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SICHERHEIT/053: Abschaffung - der einzige Weg zur atomaren Sicherheit (Joseph Gerson)


Abschaffung: der einzige Weg zur atomaren Sicherheit

Von Joseph Gerson [1] - Freitag, 9. April 2010


Präsident Obama hat heute in Prag den bescheiden ausgefallenen START-I-Folgevertrag oder auch den "Neuen START" zwischen den USA und Rußland unterschrieben. Er hilft bei der Stabilisierung der Beziehungen zwischen den zwei verbliebenen atomaren Supermächten, erweitert und aktualisiert die Überprüfungsmethoden und schafft die Voraussetzungen für spätere Verhandlungen über weitergehende Reduktionen.

Den Neuen START werden beide Seiten als ermutigendes Zeichen für eine erneuerte Verpflichtung zur Nichtweiterverbreitung von Atomtechnologie loben. Aber das ist auch alles. Denn weder der Neue START noch die wenig veränderte Nuklearstrategie (die Nuclear Posture Review) sind ein ernstzunehmender Anfang zur Beseitigung der Gefahr einer atomaren Apokalypse.

Das erfordert die vollständige Umsetzung des Atomwaffensperrvertrags (Nichtweiterverbreitungsvertrag NVV). Dieser verlangt die weltweite Abschaffung der nuklearen Arsenale. Der einzige Weg, wie Präsident Obama sein erklärtes Engagement für eine atomfreie Zukunft wahrmachen kann, ist, den Verpflichtungen der USA aus dem NVV nachzukommen.

Es ist anzumerken, daß die USA und Rußland, auch nach den im Neuen START vereinbarten Reduzierungen, bezüglich der Anzahl der Atomsprengköpfe in jedem Land, in sieben Jahren immer noch mehr als 90 Prozent der Atomwaffen der Welt besitzen werden. Trotz Präsident Obamas Absicht, den atomaren Bestand zu reduzieren, stellt der Bund Amerikanischer Wissenschaftler [2] fest, daß der Neue START "keines der beiden Länder zwingt, Veränderungen seiner nuklearen Struktur vorzunehmen. Dennoch sollte der US-Senat ihn so schnell wie möglich als positiven Schritt zur Verstärkung der Nichtverbreitungsdiplomatie ratifizieren.

Der Schlüssel für eine Welt ohne Atomwaffen ist dennoch der 40 Jahre alte Nichtverbreitungsvertrag (NVV). Der NVV ist eines der grundlegendsten Abkommen des 20. Jahrhunderts, in dem die Nicht-Atomnationen darauf verzichtet haben (ausgenommen Israel, Indien und Pakistan), Atommächte zu werden. Im Gegenzug wurde ihnen der Zugang zu Ressourcen und Technologie zur Atomenergieproduktion für friedliche Zwecke garantiert. Die Atommächte sicherten in Artikel VI des NVV zu, in "redlicher Absicht" Verhandlungen zur Abschaffung ihrer Atomwaffenarsenale zu führen.

Die NVV-Überprüfungskonferenz, die alle fünf Jahre von den Vereinten Nationen abgehalten wird und am 3. Mai beginnen soll, ist die wichtigste Gelegenheit für die Staaten der Welt, die Umsetzung ihrer Verpflichtungen nach Artikel VI bei den Atommächten einzufordern.

Die letzte NVV-Überprüfungskonferenz 2005 wurde durch die Kompromißlosigkeit der Bush-Regierung lahmgelegt, und es gab keinerlei Übereinkünfte. Die Konferenz wurde als gescheitert beendet und brachte den Nichtverbreitungsvertrag in Gefahr. Dieses Scheitern unterminierte zudem den absolut vorrangigen Punkt der nationalen Sicherheitspolitik seit dem 9. September aufs schwerwiegenste: einen Atomangriff, der nicht von einem Staat, sondern von Terroristen geführt wird, zu verhindern. Genau dieses Scheitern war auch der Anlaß für George Shultz, Henry Kissinger und Barack Obama, sich öffentlich die Vision einer atomwaffenfreien Welt zu eigen zu machen.

