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REDE/005: Schäuble in der Schlussrunde zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag, 9.9.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, in der Schlussrunde zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 9. September 2011 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Gegen Ende dieser Haushaltswoche ist es vielleicht gut, zunächst einmal das im Wesentlichen Unstreitige zu betonen. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber im Wesentlichen unstreitig ist, dass es dem Land zumindest dann, wenn man die heutige Situation mit der Situation vergleicht, aus der wir kommen, gut geht und dass wir aus einem schweren wirtschaftlichen Einbruch als Folge der Finanz- und Bankenkrise fast besser herausgekommen sind, als wir es zu hoffen gewagt hätten. Es ist unstrittig, dass wir auf dem Weg der Rückführung der zu hohen Neuverschuldung mehr Fortschritte gemacht haben, als wir es für möglich gehalten haben.

Damit wir nur bei den Punkten streiten, bei denen es in der Sache begründet ist, will ich noch einmal ausdrücklich klarstellen: Es ist völlig klar, die Maßnahmen zur Bekämpfung der dramatischen Krise mit dem schwersten Wirtschaftseinbruch in der Nachkriegsgeschichte, nämlich mit einem Einbruch von 5,1 Prozent nach den bereinigten Zahlen des Statistischen Bundesamtes, waren richtig. Richtig war auch der damit verbundene dramatische Anstieg der Neuverschuldung.

Wir hatten für das Jahr 2010 in der mittelfristigen Finanzplanung sechs Milliarden Euro geplant. Im Entwurf wurden daraus plötzlich 86 Milliarden. Das ist völlig unstreitig. Gemessen daran ist es gut, dass wir in diesem Jahr mit einer Neuverschuldung von etwa 30 Milliarden Euro herauskommen, und im nächsten Jahr einen Haushaltsentwurf mit einer Neuverschuldung von 27 Milliarden Euro vorlegen werden. Das ist das Entscheidende. Das ist ein großer Erfolg, wir sind auf einem guten Weg.

Wenn wir über Sozialpolitik diskutieren, dann sind dies die wichtigsten Zahlen: Wir haben die höchste Anzahl an Erwerbstätigen und den niedrigsten Stand der Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Das ist doch ein Erfolg für die Menschen in diesem Land.

Herr Kollege Schneider, wir werden dies im Haushaltsausschuss noch rauf und runter diskutieren, aber es ist so: Wir halten die Schuldenbremse des Grundgesetzes auf Punkt und Komma und auf Euro und Cent ein.

Es gab eine Debatte über die Frage: Welcher Wert des strukturellen Defizits im Jahr 2010 bildet die Ausgangslage? Anfang 2010, kurz nach dem Regierungswechsel, hat das Bundesfinanzministerium noch amtlich gesagt: Ausgangspunkt für die Schuldenbremse und für die Rückführung ist das Soll des Haushalts 2010. Sie können sich vorstellen, welcher Finanzminister wahrscheinlich verantwortlich dafür war, dass man so geplant hatte. Dann kam der neue Bundesfinanzminister und hat in der ersten Haushaltsdebatte gesagt: Nein, wir werden das sich abzeichnende, wirkliche Defizit zugrunde legen. Das wird wesentlich niedriger sein. Manch einer hat vermutet: Der will nur aus anderen Gründen Haushaltsspielräume kleiner machen. Ich habe gesagt: Nein, der Wert, den wir bei der mittelfristigen Finanzplanung, also Mitte des Jahres, zugrunde legen, ist der Ausgangspunkt für die Anwendung der Schuldenregel des Grundgesetzes, damit wir, wie es in Artikel 115 steht, in gleichmäßigen Raten bis zum Jahr 2016 den Wert von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Diese Linie ist gezogen.

