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FRIEDEN/1048: Sportliche Kriegführung im Schatten des olympischen Friedensgebots (SB)



Vorbei die Zeiten, als Olympische Spiele ein Garant für Frieden waren. Heute verhält es sich umgekehrt, man nutzt den weltweit im Mittelpunkt des Geschehens stehenden Anlaß dazu, in seinem Schatten große Offensiven durchzuführen. Pünktlich zu Beginn der Olympiade in Peking griffen die Streitkräfte Georgiens die abtrünnige Provinz Südossetien an und brachten zahlreiche Menschen um. Der Besitzanspruch, mit dem ihre Zugehörigkeit zum eigenen Staat reklamiert wurde, hinderte den georgischen Präsident Michail Saakashvili nicht daran, die südossetische Hauptstadt Tschinwali mit einem Artilleriebeschuß zu belegen, der den betroffenen Bürgern den letzten Grund nahm, sich mit diesem Land verbunden zu fühlen. Der Held der bunten Revolution, die diesem postsowjetischen Staat Freiheit und Demokratie bringen sollte, verfuhr mit den Südosseten wie ein mittelalterlicher Despot, dem die eigenen Untertanen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Der verbrecherische Charakter dieser Aggression blieb trotz des medialen Sperrfeuers, mit dem im Westen die russische Reaktion auf den Angriff ins Visier genommen wurde, nicht verborgen, so daß das strategische Ziel der Einbindung Georgiens in die territoriale Expansion der NATO nach Osten vorerst nicht erreicht werden konnte.

Pünktlich zu Beginn der Olympischen Winterspiele im kanadischen Vancouver begann in Afghanistan die Großoffensive "Muschtarak". Auf dem Weg zu dem Ziel, die Taliban im Bezirk Marjah und der gleichnahmigen Stadt in der Provinz Helmand mit "überwältigender Gewalt" zu besiegen, sollen die 13.000 ISAF-Soldaten und das 2000 Soldaten umfassende Kontingent der afghanischen Regierungsarmee gut vorankommen. Da es sich bei diesem Angriff um die erste Bewährungsprobe für die neue Afghanistanstrategie der Besatzer handelt, laut der die Taliban unter maximaler Schonung der Zivilbevölkerung vertrieben werden sollen, um anschließend den lange versprochenen Wiederaufbau in die Tat umzusetzen, wird im Unterschied zu den vielen Kampfhandlungen, zu denen es auch im Verantwortungsbereich der deutschen Truppen gekommen ist, breit über das Ereignis berichtet.

Wenn die Rede von den bislang bei dieser "Operation" getöteten 27 Taliban ist, klingen Parallelen zur Berichterstattung über die Jagd nach olympischen Rekorden an. Man befleißigt sich eines Tonfalls kaum verhohlener Begeisterung darüber, daß endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden, und verbirgt die Grausamkeit des Krieges hinter einer Diktion ausgemachter Harmlosigkeit, ganz so wie bei den "chirurgischen Schlägen", die im Irak Zehntausende ziviler Opfer forderten. Daß diese militärische Maßnahme hunderte, wenn nicht tausende Zivilisten aus ihren Wohngebieten vertrieben hat, daß die ISAF bereits den Tod von zehn Zivilisten einräumen mußte, die in einem Haus Opfer einer Rakete der Angreifer wurden, und daß das ganze Ausmaß der Schäden, die unbeteiligte Afghanen erleiden, wenn überhaupt, erst später bekanntwerden wird, spielt zu Beginn der Offensive in der Berichterstattung eine nachgeordnete Rolle.

Statt dessen ergeht man sich in den angeblichen Vorzügen der neuen Strategie, mit der dafür gesorgt werden soll, daß die Taliban nach ihrer Vertreibung nicht wieder zurückkehren. Bald werden die Menschen "die Vorzüge der besseren Verwaltung, der ökonomischen Möglichkeiten und des Lebens unter den legitimen Behörden Afghanistans" kennenlernen, versüßt ein NATO-Sprecher die zuvor zu erleidenden Zerstörungen. Was es für die in der Region lebenden Paschtunen bedeutet, wenn sie unter Androhung von Gewalt mit Herrschaftsstrukturen konfrontiert werden, deren Sachwalter als Nutznießer der Besatzer nicht minder korrupt sind als andere Oligarchen, wenn sie sie als Befreier von den Taliban willkommen heißen sollen, obwohl sie zusätzlich zu ihrem Land auch noch ihre Herzen und Köpfe okkupieren sollen, ist nicht wirklich von Belang. Man vertritt den Plan, überlegene Feuerkraft durch eine konzertierte Aktion des staatlichen wie zivilen Wiederaufbaus zu ergänzen, um anschließend ein befriedetes Land zu erhalten, als hätten die betroffenen Menschen kein Eigenleben, als hätten sie in den acht Jahren der Besatzung nicht Angehörige bei Luftangriffen der ISAF verloren und keine Verschlechterung ihrer vorher schon elenden Lebensbedingungen in Kauf nehmen müssen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der das olympische Friedensgebot, das in Zeiten der Ost-West-Konfrontation noch ein heißdiskutiertes Thema war, ad acta gelegt wird, entspricht dem positiven Tenor der Kriegsberichterstattung. Um auch die entlegensten Winkel dieses Planeten mit den Segnungen der westlichen Gesellschaftsordnung zu beglücken, müssen kleinere, manchmal auch größere Blutopfer in Kauf genommen werden. Wenn NATO-Soldaten sterben, dann ist es nur recht und billig, auch die Einheimischen, um deren Wohl es ja gehen soll, zur Ader zu lassen. Während der bei einem Sportunfall gestorbene georgische Rodler auf der Eröffnungsfeier der olympischen Spiele voller Betroffenheit und Mitgefühl betrauert wird, sterben die Opfer des militärischen Arms der olympischen Bewegung, dessen Truppen in Kanada wie Afghanistan für den ordnungsgemäßen Ablauf der Spiele und Offensiven sorgen, stumm und anonym.

14. Februar 2010