Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - 15.05.2017
DFG fördert 15 neue Graduiertenkollegs
• Themen reichen von Malaria bis zur Gegenwartsliteratur
• 66 Millionen Euro Fördermittel für zunächst viereinhalb Jahre
• "Qualifizierungsmaßnahmen weiter zugelassen"
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet zur weiteren Stärkung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland 15 neue Graduiertenkollegs (GRK) ein, darunter zwei Internationale Graduiertenkollegs (IGK) mit Partnern in Australien und China. Dies wurde jetzt vom zuständigen Bewilligungsausschuss bei seiner Frühjahrssitzung in Bonn beschlossen. Die Einrichtungen werden zunächst viereinhalb Jahre lang gefördert und erhalten in dieser Zeit insgesamt etwa 66 Millionen Euro; darin ist eine 22-prozentige Programmpauschale für indirekte Kosten aus den jeweiligen Forschungsprojekten enthalten. Zusätzlich zu den 15 neuen Kollegs stimmte der Bewilligungsausschuss der Verlängerung von fünf Kollegs für weitere viereinhalb Jahre zu.
Die Graduiertenkollegs bieten Doktorandinnen und Doktoranden die Chance, in einem strukturierten Forschungs- und Qualifizierungsprogramm auf hohem fachlichem Niveau zu promovieren. Insgesamt fördert die DFG zurzeit 213 Graduiertenkollegs, darunter 40 Internationale Graduiertenkollegs; die 15 neuen Kollegs werden ab September 2017 ihre Arbeit aufnehmen.
Über die Förderentscheidungen hinaus befasste sich der Ausschuss auch mit grundsätzlichen Fragen des Graduiertenkollegprogramms, insbesondere mit den über das jeweilige Kollegthema hinausgehenden fachübergreifenden Qualifizierungsmaßnahmen. DFG-Generalsekretärin Dorothee Dzwonnek berichtete dem Ausschuss über Strukturen, die hierfür im Rahmen der Exzellenzinitiative etwa an Graduiertenschulen eingerichtet wurden. Im Programm der Graduiertenkollegs seien die Mittel für derartige Maßnahmen in der Folge uneinheitlich vergeben worden. "Die DFG legt großen Wert darauf, ihre Fördermittel nach einheitlichen Standards zu vergeben. Deshalb sollen die Mittel für Maßnahmen, die die Promovierenden über das Forschungsthema hinaus qualifizieren, unabhängig vom jeweiligen Umfeld weiter zugelassen werden", resümierte Dzwonnek.
DFG-Präsident Prof. Dr. Peter Strohschneider verband in seinem einleitenden Bericht die fachübergreifenden Qualifizierungsmaßnahmen mit Bemerkungen zur Rolle der Wissenschaft und der Nachwuchsförderung angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage und der Angriffe auf die Wissenschaft und ihre Freiheit: "Gerade Graduiertenkollegs haben hier eine besondere Aufgabe zu erfüllen. Sie müssen Menschen zu 'gebildeten' Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sich entwickeln lassen, die zur Selbstdistanz fähig sind, methodische Skepsis pflegen und sich bewusst sind, dass erst der Pluralismus der Forschungsgebiete die Wissenschaft ausmacht."
Die neuen Graduiertenkollegs im Einzelnen (in alphabetischer Reihenfolge ihrer Sprecherhochschulen und unter Nennung der antragstellenden Hochschulen):
Die Notwendigkeit, mit Unsicherheiten umzugehen, ist in der Informatik
allgegenwärtig. Anwendungen verarbeiten etwa große Datenmengen von oft
unzuverlässigen Quellen wie nicht vertrauenswürdigen Webseiten. Auch
können Daten kontinuierlichen Veränderungen unterworfen sein, in
unterschiedlichen Formaten vorliegen oder unvollständig sein. Zentrale
Techniken sind hierbei die probabilistische Modellierung - eine Form der
Beschreibung, die Unsicherheiten explizit modelliert - und Randomisierung,
die Verwendung von Zufallsprozessen in der Berechnung. Das
Graduiertenkolleg "UNRAVEL - Uncertainty and Randomness in Algorithms,
Verification, and Logic" will die probabilistische Modellierung und
Analyse von Ungewissheit durch die Entwicklung neuer Theorien, Algorithmen
und Verifikationstechniken vorantreiben und auf die Bereiche Sicherheit,
Planung und Leistungsanalyse anwenden.