Nun kommt der nächste Punkt. Natürlich gibt es das Ausgleichskonto. Zum wiederholten Male sage ich als Finanzminister zu Protokoll des Deutschen Bundestages: Die Bundesregierung - der Bundesfinanzminister - hat die feste Absicht, dass wir das Ausgleichskonto nicht nutzen werden. Wir sind in der Tat vor der Kurve. Sie können es rechnen, wie Sie es wollen. Selbst wenn Sie Ihren Wert zugrunde legen würden, wären wir mit dem strukturellen Defizit in den Jahren 2011 und 2012 noch unterhalb dessen, was das Grundgesetz fordert. Auch in 2012.

Wir werden das im Haushaltsausschuss weiter diskutieren. Sie werden sehen, dass Ihre Zahlen nicht stimmen, Herr Schneider. Lassen Sie deshalb Ihre verleumderische Behauptung, wir wollten an unser Polster gehen. Wir werden den Kurs einer soliden Rückführung der zu hohen Verschuldung fortsetzen.

Frau Kollegin Kressl, bei allem Respekt: Lassen Sie uns über ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz dann reden, wenn wir es unterzeichnet haben, weil wir vorher nicht in der Lage sind, den Text vorzulegen. Das ist nun einmal so. Man muss auch auf die Schweiz ein bisschen Rücksicht nehmen. Es ist paraphiert, aber noch nicht unterzeichnet. Stochern Sie nicht mit der Stange im Nebel herum, nur um irgendetwas zu finden. Angebliche Verdächtigungen machen überhaupt keinen Sinn. Wir werden es vorlegen. Ich sage Ihnen vorher: Wir werden eine Lösung finden. Sie werden sehen, dass wir das unter allen Gesichtspunkten überhaupt Mögliche tun werden.

Ich komme jetzt zu einem anderen Punkt. Es wird immer von der "Kavallerie" gesprochen. Ich habe meinen Vorgänger immer in Schutz genommen, indem ich gesagt habe: Der Humor in Deutschland ist unterschiedlich. Die Alemannen haben ein anderes Verständnis als die Norddeutschen. Aber man muss sagen: Hilfreich war es nicht, dass man in Luxemburg sagen musste: Wir haben deutsche Soldaten schon einmal erlebt. Deswegen ist es besser, wenn wir auch mit unseren kleineren Nachbarn in Europa höflich umgehen, Verständnis zeigen und sie nicht von oben herab behandeln. Die Schweiz hat ihre eigene Tradition. Damit muss man umgehen. Wir werden darüber reden, wenn wir das Abkommen unterzeichnet haben, und nicht im Vorhinein die Dinge durch falsche Angaben diffamieren.

Gegen Ende unserer Debatte möchte ich eine weitere Bemerkung machen. Natürlich ist es wahr - was wir heute in der OECD-Prognose lesen, bestätigt nur, was ich am Dienstag zu Beginn dieser Haushaltswoche bereits gesagt habe -: So gut unsere Lage in Deutschland ist - die Lage von Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Finanzen -, so sehr ist die Entwicklung der Weltkonjunktur an einem kritischen Punkt. Ich habe am Dienstag schon angekündigt, dass ich im Anschluss an diese Haushaltsdebatte zum Treffen der Finanzminister und Notenbankgouverneure der G7-Staaten in Marseille fahre. Wir werden schwierige Debatten führen. Sie alle haben die Rede des amerikanischen Präsidenten heute Nacht zur Kenntnis genommen. Wir befinden uns an einem kritischen Punkt der Weltkonjunktur. - "Kritisch" heißt, dass wir uns in einer Situation befinden, in der sich viele Dinge entscheiden. Ich warne zunächst vor unangemessenen und falschen Dramatisierungen. Deswegen habe ich am Dienstag mit großer Klarheit darauf hingewiesen: Bei allen Sorgen, was im Bankensystem an Risiken und Ansteckungsgefahr stecken kann, ist es verkehrt, wenn wir mit falschen Berechnungen Tatarenmeldungen schüren. Vertrauen ist - das wissen wir seit Ludwig Erhard, auf den sich inzwischen alle berufen - die wichtigste Ressource für eine nachhaltige und stetige Entwicklung der Wirtschaft. Vertrauen ist wichtig, das heißt, man muss einseitige Dramatisierungen vermeiden.

