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FRIEDEN/1051: Käßmann geht ... zum Abschied ein Hochamt kriegstauglicher Moral (SB)



Mit einem Schwall an süßsaurer Moral, deren Verlogenheit ihresgleichen sucht, wurde Margot Käßmann nach nur vier Monaten als Ratsvorsitzende der EKD zurück ins Glied geschoben. Kaum ein Politiker wollte darauf verzichten, ihren Rücktritt mit Respektbezeugungen zu honorieren, kaum ein Journalist fand, selbst wenn er die Bischöfin zuvor ins Visier genommen hatte, nicht ein paar herzenswarme Worte zu ihrem Abschied. Wieso sie überhaupt zurückgetreten sei, nachdem ihr von der eigenen Kirche ausdrücklich der Rücken gestärkt wurde, wollen viele wissen, die das Hochschreiben und Abschießen öffentlicher Figuren bislang als unterhaltsame Praxis der Celebrity-Journale verkannt haben.

Wer ihren persönlichen Fehler mit ihrer Kritik am Afghanistankrieg in Zusammenhang bringt, wie es nicht wenige Journalisten in der Absicht getan haben, die Bischöfin zu Fall zu bringen, handelt ebenso instinktsicher wie diejenigen, die ihren Zusammenprall mit einer Moral, zu deren Sachwalterin sie berufen war, mit der Geste eines Bedauerns flankieren, das nichts als Einsicht in die Unausweichlichkeit herrschender Verhältnisse demonstriert. Indem Käßmann aus einem Fehltritt, der in seiner Durchschnittlichkeit eine nicht unsympathische persönliche Schwäche zum Vorschein brachte, die Konsequenz des Rücktritts zog, reagierte sie vor allem auf die kaum verhohlene Feindseligkeit, die ihr aus weiten Kreisen der Funktionseliten entgegengebracht wurde, nachdem sie zu Weihnachten erklärt hatte, daß der Krieg in Afghanistan "auch nach den weitesten Maßstäben der Evangelischen Kirche in Deutschland (...) so nicht zu rechtfertigen" sei, um ihr Urteil Anfang des Jahres noch einmal zu verschärfen: "Nichts ist gut in Afghanistan".

Damit hatte sich Käßmann auf eine Weise angreifbar gemacht, die ihr zwar in der Bevölkerung viel Zustimmung bescherte, die den geschäftsmäßigen Duktus des in staatlichem Auftrag vollzogenen Tötens und Zerstörens jedoch auf für Inhaber gesellschaftlicher Spitzenämter inakzeptable Weise durchbrach. Der Mut, den Käßmann mit diesen Bewertungen demonstrierte, wurde mit Hilfe der überlegenen PR-Strategie des Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg in einen Canossagang verwandelt, auf dem der Bischöfin hinlänglich klargemacht wurde, daß sich ihr Platz ganz am Rand der politischen Macht befindet, nämlich dort, wo die Produzenten der zur Herrschaftsicherung erforderlichen Legitimation sitzen. Als christliche Friedensstifterin in den Bendlerblock vorgeladen zu werden, um sich vom Kriegsherren lektionieren zu lassen, dürfte erniedrigend genug gewesen sein. Mit den daraus resultierenden öffentlichen Zugeständnissen, daß sie mit Guttenberg "gar nicht so viele Meinungsverschiedenheiten" habe und sie zudem begreife, "daß in Afghanistan im Moment Waffen auch dem zivilen Aufbau dienen können", demonstrierte die EKD-Vorsitzende Einsicht in die Notwendigkeit des Blutvergießens und Bereitschaft, falls erforderlich, für weitere Waffengänge zur Verfügung zu stehen.

Mit der Einladung, bei einem Truppenbesuch in Afghanistan einen Gottesdienst vor Bundeswehrsoldaten abzuhalten, und der Ankündigung, künftig gemeinsam mit Guttenberg bei Vorträgen an der Führungsakademie der Bundeswehr oder in evangelischen Akademien aufzutreten, verwandelte sich der Sturm im protestantischen Wasserglas in das laue Lüftchen, das amtskirchlichen Bedenkenträgern gerne zugestanden wird, um den Anschein lebendiger gesellschaftlicher Pluralität zu erwecken. Käßmann wurde durch diesen Rückzieher auf verträgliches Normalmaß zurechtgestutzt, was in Anbetracht ihres streitbaren Aufbruchs nur als Niederlage gewertet werden kann.