(Sprecherhochschule: Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule
Aachen,
Sprecher: Prof. Dr. Joost-Pieter Katoen)
Die Forschungsprojekte des Graduiertenkollegs "Energie, Entropie und
dissipative Dynamik" befassen sich mit verschiedenen Modellen aus der
Physik, den Materialwissenschaften und der Geometrie, um beispielsweise
Gasdynamiken oder Netzwerkströmungen zu beschreiben. Verbindendes Element
ist dabei die Betrachtung von Energie- und Entropiefunktionalen, durch die
wesentliche Größen der betrachteten Systeme beschrieben werden können, und
deren zeitliches Verhalten als Werkzeuge zur Untersuchung der
Eigenschaften eines Modells und der zulässigen Dynamik dient. Die
Doktorandinnen und Doktoranden werden die Forschungsfragen mithilfe der
Analysis, Modellierung und Numerik im Bereich der nichtlinearen partiellen
Differentialgleichungen und der angewandten Analysis untersuchen.
(Sprecherhochschule: Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule
Aachen,
Sprecher: Prof. Dr. Michael Westdickenberg)
"Tight Junctions und ihre Proteine: Molekulare Eigenschaften und ihre
Funktionen bei Krankheit und Gesundheit" stehen im Fokus des gleichnamigen
Graduiertenkollegs. Die sogenannte Tight Junction (TJ) verbindet
benachbarte Zellen von Oberflächenstrukturen des Körpers etwa in der Haut,
aber auch im Körperinneren und übernimmt dabei eine wichtige
Barrierefunktion. Durch die gezielte Regulation ihrer Durchlässigkeit
bestimmt sie den Stofftransport in wichtigen Organen wie Darm und Niere.
Das Kolleg will das Wissen über Aufbau, Struktur und Funktion der TJ auf
molekularer Ebene vertiefen, die Entwicklung und Steuerung der TJ in
verschiedenen Geweben analysieren und die Rolle der TJ in der
Pathophysiologie von Darmerkrankungen genauer untersuchen.
(Sprecherhochschulen: Freie Universität Berlin und
Humboldt-Universität zu Berlin,
Sprecher: Prof. Dr. Jörg-Dieter Schulzke, Charité -
Universitätsmedizin Berlin)
Malaria wird durch einzellige Parasiten, die Plasmodien, ausgelöst, die
durch den Stich der Anopheles-Mücke übertragen werden. Wesentliche
Prinzipien des Krankheitsverlaufs und der Parasiten-Wirt-Wechselwirkungen
sind noch unverstanden. Das deutsch-australische Internationale
Graduiertenkolleg "Grenzen überwinden: Molekulare Interaktionen bei
Malaria" erforscht deshalb die molekularen Mechanismen von
Plasmodium-Infektionen als Grundlage für Strategien zur Entwicklung neuer
Medikamente und Immunisierungen zur besseren Behandlung und Vorbeugung
von Malaria.
(Sprecherhochschule: Humboldt-Universität zu Berlin,
Sprecher: Prof. Dr. Kai Matuschewski,
Kooperationspartner: Australian National University, Australien)
Vermögens- und Einkommensunterschiede haben in vielen entwickelten
Volkswirtschaften in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Obwohl die
wachsende ökonomische Ungleichheit in der öffentlichen Debatte eine
wichtige Rolle spielt, sind die ökonomischen Implikationen dieser
Entwicklung bislang kaum erforscht. Das Graduiertenkolleg "Die
Makroökonomik der Ungleichheit" will deshalb die vielfältigen Dimensionen
dieser Ungleichheit dokumentieren und die Ursachen steigender Ungleichheit
verstehen. In einem zweiten Schritt wird untersucht, ob sich
gesamtwirtschaftliche Krisen in ungleichen Gesellschaften anders
ausbreiten und ob Ungleichheit neue Kanäle schafft, über die
einzelwirtschaftliche Krisen gesamtwirtschaftlich relevant werden.
(Sprecherhochschule: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität
Bonn,
Sprecher: Prof. Dr. Christian Bayer)
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gegenwartsliteratur hat derzeit
Konjunktur. Die Frage, was Gegenwartsliteratur ist, wird dabei primär
literaturgeschichtlich als Frage nach den Grenzen einer Epoche gestellt.
Das Graduiertenkolleg "Gegenwart/Literatur. Geschichte, Theorie und
Praxeologie eines Verhältnisses" möchte die Dimensionen des Konzepts der
Gegenwartsliteratur erstmals grundlegender erforschen und in europäisch
vergleichender Weise analysieren. Dabei will das Kolleg eine Geschichte
der Legitimierung, Aktualisierung und Transformation von
Gegenwartskonzepten erarbeiten und so zur Grundlegung einer historisch und
theoretisch reflektierten Gegenwartsliteraturforschung beitragen.
