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FRIEDEN/1036: Netanjahus Moratorium läßt Siedlern freie Hand (SB)



Israels Premier Benjamin Netanjahu hat sich bislang als geschickter Dompteur erwiesen, der die Menagerie der Raubtiere, die den Palästinensern das Leben zur Hölle machen wollen, ihre Kunststücke vorführen läßt. Gebannt verfolgt das Publikum, wie er die Amerikaner, Europäer und arabischen Regimes nicht minder wie die Siedler, Rabbis, Militärs und Kollaborateure miteinander, gegeneinander oder unabhängig voneinander tanzen läßt, wobei unter dem Strich stets dasselbe herauskommt: Der Würgegriff um den Hals der Palästinenser ist noch enger geworden, und da ihre Gesichter inzwischen blau angelaufen sind, fühlt sich die sogenannte internationale Gemeinschaft darin bestätigt, daß sie tatsächlich nicht wie Menschen aussehen und folglich auch nicht als solche zu behandeln sind.

Bei allem machiavellistischem Gespür und Geschick ist Netanjahu natürlich auf die Teilhaberschaft jener Akteure angewiesen, die er fortgesetzt in das Kalkül israelischer Staatsräson und Regierungspolitik einzubinden versucht. Eine hochgerüstete Militärmacht Israel, welche die gesamte Region für die Interessen der westlichen Mächte offenhält, ist für die Vereinigten Staaten so unverzichtbar wie für die europäischen Regierungen, was partielle Unwuchten zwischen den beiden Blöcken keineswegs ausschließt, da Krieg und Geschäfte zwar demselben Interesse entspringen, jedoch nicht immer zeitgleich in Erscheinung treten.

Barack Obama macht in diesem Konzert eine unglückliche Figur, da er sich als Maulheld in die Brust geworfen hat, jedoch vor den Israelis zu kneifen scheint, die ihm mit ihrer Lobbyarbeit die Hölle heißmachen. Unterdessen kann sich Netanjahu ins Fäustchen lachen, da die Fixierung der Zuschauerschaft auf den vorgeblichen Hoffnungsträger im Weißen Haus die flüchtige Aufmerksamkeit derart in Beschlag nimmt, daß man das Schicksal der Palästinenser längst aus den Augen verloren hat. Gleiches gilt für die Siedler, dessen radikalen Kern die Regierung als Kontrapunkt hofiert, um die Okkupation palästinensischen Lands, die seit der Staatsgründung Israels nie aufgehört hat, voranzutreiben und zugleich als innenpolitische Zerreißprobe zu präsentieren.

Wer unvoreingenommen und nüchtern unter die Lupe nimmt, was in den besetzten Gebieten vor sich geht, wird zu dem Schluß kommen, daß die israelische Übermacht den weit unterlegenen Palästinensern neben vielen anderen Drangsalierungen fortgesetzt Land, Bewegungsraum und Existenzmöglichkeiten wegnimmt. Man kann sich ausmalen, worauf das langfristig hinausläuft. Es ist nicht schwer, in diesem Konflikt Partei für die schwächere Seite zu ergreifen - sofern man es nicht der Gewohnheit folgend vorzieht, sich stets der Seite des Stärkeren in der irrigen Annahme anzudienen, daß dies zwangsläufig dem eigenen Vorteil dient, wie überhaupt das eigene Wohlergehen allen anderen Erwägungen vorangestellt wird.

Netanjahus jüngster Schachzug, den ungehinderten Ausbau der Siedlungen allen Ernstes als zeitlich befristeten Baustopp zu verkaufen, ohne dafür Spott und Hohn zu ernten, dokumentiert die Monstrosität der Scharade, die der israelische Regierungschef immer größer aufblasen muß, um jederzeit die Initiative zu behalten. Das sei ein beispielloses Entgegenkommen, klopfte sich die Regierung selbst auf die Schulter, nachdem das Sicherheitskabinett grünes Licht gegeben hatte. Zwar würden nicht alle Siedlungsaktivitäten eingefroren, doch verpflichte sich Israel zum ersten Mal, keine Neubauten in der Westbank zu genehmigen, lobte der US-Nahostbeauftragte George Mitchell.

Das ist in mehr als einer Hinsicht falsch. Erstens hatte auch Netanjahus Vorgänger Ehud Olmert eine entsprechende Erklärung abgegeben, sich aber nicht daran gehalten, wie israelische Regierungen in der Vergangenheit grundsätzlich kein einziges Abkommen mit den Palästinensern eingehalten haben. Zweitens handelt es sich bei dem nun verkündeten zehnmonatigen Siedlungsstopp weder um einen Meilenstein, noch einen ersten Schritt auf dem wünschenswerten Weg, sondern ein weiteres Täuschungsmanöver, das die Verbündeten Israels bei der Stange halten und die Palästinenser in die Defensive drängen soll.

