßnahmen einzuordnen oder diesen unterzuordnen.


Diese Darstellung ist stark gekürzt.
Die lesenswerte Langfassung der "Friedenspolitischen Richtlinien" finden Sie unter:
http://www.koop-frieden.de/dokumente/fpr2003.html


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Quelle:
IPPNWforum | 115 | 09, S. 16-17
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2009