Ihrer Seele habe der große Zuspruch, den sie nach ihrem Fehltritt erhalten habe, gut getan, meinte die Bischöfin bei Bekanntgabe ihres Rücktritts. Was ihr, versteht man die Instanz der Seele einmal als Chiffre für freie Selbstbestimmung, zweifellos besser getan hätte, wäre die Stärke einer Gegenposition zu entwickeln, an deren Fehlen diese Gesellschaft so krankt. Mit dem Festhalten an ihrer Kritik und der Verweigerung jeglicher Einbindungsversuche hätte Käßmann den Widerspruch zwischen der politisch-strategischen Ratio deutscher Kriegführung und dem Wunsch der Bundesbürger nach einer sich weder nach außen noch nach innen aggressiv durchsetzenden Republik so unübersehbar offengelegt, daß der zentrale soziale Konflikt, der dem Primat militärischer Durchsetzungslogik zugrundeliegt, dieses Mal von unten und nicht von oben artikuliert worden wäre.

Eine solche Vision ist natürlich reine Fantasterei, weil in den Amtskirchen Politik nicht von Einzelpersonen - oder gar dem Herrn und seinem Sohn - gemacht wird, sondern weil es sich um Institute der gesellschaftlichen Befriedung handelt, deren Funktionslogik nicht durch individuelle Hasardeurstreiche in Frage gestellt wird. Die erste Frau an der Spitze der EKD war, wie gerade auch Politikerinnen nun betonen, in ihrer erfrischend unkonventionellen Art ein Glücksgriff. Die ganze Wahrheit über den Freiraum einer unorthodoxen Amtsführung will man lieber nicht wissen, auch das ist ein Grund, warum hinter den Lobpreisungen Erleichterung ob ihrer Entscheidung durchklingt.

Im Grunde genommen war Käßman bereits nach der öffentlichen Niederschlagung ihrer Kritik am Afghanistankrieg eine Amtsträgerin auf Abruf. Ihr Rücktritt ist allzu verständlich, und zwar nicht, weil sie sich moralisch schuldig gemacht hat, sondern weil ihr diese Schuld hundertfach zur Last gelegt worden wäre. Wenn ein Verteidigungsminister im Amt bleiben kann, der ein blutiges Massaker gutheißt, wenn Finanzmanager, die aus eigennützigen Gründen Familientragödien auslösen und ganze Existenzen vernichten, nicht mehr auszustehen haben, als die dabei erwirtschafteten Millionen in aller Ruhe zu verzehren, wenn Kapitaleigner die Fäden der Macht ziehen, ohne daß auch nur die Frage nach dem demokratischen Charakter der von ihnen manipulierten Eigentümergesellschaft aufgeworfen wird, dann versteht sich von selbst, daß die kleinen Verfehlungen derjenigen, die diese Vergesellschaftungspraxis nicht vorbehaltlos unterschreiben, um ein Vielfaches schwerer wiegen.

Lohnabhängige werden wegen eines Griffs in den Brotschrank entlassen, obwohl - oder weil - sie damit zeigen, wie schwer sie es haben, über die Runden zu kommen. Erwerbslose werden zum Ergötzen reicher Flaneure, die angeblich ihr Geld für sich arbeiten lassen, in grauen Reihen als Sozialschmarotzer über den Prachtboulevard mit den leuchtenden, für sie unerreichbaren Konsumtempeln getrieben. Zwangsprostituierte werden von Siegertypen mißbraucht, die behaupten, sie würden die Frauen Afghanistans befreien. Die eben nicht an einer Kleinigkeit gestrauchelte, sondern über die Sünde, die Herren des Krieges herauszufordern, gefallene Bischöfin könnte ahnen, daß Jesus nicht unbedingt auf der Seite der Besatzer Afghanistans stände und daß er als mittelloser Rebell keine Chance hätte, in Deutschland Aufnahme zu finden.

25. Februar 2010