Trotz aller Proteste der Palästinenser lehnt Israel einen Baustopp im besetzten arabischen Ostteil Jerusalems ab. Doch auch im Westjordanland schrumpft das vorgebliche Verbot von Siedlungsneubauten bei näherer Prüfung immer weiter zusammen. Von dem Moratorium ausgenommen sind alle öffentlichen Bauten wie Schulen, Kindergärten und Synagogen. Als wolle man dies unterstreichen, wurde nur einen Tag nach Verkündung des angeblichen Siedlungsstopps der Bau von 28 öffentlichen Einrichtungen in jüdischen Siedlungen im Westjordanland genehmigt. Soll wenigstens der private Wohnungsbau für die angegebene Zeit ruhen? Auch das ist nicht der Fall, da rund 3.000 bereits genehmigte Wohneinheiten uneingeschränkt fertiggestellt werden.

Wie Verteidigungsminister Ehud Barak mehrdeutig erklärte, sei man nun verpflichtet, in einen offenen und sorgfältigen Dialog mit den Siedlerführern zu treten. Worüber will die Regierung unter diesen Umständen mit den Siedlern sprechen, wenn nicht eine Einschränkung des Moratoriums? Der verkündete Baustopp stieß auf Kritik bei den Siedlervereinigungen, die diese Entscheidung als ungesetzlich bezeichneten und ankündigten, sie würden die Auflagen der Regierung ignorieren. Der Vorsitzende des größten Siedlerverbands, Danny Dayan, stellte Netanjahu energischen Widerstand in Aussicht und unterstrich, daß man 300.000 Bürger in 150 Gemeinschaften unmöglich einfrieren könne. Das natürliche Wachstum der Siedlungen sei nicht aufzuhalten. Wie aus dem Stab Netanjahus dazu verlautete, sei natürliches Wachstum ja auch von dem Siedlungsstopp ausgenommen.

Genau besehen hat Netanjahu also seine alte Formel vom natürlichen Wachstum, das auf einen uneingeschränkten Ausbau der Siedlungen hinausläuft, lediglich neu verpackt und als spektakulären Brocken in den Teich geworfen, wo man allseits begierig nach dem Köder schnappt. US-Außenministerin Hillary Clinton verstieg sich diesmal zwar nicht zu überschwenglichen Lobeshymnen und sprach wohlweislich nicht von einem beispiellosen Schritt, trug aber ihren Teil zu dieser fortgesetzten Farce bei, indem sie den verkündeten Baustopp als hilfreichen Beitrag im Friedensprozeß lobte. Das war Wasser auf die Mühlen Netanjahus, der die Verhältnisse wieder einmal auf den Kopf stellen konnte: Wie ihm die Freunde versichert hätten, müsse Israel nur den ersten substantiellen Schritt machen, worauf die Gegenseite zweifellos folgen werde, argumentierte er listig. Nun habe seine Regierung einen "schwierigen" und "schmerzhaften" Schritt in Richtung Frieden getan, der ihn hoffen lasse, daß die Palästinenser und die arabische Welt zur Zusammenarbeit bereit seien, damit man gemeinsam "für unsere und ihre Kinder" einen Neuanfang setzen könne.

Mit diesem Manöver hat Netanjahu den Palästinensern den Schwarzen Peter zugespielt und zugleich der US-Regierung die Steilvorlage geliefert, trotz deren Forderung nach einem vollständigen Siedlungsstopp alle diesbezüglichen Resolutionen im UN-Sicherheitsrat mit ihrem Veto zu verhindern. Im Juli 2008 hatten die arabischen Länder einen entsprechenden Entwurf vorbereitet, jedoch angesichts der zu erwartenden Blockade der USA von dem Vorhaben Abstand genommen. Nun hat Libyen eine erneute Initiative angekündigt, deren Entwurf derzeit mit Palästinenservertretern und anderen Mitgliedern des Gremiums beraten werde. Da die Forderung nach einem vollständigen Baustopp in jüngerer Zeit international mit wachsender Beharrlichkeit erhoben wird, muß die israelische Regierung fürchten, daß sie das Faß mit ihrer Weigerung zum Überlaufen bringt. Ihre komplette Blockade sämtlicher Forderungen nach einem Siedlungsstopp vor aller Augen in maßlose Ansprüche und mangelnde Kompromißbereitschaft der Palästinenser zu verwandeln, ist ein Kunststück, das schon eines Benjamin Netanjahu bedarf.

27. November 2009