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FRIEDEN/0999: 30 Jahre Camp David - Faustpfand der Vormacht Israels (SB)



Von aller machtpolitischen Realität unangefochten wird 30 Jahre nach der Unterzeichnung des Camp David-Abkommens zwischen Israel und Ägypten nach wie vor in euphemistischem Tonfall behauptet, der Vertrag beweise, daß Frieden im Nahen Osten möglich sei, wenn man nur wolle. Dem ist entgegenzuhalten, daß der am 26. März 1979 in Washington unterzeichnete ägyptisch-israelische Friedensvertrag ein Eckpfeiler der israelischen Vormachtstellung in der Region bildet, da er Israels geostrategische Position gestärkt und das arabische Lager entzweit hat. Zudem bestand US-Präsident Jimmy Carter, der das Abkommen zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin und dem ägyptischen Präsidenten Anwar al Sadat vermittelt hatte, nicht auf einer Zusage der israelischen Seite, die im Junikrieg von 1967 besetzten palästinensischen Gebiete zu räumen.

Dabei hatte Begin bereits am 25. September 1978 anläßlich der Ratifikation des Vertrags durch das israelische Parlament vor der Knesset erklärt, daß seine Regierung nach dessen Unterzeichnung in den besetzten Palästinensergebieten neue jüdische Siedlungen errichten und die existierenden erweitern wolle. Die Etablierung eines palästinensischen Staates schloß der Likud-Politiker kategorisch aus. Kurz zuvor hatte er in einem Interview mit dem Wall Street Journal erklärt, daß es bestenfalls zu einer lokalen Autonomie der Palästinenser unter Aufsicht der israelischen Armee kommen könne.

Mit dem Camp-David-Abkommen wurde das Schicksal der Palästinenser, auf lange Sicht unter einem Besatzungsregime leben zu müssen, zugunsten eines Ausgleichs Israels mit dem größten arabischen Staat der Region besiegelt. Dabei lebten zu dieser Zeit nur etwa 16.000 Israelis auf palästinensischem Land, das heißt die Situation wäre sehr viel leichter im völkerrechtlichen Sinne zu korrigieren gewesen als 30 Jahre später, da die Palästinenser auf den ihnen ohnehin im besten Fall verbleibenden 22 Prozent des britischen Mandatsgebiets Palästina 480.000 jüdische Siedler akzeptieren sollen, die im Westjordanland und in Ost-Jerusalem leben.

Indem Sadat sich zugunsten eines Separatfriedens mit der unverbindlichen Zusage Begins auf die baldige Aufnahme von Verhandlungen mit den Palästinensern begnügte, verringerte er das Gewicht, das das Angebot eines allgemeinen Friedensvertrags zwischen den arabischen Staaten und Israel, wie in der Arabischen Friedensinitiative des Jahres 2002 erfolgt, gehabt hätte, entscheidend. Auch das Scheitern des Oslo-Prozesses wurde auf diese Weise begünstigt, hatte Israel es doch nicht wirklich nötig, die dabei eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten. Die für die USA geostragegisch wichtige Aufwertung der regionalen Position Israels wurde zu Lasten aller erkauft, die keine Vorteile aus diesem Friedensschluß ziehen konnten. Syrien, das lange mit Ägypten eine gemeinsame Politik gegenüber Israel betrieben hatte, muß bis heute auf die 1967 von Israel eroberten Golan-Höhen verzichten. Sadat hingegen erhielt für den Friedensschluß die 1973 verlorene Sinai-Halbinsel zurück und konnte sich von nun an der direkten Unterstützung Washingtons, das Ägypten damit endgültig aus dem sowjetischen Machtbereich löste, sicher sein.

