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SICHERHEIT/145: Erster Anti-Atomwaffentag - Doch Aussichten für nuklearwaffenfreie Welt düster (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. September 2014

Abrüstung: Erster Anti-Atomwaffentag - Doch Aussichten für nuklearwaffenfreie Welt düster

von Thalif Deen



New York, 30. September (IPS) - Die Vereinten Nationen haben am 26. September ihren ersten 'Internationalen Tag für die vollständige Abschaffung von Atomwaffen' begangen. Doch angesichts der derzeitigen Konflikte und Entwicklungen scheint der Traum von einer kernwaffenfreien Welt nach Ansicht von Atomwaffengegnern weit entfernt.

"Wir stehen derzeit vor einer neuen Ära, in der Kriege zwischen Großmächten möglich sind", warnte Jackie Cabasso, Geschäftsführerin der 'Western States Legal Foundation'. Das Potenzial, dass es zu Kriegen zwischen Staaten komme, die an Atomwaffen als Teil ihrer nationalen Sicherheitspolitik festhielten, nehme zu. Der USA-Nato-Konflikt mit Russland im Zusammenhang mit der Ukraine und die nuklearen Spannungen in Nahost, Südostasien und auf der Koreanischen Halbinsel verdeutlichten, dass die Möglichkeit eines Atomkriegs bestehe.


Weniger, dafür modernere Kernwaffen

Paradoxerweise wird die Modernisierung von Atomwaffen von den Atomwaffenstaaten offenbar als Abrüstungsmaßnahme verstanden. Hatten die Abrüstungsbemühungen während des Kalten Krieges und danach auf eine Verringerung der Zahl der nuklearen Sprengköpfe in Richtung null gezielt, geht es heute um den Besitz von wenigen, dafür aber hochmodernen Atomwaffensystemen, wie Cabasso, Mitbegründerin des Globalen Netzwerks zur Abschaffung von Atomwaffen 'Abolition 2000' betonte.

Der Internationale Tag für die vollständige Abschaffung von Atomwaffen war von der UN-Vollversammlung ins Leben gerufen worden, um ein öffentliches Bewusstsein für die Gefahren zu schaffen, die von Atomwaffen für die Menschheit ausgehen. Dazu meinte Alyn Ware, Mitbegründerin von UNFOLD ZERO, die mit dem UN-Büro für Abrüstungsfragen (UNODA) in Genf ein entsprechendes Event vorbereitet hatte, dass der Einsatz von Atomwaffen, ob nun beabsichtigt oder unabsichtlich, katastrophale menschliche, ökologische und finanzielle Folgen hätte. "Es sollte nirgendwo auf der Welt Atomwaffen geben."

Wie Alice Slater, Leiterin des New Yorker Büros der 'Nuclear Age Peace Foundation', im Gespräch mit IPS betonte, bedarf es weit mehr als einen UN-Tag gegen Atomwaffen und der UNFOLD ZERO-Kampagne von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), um dem UN-Abrüstungsziel näher zu kommen.

Trotz der 1970 im Atomwaffensperrvertrag eingegangenen Verpflichtungen zur Abschaffung von Atomwaffen, die in nachfolgenden Revisionskonferenzen bekräftigt wurden, lagern selbst 70 Jahre nach den ersten Atombombenanschlägen auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki 16.300 Atomwaffen in den Waffenarsenalen der Atomstaaten. Sie verteilen sich mit Ausnahme von 1.000 allein auf die USA und Russland, so Slater, die dem Koordinationsausschuss von Abolition 2000 angehört.

Die Aktivistin verwies auf einen kürzlich auf der Titelseite der 'New York Times' veröffentlichen Bericht, wonach die USA in den nächsten zehn Jahren 355 Milliarden US-Dollar ausgeben werden, um Luftwaffe, Marine und Armee mit neuen Waffen und Verteidigungssystemen atomar aufzurüsten.

Die weiteren Kosten für eine Modernisierung dieser Massenvernichtungswaffen, die, wie jüngste Studien über die katastrophalen humanitären Folgen eines Atomkriegs warnen, jedes Leben auf dem Planeten zerstören können, werden innerhalb der nächsten 30 Jahre auf eine Billion Dollar geschätzt. Dieser Rückschlag für die atomare Abrüstung ist auf die Verschlechterung der US-russischen Beziehungen zurückzuführen, wie Slater betonte.

Die USA sind 2001 aus dem 1972 mit Russland geschlossenen Vertrag über die Begrenzung von Systemen zur Abwehr von ballistischen Raketen (ABM-Vertrag) ausgeschert, haben Raketen in Polen, Rumänien und der Türkei stationiert, Militärmanöver mit der Nato in der Ukraine durchgeführt und ihre Truppen in Osteuropa verstärkt. Damit haben die USA ein Versprechen gebrochen, das sie dem ehemaligen russischen Präsidenten Mikhail Gorbatschow gegeben hatten, die Nato nicht weiter als nach Ostdeutschland auszudehnen.