(Sprecherhochschule: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität
Bonn,
Sprecherin: Prof. Dr. Kerstin Stüssel)
Das Tibet-Plateau hat eine große Bedeutung für den globalen Wasser-,
Energie- und Stoffhaushalt. Gleichzeitig ist es eines der gefährdetsten
Geoökosysteme weltweit: Rapide Klimaerwärmung, saisonale
Niederschlagsänderung und Zunahme von Landnutzung beschleunigen die
Stoffflüsse auf der Erdoberfläche, beeinflussen das
Kohlenstoff-Senkenpotenzial der Böden und beeinträchtigen die
Wasserversorgung und -qualität. Das Internationale Graduiertenkolleg
"Geoökosysteme im Wandel auf dem Tibet-Plateau (TransTiP)" will die
Wasserressourcen und die Artenzusammensetzung in der Tibetischen Hochebene
im Kontext der globalen Klimaänderung untersuchen. Dazu sollen vor allem
die Veränderungen von Stoffflüssen an der Erdoberfläche, also Sedimente,
Kohlenstoff und Wasser, genauer analysiert werden.
(Sprecherhochschule: Technische Universität Braunschweig,
Sprecherin: Prof. Dr. Antje Schwalb;
weitere antragstellende Hochschulen: Gottfried Wilhelm Leibniz
Universität Hannover, Friedrich-Schiller-Universität Jena,
Kooperationspartner: University of Lanzhou, China)
Die Auflösung einer Entzündung im Körper wird in der Medizin heute als
aktiver Prozess verstanden. Das Graduiertenkolleg "Auflösung von
Entzündungsreaktionen: Mediatoren, Signalling und Intervention" will
herausfinden, wie die Auflösung von Entzündungen aktiviert und gesteuert
wird und welche Signalkaskaden daran beteiligt sind. Dafür werden die
beteiligten Forscherinnen und Forscher die Signale sterbender Zellen
ebenso erforschen wie die Phänotypwechsel von Immunzellen und die
Wiederherstellung von Barrieren im Kontext der Entzündungsauflösung. So
wollen sie die Prinzipien einer fehlerhaften Auflösung bei akut- und
chronisch-entzündlichen Erkrankungen besser verstehen.
(Sprecherhochschule: Goethe-Universität Frankfurt/Main,
Sprecher: Prof. Dr. Bernhard Brüne)
Das Graduiertenkolleg "MeInBio - BioInMe: Untersuchung räumlicher und
zeitlicher Dynamik der Genregulation mit hochauflösenden
Hochdurchsatzverfahren" untersucht, wie die genetische Information eines
DNA-Abschnitts in Erscheinung tritt. Wie passen sich Einzelzellen an
spezifische Differenzierungsstadien an? Wie unterscheidet sich das
Transkriptionsprogramm von Einzelzellen von den augenscheinlich
gleichförmigen Programmen, die durch die Untersuchung von Zellpopulationen
entziffert wurden? Um diese Fragen zu beantworten, will das Kolleg
mithilfe von Hochdurchsatzsequenzierungen bereits etablierte Methoden auch
an kleine Zellzahlen bis hin zu Einzelzellen anpassen.
(Sprecherhochschule: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
Sprecherin: Prof. Dr. Tanja Vogel)
Vielerorts gibt es Wälder mit Mischbeständen aus örtlich natürlich
vorkommenden Baumarten und solchen, die außerhalb ihres natürlichen
Verbreitungsgebietes angebaut werden. Das Graduiertenkolleg "Enrichment of
European Beech Forests with Conifers: Impacts of Functional Traits on
Ecosystem Functioning" untersucht den Einfluss derartiger Mischungen auf
Ökosystemfunktionen. Dabei soll auch die verbreitete Annahme überprüft
werden, dass die Anwesenheit, Verbreitung und Variabilität funktionaler
Merkmale von Arten für die Ökosystemfunktionen wichtiger sind als die
Artenvielfalt an sich.
