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FRIEDEN/0993: EU hat kein Problem mit Avigdor Lieberman (SB)



Ganz oben auf der nationalistischen Welle, die Israel bei den Knesset-Wahlen durchwogt hat, segelt mit Avigdor Lieberman ein Politiker, den sogar die Bild-Zeitung den "israelischen Jörg Haider" nennt. In dem Springer-Blatt, in dem man ansonsten kein Problem damit hat, Israel auch gegen berechtigte Kritik in Schutz zu nehmen, entdeckt man plötzlich, daß man als Palästinenser allen Grund hat, sich vor einem solchen Mann zu fürchten. Angesichts des nicht nur dort gezogenen Vergleichs mit dem verstorbenen österreichischen Rechtspolitiker wäre es nur konsequent, im Falle einer Regierungsbildung, bei der der Chef der künftig mit 15 Sitzen in der Knesset vertretenen Partei Israel Beiteinu einen wichtigen Kabinettsposten erhielt, über ähnliche Sanktionen wie diejenigen nachzudenken, mit denen die EU 2000 Österreich diplomatisch isolierte.

Das gilt um so mehr, als die rhetorischen Eskapaden des Rechtspopulisten Haider vor dem Hintergrund der aggressiven Äußerungen Liebermans regelrecht verblassen. Bei dem 1978 aus der Sowjetunion nach Israel eingewanderten Lieberman handelt es sich um einen ausgemachten Rassisten, der bereits für den Transfer, sprich die Vertreibung, der Palästinenser aus ihren von Israel besetzten Gebieten eintrat, der verlangte, arabische Abgeordnete, die sich mit Mitgliedern der Hamas-Regierung trafen, wegen Hochverrats anzuklagen und nach Möglichkeit hinzurichten, der die israelischen Araber am liebsten ihrer Staatsbürgerschaft entledigte, um sie ausweisen zu können, der 2002 zur umfassenden Zerstörung aller Einrichtungen der Palästinensischen Autonomiebehörde aufrief, der 2006 öffentlich die Ermordung des palästinensischen Regierungschefs Ismail Hanije und seines Außenministers Mahmud Sahar forderte, der den Angriff auf den Gazastreifen mit dem Vergleich begleitete, Israel müsse die Hamas so bekämpfen, wie die USA Japan im Zweiten Weltkrieg bekämpft haben, um nur einige seiner bekanntesten Ausfälle zu nennen.

Liebermans Bekenntnis zur Demokratie ist bar jeden Verdachts, etwas anderes als eine Fassade für seine rassistischen Obsessionen zu sein. So erklärte er im September 2006 in einem Zeitungsinterview, daß sein Wunsch, einen ethnisch reinen Judenstaat zu schaffen, wichtiger sei als dessen demokratische Konstitution: "Ich bevorzuge die Demokratie sehr, aber wenn es einen Widerspruch zwischen demokratischen und jüdischen Werten gibt, dann sind die jüdischen und zionistischen Werte wichtiger." Der Chef der drittstärksten israelischen Partei nimmt gerne in Kauf, seinen wachsenden Einfluß auf demokratische Weise zu erhalten, sollte er jedoch einmal Premierminister werden, könnte er den demokratischen Charakter Israels laut dieser Lesart ebensogut beenden.

Allerdings ist es müßig darüber nachzudenken, was EU und Bundesrepublik theoretisch tun müßten, wenn der gegenüber anderen Regierungen und Politikern geltend gemachte Wertekodex tatsächlich von universaler Art wäre und nicht nur ein Instrument für zweckdienliche Ausgrenzungsmanöver. Daß es in der EU nicht den mindesten politischen Willen dazu gibt, auf Israel mit Zwangsmitteln einzuwirken, selbst wenn sie nur aus verschärften Handelsbedingungen für in den besetzten Palästinensergebieten angebaute Landwirtschaftsprodukte oder Einreiseverboten für israelische Politiker, die sich rassistische Ausfälle leisten, bestünden, ist schon an der politischen Rückendeckung zu erkennen, die seine Regierung bei den menschen- und völkerrechtswidrigen Angriffen auf den Gazastreifen erhielt.

Zudem hatte Lieberman bereits mehrere Ministerposten inne, zuletzt gar in einer Koalition mit der Arbeitspartei, ohne daß dies irgendwelche politischen Folgen seitens der EU oder der Bundesrepublik gehabt hätte. Als Lieberman im November 2006 israelischer Vizepremier und Minister für strategische Bedrohungen, ein eigens für ihn geschaffenes Amt, das insbesondere mit der angeblichen atomaren Aufrüstung des Irans befaßt sein sollte, wurde, ließ EU-Außenrepräsentant Javier Solana, der die gegen Österreich gerichteten Sanktionen 2000 noch in den höchsten Tönen gelobt hatte, durch seine Sprecherin vor der internationalen Presse erklären, man müsse verstehen, daß man sich nicht in die Angelegenheiten einer ausländischen Regierung einmischen könne, denn für die Regierungsbildung sei ausschließlich der betroffene Staat zuständig.

Zu dieser Zeit nötigte die EU die jugoslawische Regierung mit massivem ökonomischen Druck zur Auslieferung des ehemaligen Präsidenten Slobodan Milosevic und unterstützte unverhohlen bunte Putschisten in Osteuropa. Im Falle Israels haben die EU und die Bundesregierung, die nach der Wahl bereits die Fortsetzung der "guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit" mit welcher israelischen Regierung auch immer ankündigte, das Problem, daß Liebermann nicht wirklich ein Außenseiter ist, sondern lediglich den rechten Rand der zionistischen Doktrin markiert. Er repräsentiert das Interesse eines nicht kleinen Teils der israelischen Elite, auf Kosten der Palästinenser das eigene Territorium zu erweitern und die arabischen Bürger des Landes als Menschen zweiter Klasse zu behandeln, in Reinkultur. Lieberman zu verurteilen hieße eindeutig Stellung zum israelischen Siedlerkolonialismus zu beziehen, und das möchte man weder in Brüssel noch in Berlin.

12. Februar 2009