Als Präsident Obama vor einem Jahr sein Versprechen erneuerte, sich für die Abschaffung der Atomwaffen einzusetzen, folgte er dem bekannten politischen Pfad, der die USA darauf festlegt, sich an die Erfüllung ihres Teils des NVV-Abkommens zu machen. In Wirklichkeit hat die Nuclear Posture Review es in dieser Woche verfehlt, die Erstschlagoption aufzugeben - ein Punkt, den Verteidigungsminister Gates betont hat, als er von neuem wiederholte, daß in der Konfrontation der USA mit dem Iran und mit Nordkorea "alle Optionen auf dem Tisch sind".

Der Doppelstandard, zum einen darauf zu bestehen, daß wir Atomwaffen besitzen können und Erstschläge androhen, während andere Länder es nicht können, wird zu Recht als altmodische Heuchelei angesehen und treibt die Weiterverbreitung voran.

Auch wenn er den Neuen START unterschrieben hat, untergräbt Präsident Obama sein Nichtverbreitungsziel. Trotz unserer wirtschaftlichen Engen verlangt sein Haushalt eine Erhöhung von zwei Milliarden Dollar für die Modernisierung der Atomwaffeninfrastruktur, zusätzliches Geld für die Erforschung und Entwicklung einer neuen Atomwaffe, die er ablehnt, und 800 Millionen Dollar zur Entwicklung eines neuen nuklear bestückbaren Marschflugkörpers.

Wie die jedes Jahr in der UN-Generalversammlung angenommenen Resolutionen demonstrieren, will die überwältigende Mehrheit der Weltnationen mehr als einen Neuen START. Im Mai, wenn die NVV-Überprüfungskonferenz zusammentritt, werden die Delegierten mit mehreren zehn Millionen Petitionsunterschriften und von Zehntausenden Atomwaffengegnern mit der Forderung empfangen: Fangt an mit den "aufrichtigen Verhandlungen" zur Abschaffung der Atomwaffenarsenale der Welt.

Joseph Gerson ist Abrüstungsexperte des "American Friends Service Committee"[3], Co-Organisator des Internationalen Planungskomitees zur NVV-Überprüfungskonferenz 2010 [4].

Weitere Informationen siehe:
www.afsc.org und www.peaceandjusticenow.org.


Anmerkungen der SB-Redaktion:

[1] Schattenblick-Interview mit Joseph Gerson:
Schattenblick -> INFOPOOL -> POLITIK -> REPORT
INTERVIEW/012: US-Antikriegsaktivist Joseph Gerson (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0012.html
Zusammenfassung seiner Rede auf der Konferenz der NATO-Gegner:
Schattenblick -> INFOPOOL -> POLITIK -> REPORT
BERICHT/014: Konferenz der NATO-Gegner bei Strasbourg, 3. April 2009 (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prber014.html

[2] Federation of American Scientists FAS, gegründet 1945 - Förderung des humanen Einsatzes von Wissenschaft und Technologie im Atomzeitalter, Themen der nationalen Sicherheit

[3] Quäker-Friedensorganisation (AFSC) in New England, USA, für die Joseph Gerson seit 1976 arbeitet

[4] 2010 NPT Review International Planning Committee


Übersetzung aus dem Englischen:
Redaktion Schattenblick

Der englische Originaltext ist einsehbar unter:
Abolition: The Only Path to Nuclear Security - by Dr. Joseph Gerson,
truthout / Report - Thursday 08 April 2010
http://www.truthout.org/abolition-the-only-path-nuclear-security58414


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Quelle:
"Abolition: The Only Path to Nuclear Security" /
"Abschaffung: der einzige Weg zur atomaren Sicherheit"
von Joseph Gerson, American Friends Service Committee - 8. April 2010
Internet: www.afsc.org
mit freundlicher Genehmigung des Autors
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2010