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WISSENSCHAFT/1087: Atomforschungsprogramm in Karlsruhe bleibt strittig (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 17 vom 29. April 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Atomforschungsprogramm in Karlsruhe bleibt strittig
Eine Podiumsdiskussion am Karlsruher Institut für Technologie

Von Dietrich Schulze


Im vollbesetzten Redtenbacher-Hörsaal des Karlsruher Instituts für Technologie KIT fand auf Einladung des Unabhängigen Studierenden-Ausschusses UStA der Universität am Gründonnerstagabend - sechs Wochen nach Beginn des Fukushima-Desasters - eine Podiumsdiskussion zur "Zukunft der Kernforschung am KIT" statt.

Geschätzt die Hälfte der Anwesenden waren Mitarbeiter und Rentner vorwiegend aus den Kerntechnikbereichen und je ein weiteres Viertel Studierende und atomkritisch Eingestellte. Trotzdem kein Heimspiel für die KIT-Führung. Sie wurde repräsentiert durch deren Vizepräsidenten Peter Fritz (seit einem Jahr auch Vize des deutschen Atomforums) mit KIT-Sponsor EnBW, vertreten durch Geschäftsführungsmitglied Jörg Michels. Das lag vor allem an deren beiden Kontrahenten, die fachlich und argumentativ überzeugend aufgetreten sind, und zwar an Harry Block (BUND, Grüner Ex-Stadtrat, kritischer EnBW-Aktionär), der die wegen der Koalitionsverhandlungen in Stuttgart verhinderte atompolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, MdB Sylvia Kotting-Uhl, vertrat, und an Norbert Willenbacher, Professor für angewandte Mechanik am KIT, der für eine Firma tätig ist, die sich mit Planung, Projektierung und Betrieb von Anlagen der erneuerbaren Energie und mit Energieeffizienz befasst.

Um das Ergebnis der über zweistündigen Debatte vorweg zu nehmen. Die Veranstaltung war ein Erfolg für die Demokratie. Es war die erste Diskussion mit der Öffentlichkeit über die Zielsetzungen des Forschungsprogramms der öffentlich finanzierten Einrichtung, an der sich die Leitung des KIT beteiligte. Seit fast drei Jahren wird für KIT, den Zusammenschluss von Universität und (Kern)Forschungszentrum Karlsruhe, ein Bekenntnis zur Friedensbindung und ausschließlichen Zivilorientierung mittels Zivilklausel gefordert. Trotz vielfacher Bemühungen und der Aufdeckung von Militärforschung in der Universität wurde von der KIT-Führung mit Rückendeckung der abgewählten Landesregierung jeglicher Dialog mit den Gewerkschaften bzw. Studierenden abgelehnt. Allein für diesen Durchbruch in Sachen Transparenz gebührt dem UStA Dank.

Die Diskussion - moderiert von Jürgen Essig (SWR) - erbrachte zwar keine Änderungen in der Haltung der KIT-Führung, die die gesamte Palette an Atomforschung einschließlich der beiden für die anstehende Energiewende kontraproduktiven bzw. unnützen Großforschungsprojekte Transmutation und Kernfusion unbeirrt fortsetzen will, aber sie regte zum Nachdenken an.

Norbert Willenbacher kritisierte mit erfrischender Unabhängigkeit vom KIT-mainstream das Missverhältnis von 10:1 in der Forschungsförderung Kerntechnik/Erneuerbare, die eigentlich unbezahlbare Kerntechnik, das EnBW-Oligopol und die Verhinderungspolitik der früheren Landesregierung bezüglich Windkraftanlagen. Dennoch hätten die Erneuerbaren mit rasch sinkender Stromeinspeisungsvergütung (anfangs 50 Cent/kWh, jetzt 25 Cent/kWh, bald 15 Cent/kWh) Markterfolge zu verzeichnen. Das KIT verfolge zwar auf dem Gebiet der erneuerbaren Energie zukunftsfähige Projekte wie "bioliq", jedoch insgesamt nur mit einem unzureichenden, stark eingeschränkten Spektrum.

