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FRIEDEN/1025: Angewandte Weltgerechtigkeit am Beispiel Gaza ... (SB)



In den Medien der Bundesrepublik, die zu den größten Unterstützern des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) zählt und die im Jahr 2002 eigens ein Völkerstrafgesetzbuch verabschiedet hat, wurde über die Verschiebung der Abstimmung im UN-Menschenrechtsrat zu einer Resolution zum Goldstone-Report meist wortlos hinwegegangen. Wenn Weltgerechtigkeit an Politikern wie dem ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic geübt wird, dann jubelt die Meute, als ob die Welt tatsächlich daran genesen könnte, daß imperialistische Kriegführung legalistisch verbrämt wird. Wenn die Möglichkeit, daß der internationale Anerkennung genießende Bericht über den Überfall Israels auf Gaza strafrechtliche Konsequenzen haben könnte, mit politischer Ranküne hintertrieben wird, mag man an die Lobreden auf die internationale Strafjustiz nicht mehr erinnert werden.

Hätte der Report eines der bekanntesten Experten und Richters der internationalen Strafjustiz, der südafrikanische Völkerrechtler Richard Goldstone, zur Strafverfolgung israelischer Politiker und Militärs geführt, dann hätten die Regierungen der mit Israel verbündeten Staaten ein erhebliches Problem. Die davon ausgehende Verpflichtung, angeklagte Personen an das ICC auszuliefern, hätte die Beziehungen zu Israel erheblich belastet. Bevor ein solcher Fall eintritt, wird das zuvor in den Himmel der Gerechtigkeit gehobene internationale Recht eher gebeugt oder gleich im Grundsatz verändert. So geschehen, als der ehemalige israelische Ministerpräsident Ariel Sharon Gefahr lief, nach einem belgischen Gesetz zum Weltstrafrecht zur Verantwortung gezogen zu werden.

Die Kollaboration westlicher Regierungen mit mutmaßlichen israelischen Kriegsverbrechern ist keine Neuigkeit. Sie eignet sich unter der Bedingung eines Überfalls auf eine wehrlose Bevölkerung, die zuvor und währenddessen ausgehungert wurde, der man jeden Weg aus dem bombardierten Gebiet versperrte, obwohl es dort kaum Schutzräume gab und die Bevölkerung mehrheitlich aus Kindern und Jugendlichen besteht, nicht gerade zum Beweis menschenfreundlicher Politik. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich frühzeitig dagegen ausgesprochen, daß man Konsequenzen aus dem Goldstone-Report zieht [siehe POLITIK/KOMMENTAR-FRIEDEN/1023], und US-Außenministerin Hillary Clinton hat die Palästinensische Autonomiebehörde gedrängt, im UN-Menschenrechtsrat für die Verschiebung der Resolution zu stimmen, was sie tat. Deutlicher hätte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas nicht demonstrieren können, wie sehr er eine Marionette fremder Interessen und wie ungeeignet er als Repräsentant legitimer palästinensischer Ansprüche ist.

Dabei hat Goldstone einiges dafür getan, die Akzeptanz des Berichts durch dessen angebliche Ausgewogenheit zu erhöhen. So hat er nicht nur die Hamas ihrerseits Kriegsverbrechen bezichtigt, er hat auch die Behauptung der israelischen Regierung, in Selbstverteidigung gehandelt zu haben, für bare Münze genommen. Das ist in Anbetracht der UN-Charta, die das Recht auf militärische Selbstverteidigung nur im akuten Notfall gewährt, der nicht gegeben war, ebenso irreführend wie die implizite Gleichsetzung der wenigen Menschen, die palästinensischen Raketenangriffen zum Opfer fielen, mit den verheerenden Zerstörungen, die das israelische Bombardement angerichtet hat. Auch hätte die Untersuchung der zu Lasten der Hamas ausgeblendeten Vorgeschichte dieses Überfalls das Urteil Goldstones noch harscher ausfallen lassen müssen. Die Weigerung, einer Bevölkerung, die unter schweren Luftangriffen steht, keinen Fluchtraum zu eröffnen, hätte in dem Report als besondere Grausamkeit ausgewiesen werden müssen. Die unterbliebene Bewertung des diesen Konflikt maßgeblich bestimmenden Gewaltverhältnisses, die Entrechtung der Palästinenser, die bis heute anhaltende Aushungerung Gazas, die fortwährende Landnahme durch israelische Siedler zeigt, daß die vielfach gelobte Neutralität des Reports vor allem ein Ergebnis politischer Rücksichtnahme ist.