Indem sich die beiden wichtigsten Kontrahenten des Nahostkonflikts der gegenseitigen Unangreifbarkeit versicherten, hatte Israel den militärisch potentesten arabischen Gegner neutralisiert. Das gilt um so mehr, als ein zwischen Tel Aviv und Washington geschlossenes Abkommen für den Fall einer ägyptischen Vertragsverletzung ein Eingreifen der USA vorsieht. Zudem gelangten Israel und Ägypten in den Genuß großzügiger US-amerikanischer Finanzhilfen ziviler wie militärischer Art, die beide Länder bis heute zu den mit Abstand größten Nutznießern des für außenpolitische Zwecke vorgesehenen Budgets der US-Regierung macht.

Betrachtet man die Entwicklung des arabisch-israelischen Konflikts vor dem Hintergrund des Gaza-Kriegs, dann muß erst recht am politischen Sachverstand jener Journalisten gezweifelt werden, die 30 Jahre Camp David zum Anlaß der Würdigung eines historischen Fortschritts nehmen. Die Invasion Israels in den Libanon 1982 und die Bombardierung des Landes 2006 wären ohne das Stillhalten Ägyptens nicht möglich gewesen. Beim Angriff der israelischen Streitkräfte auf Gaza erfüllte Ägypten sogar die aktive Rolle eines Grenzwächters, mit dem eine Massenflucht aus dem Kriegsgebiet auf das eigene Territorium verhindert wurde.

Doch nicht nur die mit Israel durch einen Friedensvertrag verbundenen Nachbarn Ägypten und Jordanien, sondern auch andere arabische Regimes entzogen der palästinensischen Bevölkerung während der dreiwöchigen Angriffe auf den Gazastreifen ihre Unterstützung. Der jordanische Publizist Mouin Rabbani deutet die passive Haltung der arabischen Regierungen als Folge ihres fundamentalen Überlebensinteresses:

"Im Kern geht es um die Frage der Beziehungen des arabischen Staatensystems mit Mächten von außen. In der gegenwärtigen Phase, in der die Legitimität der örtlichen Regime in den Augen der Staatsvölker schwindet, gibt es ein Lager, das auf einen Schulterschluss mit Europa und Washington setzt - als das beste Mittel zur Sicherung des eigenen Überlebens. Wenn man sich also den Libanon-Krieg 2006 und jetzt den Gaza-Krieg ansieht - da war zu beobachten, dass einige arabische Staaten offenbar damit begonnen haben, einen Sieg Israels fast schon als Teil ihrer eigenen nationalen Sicherheitsstrategie zu begreifen - wie ich meine, eine bedeutende Entwicklung."
(Deutschlandfunk, Hintergrund, 09.03.2009)

Dieser Schulterschluß geht mit der schwindenden Legitimität der arabischen Regimes gegenüber den eigenen Bevölkerungen einher. Indem sie den Palästinensern nicht einmal mit entschiedenem politischen Druck zur Hilfe eilten, weil sie damit Gefahr liefen, nicht nur die palästinensische Hamas, sondern auch die eigene islamistische Opposition aufzuwerten, haben sie eben das erreicht. Das Versagen der säkularen arabischen Regierungen stärkt den politischen Islam an allen Fronten, desto mehr sind sie darauf angewiesen, diese Schwächung durch Hilfe aus den westlichen, mit Israel verbündeten Staaten zu kompensieren.

Was aus deren Sicht wie eine Erfolgsstrategie aussieht, ist für die Zukunft der Region fatal. Der innere Frieden der arabischen Gesellschaften muß weiterhin mit massiver Repression wie etwa in Ägypten, wo Tausende politischer Gefangener in den Folterknästen der Regierung Hosni Mubaraks sitzen, gesichert werden. Ein allgemeiner Friedensschluß für die Region ist in noch weitere Ferne gerückt, gibt es angesichts der Schwäche der arabischen Staaten für die Regierung in Tel Aviv doch keinen Grund, sich auf einen Verhandlungsprozeß einzulassen, der ihr eigene Zugeständnisse abverlangte. Die Siedlungen im Westjordanland werden weiter ausgebaut, in Ost-Jerusalem werden Häuser alteingesessener palästinensischer Familien zerstört, und der Gazastreifen bleibt eine gemeinsam von Israel und Ägypten abgeriegelte Elendszone.

26. März 2009