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INTERNATIONAL/017: Iran - Größter Bankenskandal der Geschichte setzt Regierung unter Druck (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Oktober 2011

Iran: Größter Bankenskandal der Geschichte setzt Regierung unter Druck

von Yasaman Baji


Teheran, 10. Oktober (IPS) - Zwei Jahre nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen bringt nun ein Finanzskandal ungeahnten Ausmaßes die Regierung des Iran unter Druck. Wie sich ein relativer Neuling der iranischen Finanzszene Zugang zu Krediten im Umfang von 2,8 Milliarden US-Dollar verschaffen, eine eigene Bank eröffnen und privatisierte Firmen ohne Teilnahme an einem Bieterverfahren kaufen konnte, konnte bisher nicht geklärt werden.

Der Gouverneur der Iranischen Zentralbank, Mahmoud Bahmani, und weitere hochrangige Vertreter der Finanzwelt tun sich schwer damit, das Versagen der Kontrollsoftware überzeugend zu erklären. Der Rücktritt des Direktors der größten staatlichen Bank 'Melli' und seine offenbare Flucht nach Kanada zeigen, wie ernst der Vorfall ist. Außerdem wurden die Chefs der Banken Saderat und Saman gefeuert.

Auch der politische und geistige Führer des Iran, Ali Khamenei, meldete sich in der Sache zu Wort. Er verlangte eine konsequente Bestrafung der Täter. Wäre man seinem Rat korrekt gefolgt, hätte sich dieser Fall von Wirtschaftskorruption niemals nie ereignet, behauptete er.

Im Zentrum der Kontroverse steht die Amir Mansour Investmentfirma. Laut dem zuständigen Staatsanwalt General Mohseni Eje'l wurden im Zusammenhang mit dem Fall insgesamt 22 Personen festgenommen. Weitere 15 wurden zu Verhören vorgeladen.


Gefälschte Bankbürgschaften

Der Betrug begann, als gefälschte Bankbürgschaften von Filialen der landesweit zweitgrößten Saderat-Bank und der Melli-Bank ausgegeben wurden. Wie es den Eigentümern der von der Amir-Khosravi-Familie gegründeten Amir Mansour Arya 'Investment Development Corporation' gelang, diese Bürgschaften zu Geld zu machen, bleibt rätselhaft. Bisherigen Untersuchungen zufolge wurden sie zu Vorzugspreisen an sieben Banken, darunter auch Melli, verkauft. Der Amir-Clan konnte dann Privatunternehmen und Immobilien erwerben.

Unabhängige Beobachter stellen sich nun die Frage, wie kleine Bankfilialen ohne Sicherheiten solch exorbitante Bürgschaften ausstellen können, ohne dass das Finanzsystem davon Notiz nimmt. Dabei legen die Banken im Land in der Regel sehr strenge Maßstäbe an, wenn es um die Vergabe von Darlehen an gewöhnliche Bürger geht.

Seit dem von der Regierung eingeräumten "größten Veruntreuungsfall in der iranischen Bankengeschichte" schweben Vorwürfe der Vetternwirtschaft im Raum. Die Verdächtigungen reichen sogar bis in den inneren Kreis von Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad hinein. Anfang Oktober erklärte Eje'l, dass "in diesem Fall Einfluss ausgeübt wurde und Leute in Machtpositionen die Bürgschaften erleichtert haben". Ob die Drahtzieher damit das freie Unternehmertum fördern, neue Jobs schaffen oder einfach aus eigenen Interessen handelten, sei noch unklar, sagte der Staatsanwalt.

Andere behaupten, dass die Seilschaften über den Bankensektor hinausgehen. Der gemäßigte Parlamentarier Mohammedreza Khabaz vermutet, dass die Amir-Familie das privatisierte Bahnunternehmen 'Traverse Railways' ohne vorherige Ausschreibung durch eine Anzahlung von lediglich zehn Prozent des Kaufpreises von der Regierung erwerben konnte.

Beobachter erklären sich dadurch den spektakulären Aufstieg der Investmentfirma, die erst vor fünf Jahren gegründet wurde. Inzwischen gehört ihr ein Stahlunternehmen, eine Firma für Agrardienstleistungen, Lebensmittel- und Getränkefabriken und sogar ein Fußballverein. Nach Statistiken des Industrieministeriums stieg die Firma in den vergangenen drei Jahren im Ranking der größten iranischen Unternehmen von Platz 122 auf 34 auf.

Noch mehr Probleme soll die von der Amir-Khosravi-Familie gegründete Arya-Bank verursacht haben. Laut dem Chef der Aufsichtsbehörde, Mostafa Pourmohammadi, autorisierte die Börse in Teheran im März dieses Jahres die Börseneinführung von Aktien im Wert von etwa 100 Millionen Dollar. Dabei besaß die Bank nicht die erforderliche Lizenz der iranischen Zentralbank. Die Aktionäre wissen zurzeit nicht, was von ihrem Besitz übrig geblieben ist.


Strukturschwächen und Korruption

Die Reaktionen auf den Betrug fielen in dem Land gemischt aus. Finanzexperten kritisierten in erster Linie die strukturellen Schwächen des iranischen Wirtschaftssystems. Andere geißelten die offensichtliche Korruption, die einen solchen Vorfall erst möglich machen konnte. Pourmohammadi warf der Regierung vor, der Bestechlichkeit Vorschub geleistet zu haben, indem sie die Banken zu einem Absenken ihrer Zinsraten unter die Inflationsgrenze gezwungen hatte.

Auch der Privatisierungsprozess geriet in die Kritik. Nach Ansicht eines Managers eines Privatunternehmens in Assaluyeh, dem Zentrum der iranischen Erdgasproduktion, hat die Regierung durch die Privatisierungen den privaten Sektor nach ihren eigenen Vorstellungen gestaltet. Im Iran sei eine ähnliche Wirtschaftskumpanei entstanden wie in Russland, sagte ein Ökonomieprofessor, der ungenannt bleiben wollte, im Gespräch mit IPS.

Ob die Verantwortlichen in dem Bankenskandal tatsächlich bestraft werden, mag nicht jeder im Land glauben. Sayed Javad, ein pensionierter Beamter des Wirtschaftsministeriums, geht davon aus, dass die Regierung die Namen höherer Amtsträger, die in den Fall verwickelt sind, auf keinen Fall preisgeben wird. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Oktober 2011