(Sprecherhochschule: Georg-August-Universität Göttingen,
Sprecher: Prof. Dr. Christian Ammer)
Das Mittelalter wird oft als defizitäre Vorstufe zur Moderne bezeichnet,
auch weil seine gesellschaftlichen und kulturellen Manifestationen als
besonders traditionell und konventionell gelten. Das Graduiertenkolleg
"Dynamiken der Konventionalität (400-1550)" untersucht die Dynamiken
europäischer mittelalterlicher Gesellschaften und Kulturen, dabei
verwendet es einen Begriff der Konvention, der grundsätzlich alle Formen
sozialen Übereinkommens umfasst. So soll deutlich werden, dass anerkannte
soziale oder künstlerische Regeln trotz ihres normativen Anspruchs
ständigen Prozessen der Aushandlung, Umdeutung und Fiktionalisierung
ausgesetzt und auch nicht vor Ablehnung als "üble Gewohnheiten" gefeit
waren.
(Sprecherhochschule: Universität zu Köln,
Sprecher: Prof. Dr. Udo Friedrich)
Das Graduiertenkolleg "Statistische Modellierung in der Psychologie
(SMiP)" will eine Brücke schlagen zwischen traditionell nur lose
verbundenen Arbeitsbereichen der Psychologie - der Forschung in den
Grundlagen- und Anwendungsdisziplinen der Psychologie auf der einen und
neuesten Entwicklungen in den Methoden des Faches und der statistischen
Modellierung auf der anderen Seite. Hierfür entwickelt das Kolleg
statistische Modelle als Rahmen für die Formalisierung psychologischer
Theorien und Forschungsfragen. Um dieses kleine, aber wichtige
Arbeitsgebiet der Psychologie zu bearbeiten, haben sich
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von fünf Standorten
zusammengeschlossen.
(Sprecherhochschule: Universität Mannheim,
Sprecher: Prof. Dr. Edgar Erdfelder;
weitere antragstellende Hochschulen: Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Universität
Koblenz-Landau, Eberhard Karls Universität Tübingen)
Erwartungen - definiert als bedingte Vorhersagen über zukünftige
Ereignisse im Sinne von "wenn-X-dann-Y"-Hypothesen - werden häufig selbst
dann beibehalten, wenn sie empirisch widerlegt wurden. Dieses Phänomen,
das als "Erwartungspersistenz" bezeichnet wird, wurde bereits in
unterschiedlichsten Forschungskontexten beobachtet und beschrieben. In der
Sozialpsychologie zeigte sich etwa das Fortdauern von Vorurteilen
gegenüber einer Fremdgruppe trotz positiver Erfahrungen mit Mitgliedern
dieser Gruppe. Eine integrative Perspektive auf diese Aspekte menschlichen
Verhaltens fehlt jedoch, weshalb sich das Graduiertenkolleg "Beibehaltung
vs. Veränderung von Erwartungen im Kontext von Erwartungsverletzungen:
Eine Verknüpfung verschiedener Ansätze" dem Phänomen der
Erwartungspersistenz widmet.
(Sprecherhochschule: Philipps-Universität Marburg,
Sprecher: Prof. Dr. Mario Gollwitzer)
Krebserkrankungen sind eine bedeutende gesellschaftliche Herausforderung.
Einen Schlüssel für die frühzeitige Diagnose, genaue
Tumorcharakterisierung und erfolgreiche Therapie bildet eine Kombination
neuer bildgebender und computergestützter Verfahren mit fortgeschrittenen
therapeutischen Strategien. Im Graduiertenkolleg "Fortgeschrittene
Medizinische Physik für bildgeführte Krebstherapie" arbeiten
Doktorandinnen und Doktoranden aus den Naturwissenschaften und der Medizin
mit dem Ziel, die bildgeführte Krebstherapie zu verbessern.
(Sprecherhochschule: Ludwig-Maximilians-Universität München,
Sprecherin: Prof. Dr. Katia Parodi;
weitere antragstellende Hochschule: Technische Universität München)
Die Arbeiten des Graduiertenkollegs "Aktivierung chemischer Bindungen"
zielen auf die Aktivierung von in der Regel wenig reaktiven
Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindungen. Dadurch soll ein tief gehendes
mechanistisches Verständnis der ausgewählten
Bindungsaktivierungsreaktionen erarbeitet werden. Das Verständnis der
Bindungsaktivierung ist wiederum bedeutend für viele industrielle und
ökologische Anwendungsbereiche.
(Sprecherhochschule: Carl von Ossietzky Universität Oldenburg,
Sprecher: Prof. Dr. Sven Doye)
Ausführliche Informationen zum Förderprogramm und zu den geförderten
Graduiertenkollegs finden sich unter:
www.dfg.de/gk
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution306
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Magdalena Schaeffer, 15.05.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2017
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