Harry Block erklärte, dass der dezentralen Energieversorgung mit Erneuerbaren und den Stadtwerken die Zukunft gehört und der Umgang der neuen Landesregierung mit dem Landesanteil an EnBW spannend werden könne. Auf die Fritz-Darstellung, dass die Fortsetzung des Energie-Mixes mit Kernenergie auch aus wirtschaftlichen Gründen unverzichtbar sei, entgegnete er, dass genau das Gegenteil der Fall sei. Die in die Krise geratene Kerntechnik behindere den mit den Erneuerbaren absehbaren Technologiesprung, der andere Länder motivieren wird, diesem Weg zu folgen und ebenfalls auszusteigen. Am Beispiel des geplanten Baus von zwei Kernkraftwerken in Holland hatte Peter Fritz die Notwendigkeit der nuklearen Sicherheitsforschung als deutschen Export-Standard begründet. Diesem fragwürdigen Internationalismus wurde die andere wichtige internationale Seite der "friedlichen Nutzung" der Atomkraft entgegen gehalten - die damit verbundene Kompetenz, bei Bedarf eigene Atomwaffen herstellen zu können. Mit der Überwindung der Atomkraft könne den Atomwaffen weltweit der Boden entzogen werden und KIT möge sich an diesem Beitrag zum Frieden beteiligen.

Harry Block hatte bereits in seinem Eingangsbeitrag positiv Bezug auf die Friedensbindung durch die Zivilklausel des Forschungszentrums genommen, die es auf KIT zu übertragen gelte. Der UStA war in seiner zur Verteilung ausgelegten jüngsten Magazin-Ausgabe [1] auf den aktuellen Stand dazu eingegangen. Zu Beginn der Veranstaltung hatte die Initiative gegen Militärforschung an Universtäten kostenlose Exemplare der Tageszeitung "junge Welt" mit einem Beitrag zur Podiumsdiskussion [2] verteilt. Darin als Beilage die Presserklärung der NaturwissenschaftlerInnen-Friedensinitiative vom 6. April zur Atomforschung [3] und der Beitrag "Bitte recht friedlich" [4] über Zivilklausel und Rüstungsforschung am KIT in der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsmagazins "insideB".

Die viel zu knappe Zeit ermöglichte an vielen Stellen keine genügend qualifizierte Diskussion. Zum Beispiel über die mit Emphase von Peter Fritz und Jörg Michels mehrfach intonierte Feststellung, dass es keine Denkverbote geben dürfe. Dass dabei universitäre Grundlagenforschung und kostspielige Großprojekte, wissenschaftliche Erkenntnis und Energiepolitik, nicht in einen Topf geworfen werden dürfen, wurde dem zwar entgegen gehalten, konnte aber nicht konkret genug diskutiert werden.

Ermutigend bleibt festzuhalten, dass die Anwesenden offen ihr Interesse an einer sachlichen Diskussion der kontroversen Standpunkte und an der Meinungsbildung bekundeten. Anselm Laube, bis Mittwoch UStA-Vorsitzender, hatte als Veranstalter auf das politische Mandat der Studierenden hingewiesen, das mit der Abschaffung der Verfassten Studierendenschaft 1977 durch den damaligen Ministerpräsidenten Filbinger de iure beseitigt worden ist. Nach dreieinhalb Jahrzehnten wird erwartet, dass diese nunmehr von Grün-Rot für alle baden-württembergischen Hochschulen wiederhergestellt wird. Peter Fritz stimmte dem weiteren Dialog mit den Studierenden zu. Das konnte als Einladung zur Fortsetzung der Diskussion mit der Öffentlichkeit verstanden werden. Und dazu wird es angesichts der strittig bleibenden Thematik und der bevorstehenden Entscheidungen der neuen Landesregierung bald begründet Gelegenheit geben.


Dr.-Ing. Dietrich Schulze, dietrich.schulze@gmx.de
Beiratsmitglied NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit, www.natwiss.de
Initiative gegen Militärforschung an Universitäten, www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf


Links:
[1] www.usta.de/sites/www.usta.de/files/umag/Umag_ss2011_1_web.pdf
[2] www.jungewelt.de/2011/04-21/045.php
[3] www.stattweb.de/files/civil/Doku20110406.pdf
[4] www.stattweb.de/files/civil/Doku20110417.pdf

Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
Der Schattenblick veröffentlicht auf Wunsch des Autors den ungekürzten Artikel, erstveröffentlicht in der Neuen Rheinischen Zeitung, Online-Flyer Nr. 299 vom 27. April 2011.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, Nr. 17 vom 29. April 2011, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2011