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SICHERHEIT/147: Zukunftsjahr 2015 - Anti-Atomwaffen-Bewegung sieht Möglichkeiten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Oktober 2014

Abrüstung: Zukunftsjahr 2015 - Anti-Atomwaffen-Bewegung sieht Möglichkeiten

von Thalif Deen


Bild: © Eskinder Debebe/UN

UN-Chef Ban Ki-moon vor Journalisten nach dem Besuch von Ground Zero des Atomtestgeländes in Semipalatinsk in Kasachstan im April 2010
Bild: © Eskinder Debebe/UN

New York, 13. Oktober (IPS) - UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat im letzten Monat auf einen Umstand hingewiesen, den er als "eine der größten Ironien der modernen Wissenschaft" bezeichnete: Während die Menschen auf anderen Planeten nach neuem Leben suchen, modernisieren die Atommächte ihre Kernwaffen, die alles Leben auf dem Planeten Erden zerstören können.

Mit einer Reihe von Veranstaltungen ab April könnte 2015 zu einem Jahr der Entscheidung über die Zukunft der nuklearen Abrüstung werden. Entweder kommt es zum Durchbruch, oder aber zu einem vollständigen Misserfolg. Ganz oben auf der Agenda steht die für April/Mai geplante Konferenz zur Revision des Atomwaffensperrvertrags (NPT). Die Treffen finden nur alle fünf Jahre statt.

Etwa zeitgleich - vom 24. bis 25. April - tagt in New York die internationale Konferenz der Zivilgesellschaft zu Frieden, Gerechtigkeit und Umwelt. Am 26. April folgt ein Marsch von Friedensaktivisten zu den Vereinten Nationen. Parallel dazu werden in anderen Hauptstädten der Welt ähnliche gewaltlose Proteste gegen Atomwaffen organisiert.

2015 wird es zudem 70 Jahre her sein, dass die USA die beiden japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki mit Atomwaffen bombardiert und der Welt die Zerstörungskraft dieser verheerenden Massenvernichtungswaffen vor Augen geführt haben. Ins nächste Jahr fällt zudem der 45. Jahrestag der Zustimmung der fünf Atommächte USA, China, Frankreich, Großbritannien und Russland (P-5) zu Artikel VI des NPT, in Treu und Glauben über die Beseitigung der Atomwaffenarsenale zu verhandeln.


Kräfte bündeln

Und dann besteht für Atomwaffengegner Anlass zur Hoffnung, dass im kommenden Jahr die seit langem überfällige internationale Konferenz über eine atomwaffenfreie Zone Nahost zustande kommen wird. Auf der NPT-Revisionskonferenz 2010 hatte man sich auf 2015 als Termin geeinigt. Ein Netzwerk aus internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), das mit Blick auf die vielen Events die Führungsrolle übernommen hat, wird eine von Millionen Menschen unterzeichnete Petition für die Abschaffung von Atomwaffen vorlegen.

Die Allianz bezeichnet sich selbst als 'Internationale Planungsgruppe für die NPT-Revisionsmobilisierung 2015: Für Abschaffung, Klima und Gerechtigkeit'. Ihr gehören Organisationen wie 'Abolition 2000', das 'American Friends Service Committee' (AFSC), die Kampagne für nukleare Abrüstung, 'Earth Action', die Bürgermeister für Frieden, die 'Western States Legal Foundation', der Japanische Rat gegen Atom- und Neutronenbomben, das Friedensboot, die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und der Weltkirchenrat an.

Sollte die NPT-Revisionskonferenz im nächsten Jahr nicht mit einem Mandat für den Beginn der Atomwaffen-Abschaffungsverhandlungen aufwarten, "könnte dies das Scheitern des Abkommens selbst bedeuten, die Verbreitung von Atomwaffen beschleunigen und die Gefahr eines katastrophalen Atomkriegs erhöhen", warnt das Bündnis.

Auf die Frage, ob angesichts der Uneinsichtigkeit der P-5 Abrüstungsfortschritte nicht eher unwahrscheinlich seien, erklärte Joseph Gerson, ein Mitinitiator des Netzwerks: "Was sollen wir sonst tun? Abwarten, bis uns diese irren Realisten alle in die Hölle schicken?"

Die Aussichten für die NPT-Revision seien gewiss alles andere als rosig, räumte Gerson, der Direktor der Programme für Frieden und wirtschaftliche Sicherheit bei der AFSC-Nordostregion, ein. Doch die Debatte während des Hochrangigen Treffens (HLM) zum Thema Abrüstung und die Position von Regierungsvertretern während der Konferenzen über die humanitären Folgen von Atomwaffen hätte gezeigt, "dass unsere zivilgesellschaftlichen Bewegungen im Kampf um die Abschaffung nicht allein dastehen."