Das OECD-Gutachten spricht - so lauten heute die Überschriften - von einer möglichen starken Abkühlung der Konjunktur in Deutschland. Aber das OECD-Gutachten sagt zugleich, dass damit zu rechnen ist, dass wir in Deutschland in diesem Jahr ein Wachstum von 2,9 Prozent haben werden. Der Kollege Rösler hat gestern gesagt, die Bundesregierung hat - so ist unsere amtliche Prognose - 2,6 Prozent zugrunde gelegt, das heißt, selbst bei einer gewissen Eintrübung der Konjunktur in Deutschland im Quartalsverlauf sind wir auch nach den Aussagen der internationalen Experten vor der Kurve, genau wie bei der Defizitreduzierung. Also bitte keine falschen Dramatisierungen.

Meine zweite Bemerkung, die ich mit großen Ernst machen will. Die Weltkonjunktur wird Auswirkungen auf Deutschland haben, weil wir stark in die internationale Arbeitsteilung eingebunden sind und große Erfolge auf den Exportmärkten haben. Deswegen hat uns die Krise 2009 härter getroffen als andere.

Umso wichtiger ist, dass wir bei allen Maßnahmen in dieser kritischen Phase daran denken, was die Hauptursachen der Krise sind. Eine Ursache ist die mangelnde Regulierung der Finanzmärkte. Wir arbeiten auf internationaler und europäischer Ebene mit aller Kraft, damit wir diesbezüglich so viel wie möglich erreichen. Wenn wir Spielraum dafür haben, gehen wir notfalls auch auf nationaler Ebene voran; das haben wir bereits bewiesen. Das gilt übrigens auch für die Finanztransaktionsteuer. Ich muss jetzt nicht wiederholen, was ich dazu oft genug gesagt habe. Genauso wichtig ist die Erkenntnis - daran halten wir neben der Forderung nach einer weiter gehenden Regulierung der Finanzmärkte fest; übrigens entspricht das auch dem Urteil aller internationalen Institutionen -: Die Hauptursache für die Krise ist das Übermaß an öffentlicher Verschuldung in den Staatshaushalten.

Wenn wir die Krise bekämpfen und in dieser kritischen Phase Kurs halten wollen, und zwar in Deutschland, in Europa und in der Welt, dann muss der Kurs maßvoller Defizitreduzierung fortgesetzt werden. Nur in diesem Rahmen, ohne Veränderung der Defizitreduzierung, hat jedes Land die Möglichkeit - das kann jedes Land entscheiden; im Rahmen der Haushaltsberatungen werden wir auch in Deutschland weiter um jeden Euro ringen -, durch zusätzliche Schwerpunktsetzungen die Wirtschaft zu beleben, wenn die Situation schwieriger werden sollte. Dabei dürfen wir aber nicht den Kurs der Defizitreduzierung verlassen. Das gilt in Deutschland, das muss in Europa und das muss weltweit gelten. Wir können die Krise nicht dadurch bekämpfen, dass wir die Probleme, die zu der Krise geführt haben, weiter verschärfen. Das wäre der falsche Weg. Mit den Möglichkeiten der Geldpolitik, der Geldschöpfung und einer noch weiter gehenden öffentlichen Verschuldung die Krise zu bekämpfen, wäre der falsche Weg. Damit würden wir die Probleme verschärfen und nicht lösen.

Wir befinden uns in einer guten Lage. Wir sind gut vorangekommen. Die Bundesregierung und die Koalition sind entschlossen, Kurs zu halten. Kurs halten heißt: solide Finanzen als Grundlage für wirtschaftlichen Wohlstand und soziale Gerechtigkeit.


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Quelle:
Bulletin Nr. 88-1 vom 09.09.2011
Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,
in der Schlussrunde zum Haushaltsgesetz 2012
vor dem Deutschen Bundestag am 9. September 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2011