Daß der südafrikanische Völkerrechtler dennoch von israelischen Medien hart kritisiert wurde und er mit seinem Bestreben, die Kultur der Straflosigkeit zu beenden, auf Granit beißt, dokumentiert die Ohnmacht der Palästinenser. Für den israelischen Präsidenten und Friedensnobelpreisträger Shimon Peres hat der Goldstone-Report die Welt auf den Kopf gestellt und die angeblichen palästinensischen Täter in Opfer verwandelt. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat davor gewarnt, daß eine Resolution des UN-Menschenrechtsrats dem "Krieg gegen den Terror", der UNO und dem Friedensprozeß schaden werde. Wenn Israel das Recht auf Selbstverteidigung genommen werde, so Netanjahu, würde dem Friedensprozeß ein "tödlicher Schlag" versetzt. Wenn Israel Palästinenser nicht nach Belieben drangsalieren kann, dann, so der Klartext dieser unverhohlenen Drohung, will man mit ihnen auch nicht in Frieden leben.

Auch Verteidigungsminister Ehud Barak ist der Ansicht, daß der in dem Bericht angeblich vorgenommene "gefährliche Versuch, Terrorgruppen mit denjenigen zu vergleichen, die sich zu verteidigen versuchen, ... der Fähigkeit der Welt, den Terrorismus zu bekämpfen, und letztendlich den USA, Rußland und den Mitgliedstaaten der NATO schadet". Der Labour-Politiker beruft sich darauf, daß die Armee Israels "zu den ethischsten der Welt gehört". Sie achte "mit peinlichster Genauigkeit auf die Reinheit der Waffen"(Jerusalem Post, 01.10.2009), sprich die moralische Korrektheit ihres Einsatzes, und werde alle Vorwürfe gründlich untersuchen. Hier sollte nicht vergessen werden daß die israelische Regierung jede Zusammenarbeit mit Goldstones Untersuchungskommission ablehnte. Um israelische Angehörige von Opfern palästinensischer Raketenangriffe anhören zu können, mußten diese eigens nach Genf reisen, da die Regierung in Tel Aviv dies untersagte. So sehr Israels Regierung mit den Leiden israelischer Opfer hausieren geht, so wenig ist sie daran interessiert, daß diese zur Kenntnis genommen und in den Kontext der Leiden der Palästinenser gestellt werden.

Die israelische Regierung feuerte aus allen Rohren gegen den Untersuchungsbericht des UN-Menschenrechtsrats und hat, unterstützt durch die USA und EU, damit Erfolg gehabt. Wenn der Goldstone-Report dem Gremium im März 2010 erneut vorgelegt wird, ist die Angelegenheit zu einer bürokratischen Formalie verkommen und wird keine Folgen mehr zeitigen, die im Sinne des Urhebers die Wiederholung derartiger Übergriffe auf eine Zivilbevölkerung verhinderten. Die Unterstützer der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs werden sich damit auseinanderzusetzen haben, wieso vor dem von ihnen zur letzten Instanz globaler Gerechtigkeit hochgejubelten Gericht immer nur Politiker und Militärs aus Ländern stehen, die mit den USA und der EU nicht eben auf bestem Fuße stehen.

5. Oktober 2009