Dem internationalen Netzwerk zufolge hat die letzte NPT-Revisionskonferenz im Jahr 2010 unmissverständlich klar gemacht, dass die Atommächte aufgefordert sind, ihrer Verpflichtung zur Abschaffung von Atomwaffen mit dem Ziel der vollständigen nuklearen Abrüstung nachzukommen.

Derzeit wird die Menschheit von 16.300 atomaren Sprengköpfen bedroht, von denen 10.000 militärisch einsetzbar und 1.800 im Zustand der erhöhten Alarmbereitschaft sind, wie das Netzwerk betonte. "Alle Atomwaffenstaaten modernisieren ihre Atomwaffenarsenale und bekunden damit ihre Absicht, sie in den nächsten Jahrzehnten zu behalten."

Den Aktivisten zufolge geben die Atommächte jedes Jahr mehr als 100 Milliarden US-Dollar für ihre Atomwaffen und für die von ihnen verursachten Kosten aus. Diese Ausgaben würden im Zuge der Modernisierungsaktivitäten weiter steigen. Die Investitionen in High-Tech-Waffen vertieften nicht nur die Abhängigkeit einzelner Staaten von ihren Atomwaffenarsenalen, sondern vergrößerten zudem die Kluft zwischen Arm und Reich.

2013 wurden insgesamt 1,75 Billionen Dollar für die Streitkräfte und Waffen ausgegeben. Dieser Betrag übersteigt die jährlichen Gesamteinkommen von einem Drittel der weltärmsten Erdenbewohner.


Mehrheit der Staaten ignoriert

Jackie Cabasso von der Western States Legal Foundation, die ebenfalls zu denen gehört, die das internationale Netzwerk einberufen hatten, wirft den Atommächten vor, ihre rechtliche und moralische Verpflichtung, mit Verhandlungen über ein Verbot und die vollständige Abschaffung von Atomwaffen zu beginnen, schuldig geblieben zu sein. "Wie wir auf dem Hochrangigen UN-Abrüstungstreffen und auf den Konferenzen in Oslo und Nayarit über die humanitären Folgen von Atomwaffen sehen konnten, verlangt die überwiegende Mehrheit der Regierungen die Umsetzung des NPT", erklärte sie.

"Wir arbeiten mit unseren Partnerorganisationen in den USA und in anderen Ländern zusammen, um internationale Aktionen durchzuführen, um mehr Handlungsdruck auf der Revisionskonferenz 2015 zu erzeugen. Die Mobilisierung im nächsten Jahr wird ein Schlaglicht auf die unentwirrbaren Beziehungen zwischen den Vorbereitungen für einen Atomkrieg, die Auswirkungen eines Atomkriegs auf die Umwelt, den Kreislauf der atomaren Aufrüstung und auf die Militärausgaben werfen, die zu Lasten von Maßnahmen zur menschlichen Entwicklung gehen."

Wie Gerson betonte, habe er im Verlauf seines Lebens trotz vieler Rückschläge eine kleine Rolle bei der Überwindung des Jim-Crow-Apartheidssystems, des Vietnamkriegs und der südafrikanischen Apartheid spielen können und Erfolge gesehen, die vorher undenkbar gewesen seien. Er habe bis heute nicht vergessen, wie verstört die US-Friedensbewegung gewesen war, dass es trotz aller Bemühungen, den Vietnamkrieg zu verhindern, immer wieder zu Bombardements gekommen sei. "In allen Fällen haben jedoch unerwartete Entwicklungen und einflussreiche Menschen den Wandel herbeigeführt, für den wir so gekämpft haben", sagte Gerson, Mitglied des Internationalen Friedensbüros und des Lenkungsausschusses des Netzwerks 'Nein zur NATO/Nein zum Krieg'.

Gerson zufolge arbeiten die fünf Atommächte derzeit zusammen, um sich den Forderungen der Mehrheit von Staaten zu widersetzen, ihren in Artikel VI eingegangenen Abrüstungsverpflichtungen nachzukommen. Auch sei eine neue Ära von Konflikten eingeläutet worden, die von der NATO und der EU-Osterweiterung in Richtung Russland sowie der Reaktion des russischen Präsidenten Wladimir Putin verursacht worden sei.

Ihm und seinen Mitstreitern gehe es darum, denjenigen Diplomaten und Politikern, die für eine atomwaffenfreie Welt eintreten, den Rücken zu stärken, sagt Gerson. Zudem wolle man in der Öffentlichkeit Unterstützung für die Notwendigkeit einer atomwaffenfreien Welt suchen. "Mit unseren Bemühungen, junge Leute zu überzeugen, werden wir eine Generation von Abrüstungsverfechtern heranziehen - auch wenn wir wissen, dass wir uns im Wettlauf mit der Zeit befinden." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/10/2015-a-make-or-break-year-for-nuclear-disarmament/

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IPS-Tagesdienst vom 13. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2014