Auch Shannon Kile vom Projekt zur Kontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung von Atomwaffen am Internationalen Friedensforschungsinstitut in Stockholm (SIPRI) bezweifelt, dass die Atomwaffenstaaten gewillt sind, ihre Atomwaffenarsenale aufzugeben. "In den meisten von ihnen laufen langfristige Modernisierungsprogramme, die den Einsatz neuer Atomwaffenträgersysteme vorsehen", erklärte er und bezeichnete das allmähliche Verschwinden der US-Führerschaft zugunsten einer atomwaffenfreien Welt als zutiefst frustrierend.

Cabasso erklärte gegenüber IPS, dass das START-Waffenkontrollabkommen zu einem Anti-Abrüstungsvertrag verkomme. Das sei den Worten von Senator Bob Corker, einem Republikaner aus dem US-Bundesstaat Tennessee, zu entnehmen. In seinem Bundesstaat, wo das 'Oak Ridge National Laboratory' angesiedelt ist, soll eine Multi-Milliarden-Dollar-Uran-Weiterverabeitungsanlage gebaut werden. So hatte Corker erklärt, dass START als 'Gesetz zur nuklearen Modernisierung und Raketenabwehr 2010' bezeichnet werden könnte.


Bekannte Muster

Cabasso zufolge hatte sich die gleiche Dynamik bereits in der Regierungszeit von US-Präsident Bill Clinton gezeigt, der sich für die Zustimmung des Senats zur Ratifizierung des Umfassenden Testverbotsabkommens (CTBT) Ende der 1990er Jahre bemühte. Doch am Ende scheiterte das Projekt an einer Direktive, die die Atomwaffenindustrie und ihre Verbündeten im US-Kongress durchgesetzt hatten und die Milliarden-Dollar-Zuschüsse für die Nuklearbudgets freisetzte. Ergebnis waren, wie in der New York Times beschrieben, umfangreiche Atomwaffenforschungsprogramme.

"Wir sollten begreifen, dass dies illusorische Kompromisse sind und wir es jedes Mal mit größeren Rüstungsbudgets und unbedeutenden Abrüstungsmaßnahmen zu tun haben", sagte Cabasso.

Trotz der 45 Jahre alten Verpflichtung, wie sie in Artikel sechs des Atomwaffensperrvertrags enthalten ist, sind keine Abrüstungsverhandlungen in Sicht. Zwar hat es in den letzten drei Jahren innerhalb und außerhalb der UN einen bemerkenswerten Anstieg an Initiativen für nukleare Abrüstung durch Staaten gegeben, die keine Atomwaffen besitzen. Doch ließen es die USA bestenfalls an Maßnahmen fehlen, die Bemühungen zu unterstützen.

Slater zufolge ist die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) derzeit die vielversprechendste Initiative für nukleare Abrüstung. Sie drängt Nicht-Atomwaffenstaaten dazu, an einem Abkommen zu arbeiten, das Atomwaffen so wie schon zuvor biologische und chemische Waffen ächtet.


Hoffnung auf die atomwaffenfreien Staaten

Eine dritte Konferenz über die humanitären Folgen von Atomwaffen wird im Dezember in Wien stattfinden. Zu den ersten beiden Treffen hatten Norwegen und Mexiko eingeladen. "Hoffentlich kann die Initiative auch ohne die fünf im Atomwaffensperrvertrag anerkannten Atomwaffenstaaten (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China) den nötigen Druck erzeugen, um den neuen internationalen Tag für eine Abschaffung von Atomwaffen zu ehren und ein Abkommen für eine vollständige Abschaffung von Atomwaffen auf den Weg zu bringen", meinte Slater.

In seiner Prager Rede im Jahr 2009 hatte US-Präsident Barack Obama die Vision einer atomwaffenfreien Welt heraufbeschworen und konkrete Schritte zur Verringerung der Zahl und der Bedeutung von Atomwaffen angekündigt. Deshalb ist es für Atomwaffengegner besonders enttäuschend, dass die US-Regierung ihre Atomwaffenarsenale modernisieren wird.

Vorgesehen ist Slater zufolge neben der Sanierung der existierenden Atomwaffen die Entwicklung einer neuen Generation von Raketen, Bomben und U-Booten, die mit atomaren Sprengköpfen bestückt werden. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/09/zero-nuclear-weapons-a-never-ending-journey-ahead/

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IPS-Tagesdienst vom 30. September 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2014