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FRIEDEN/1033: Wie lange geht Israels Krug noch zum Brunnen? (SB)



Wenn ein kleines Staatswesen von wenigen Millionen Einwohnern auf einem schmalen Streifen Landes in den Kreis der weltweit führenden Militärmächte aufsteigt und über eine atomare Zweitschlagskapazität verfügt, kann man von einem Sonderfall sprechen. Nicht minder ungewöhnlich ist der symbiotisch anmutende Pakt mit der führenden Weltmacht, der ein ums andere Mal die Frage aufwirft, wer in dieser Kumpanei den Ton angibt. Israel ist es im Laufe seiner vergleichsweise kurzen Geschichte gelungen, sich in den Konflikten der Blöcke und Interessensphären so erfolgreich zu positionieren, daß es sich als aggressive Speerspitze im Nahen Osten unentbehrlich für die Kontrolle über die arabische Welt und die gesamte weltpolitisch außerordentlich umkämpfte Region gemacht hat.

Allein auf dem Wege der Aufrüstung und Kriegsführung wäre das kaum gelungen, da es einer außerordentlichen ideologischen Unterstützung bedurfte, um den Staat Israel westlicherseits zu idealisieren und gegen alle Kritik zu immunisieren. Als entscheidendes legalistisches Instrument erwies sich dabei die Doktrin ewiger Bedrohung durch übermächtige Feinde, verbunden mit der unabweislichen Forderung an die internationale Gemeinschaft, die israelischen Sicherheitsinteressen allen andern Erwägungen voranzustellen.

Da Israel längst zur dominanten Regionalmacht aufgestiegen ist, deren Waffengewalt alle Nachbarn fürchten müssen, erfordert die Aufrechterhaltung der Botschaft, es handle sich mehr denn je um einen Verteidigungsfall gegen Kräfte, die das Existenzrecht Israels bestritten und ihm mit Vernichtung drohten, immer extremere propagandistische Verrenkungen und brutalere Machtdemonstrationen. Dies bringt die nicht von der Hand zu weisende Gefahr einer übersteigerten Belagerungsmentalität mit sich, mit der sich die israelische Gesellschaft zunehmend in die Enge vermeintlicher Bedrängung manövriert, die nicht nur ihre Ohren gegen alle Bedenken und Einwände verschließt, sondern auch bellizistische Abenteuer in den Rang unverzichtbarer Befreiungsschläge erhebt.

Israel hat gegenwärtig eine Regierung, die konservativ zu nennen nachgerade euphemistisch wäre. Premier Benjamin Netanjahu, den man mit Fug und Recht dem Lager reaktionärer Kräfte zuordnen kann, wird von erheblichen Teilen seiner Koalition auf der rechten Spur überholt und hat einen Außenminister, den man anderswo als Faschisten bezeichnen würde. Diese Führung lenkt ein Land, dessen Bürger nicht zuletzt unter der Last eines gewaltigen Militärhaushalts in erheblichen Teilen verarmen und zunehmende soziale Spannungen erkennen lassen. Frieden ist unter diesen Umständen eine Option, welche die politische und religiöse Führung Israels keineswegs wünscht, da ohne das ständig vorgehaltene Bedrohungsszenario die uneingeschränkte finanzielle und ideologische Alimentierung Risse bekäme und zusammenzustürzen drohte.

Der Gedanke, auf das Maß eines durchschnittlichen Staates mit normalen Beziehungen zu seinen Nachbarn zu schrumpfen, scheint für israelische Führungskreise unerträglich zu sein, weshalb ein Militärschlag gegen den Iran ungeachtet seiner verheerenden Konsequenzen so starrsinnig vorgehalten wird, wie es der berühmte römische Agitator Cato der Ältere zu tun pflegte, der jede seiner Reden mit den Worten schloß, daß Karthago zerstört werden müsse. Die strategische Logik der USA und ihrer Verbündeten, jede aufstrebende Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten zu zerschlagen, indem man sie in Kriege mit ihren Nachbarn verstrickt, durch Aufstandsbewegungen unterminiert oder eigenhändig attackiert, die Staatsgebilde fragmentiert und sich als Besatzungsmacht dauerhaft festsetzt, findet in Israel einen zu allem entschlossenen Erfüllungsgehilfen.

Wie ein scharfer Wachhund, dem seine uneingeschränkte Dominanz im gesamten Revier zur zweiten Natur geworden ist, entgleitet auch Israel zunehmend der fütternden und lenkenden Hand seiner Verbündeten und neigt zu Alleingängen. Mag die relative Autonomie israelischer Entscheidungen und die automatische Rückendeckung seitens der US-Regierung wie eine in Stein gemeißelte Gesetzmäßigkeit erscheinen, ist nicht auszuschließen, daß diese Tafel plötzlich Risse bekommt und bricht. Läßt sich Obama auf einen Maulhelden zurechtstutzen, den die Regierung Netanjahu allwöchentlich mit neuen Baugenehmigungen als Papiertiger vorführt? Nimmt die US-Administration in Kauf, die Bindekraft des Obama-Faktors für die Europäer einzubüßen, deren Engagement im Dienst der weltweiten Herrschaftssicherung für Washington vorerst unverzichtbar ist? Tragen die Europäer einen Angriffskrieg gegen den Iran mit, der ihren aktuellen Wirtschaftsinteressen fundamental zuwiderläuft?

Ohne partielle Interessenkonflikte zu grundsätzlichen Widersprüchen zu überhöhen oder im Kalkül der Machtpolitik blauäugig für Vernunft und Einsicht zu plädieren, kann man doch auch nicht mit Sicherheit ausschließen, daß der Bogen überspannt ist. Mahnt der US-Präsident bei einem Staatsbesuch irgendwo auf der Welt die Wahrung der Menschenrechte an, kommt einem Guantánamo in den Sinn. Beteuert Netanjahu, er sei zu Friedensgesprächen ohne Vorbedingungen mit den Palästinensern bereit, entsinnt man sich des Massakers im Gazastreifen. Vom Verlust der Glaubwürdigkeit zu sprechen, würde dieser Situation nicht gerecht. Eher schon handelt es sich um Grenzen, die zu überschreiten eine wachsende Zahl von Menschen nicht länger bereit ist.

20. November 2009