Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

FRIEDEN/1111: Kriegsgefahr für Nahost geht von NATO-Staaten aus (SB)




Der Auftritt Benjamin Netanjahus vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen bot in der Sache nichts neues, doch griff der israelische Premierminister mit der Gleichsetzung des Iran und Al Qaidas sowie der bildlichen Untermalung der Gefahr, die von diesem Land angeblich für den Weltfrieden ausgehe, zu einer besonders polemischen Dramaturgie. Da seine Tiraden gegen eine Bedrohung, die das Licht eigener Kriegsdrohungen unter den Scheffel unantastbarer Wahrheit stellte, die Legende eines nur vom Iran ausgehenden Hegemoniestrebens in der Region des Nahen und Mittleren Ostens fortspann, kommt es bei der Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines von Israel initiierten Flächenbrands um so mehr auf die NATO-Staaten an, auf deren Unterstützung die israelische Führung bei einem Angriff auf den Iran schon aus Gründen ungenügender militärischer Bemittelung setzen muß. Würden diese definitiv jede militärische und finanzielle Unterstützung für den Fall aufkündigen, daß die israelische Regierung ohne das Vorliegen einer eindeutigen äußeren Aggression einen Krieg vom Zaun bricht, dann wäre ein solcher Vorstoß nur unter größtem Risiko für die eigene Sicherheit zu führen.

Zwar wird die Unterstützung, die Netanjahu aus den Hauptstädten der USA und EU erhält, nicht mehr so vorbehaltlos gewährt wie in derjenigen Phase des Konflikts mit dem Iran, in der die führenden NATO-Staaten von sich aus versuchten, ihre geostrategischen Interessen gegen Teheran mit einer das Land benachteiligende Verhandlungspolitik durchzusetzen. So stellen die Jahre der Isolation und des Boykotts, mit dem die NATO-Staaten den Iran drangsalieren, für diese ideellen Gesamtkapitalisten eine Verlustrechnung dar, die sich in ihrem Kalkül nur bei einer Eroberung des Landes in ein Plus verwandeln könnte. Um so weiter entfernt sind sie von einer Einhegung der von Israel ausgehenden Kriegsgefahr. Auch wenn die meisten Regierungen der NATO-Staaten nicht den Eindruck erwecken, den von ihnen angestrebten Regime- und Systemwechsel im Iran mit militärischen Mitteln erzwingen zu wollen, spielen sie dem Zündeln der israelischen Regierung in die Hände. Die routinemäßige Abwesenheit der US-amerikanischen und israelischen Vertreter bei der Rede des iranischen Präsident Mahmud Ahmedinejad vor der UN-Vollversammlung und die anschließend angekündigte Erhöhung des diplomatischen Drucks, die mit der imperativen Anmahnung "dringenden Handlungsbedarf" Teherans stehenden Fußes umgesetzt wurde, zeigen, daß die maßgeblichen Akteure unter den fünf UN-Vetomächten und Deutschland, die die westliche Iranpolitik bestimmen, im Fahrwasser Netanjahus verbleiben.

Daß sie damit gegen die Interessen eines Gutteils der israelischen Bürger, die diesen Krieg nicht wollen, wie zahlreiche jüdische Kriegsgegner in aller Welt verstoßen ist nichts, was ihr moralisches Feigenblatt, mit Israel die angeblich einzige Demokratie im Nahen und Mittleren Osten gegen die Bedrohung durch ein fundamentalistisches Regime zu schützen, erschüttern könnte. Schließlich geht es den Regierungen der USA und EU nicht im mindesten um den Schutz und das Wohlbefinden der israelischen Bevölkerung. Die ärmeren Bürger des Landes sind sich durchaus im Klaren darüber, daß ihre Regierung die Kriegstrommel auch deshalb schlägt, um sich nicht den immer schärferen sozialen Widersprüchen, unter denen sie leiden, stellen zu müssen. Die palästinensischen Bürger Israels wie die Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten wissen zudem, daß sie die großen Verlierer dieser Politik der höchsten Einsätze sind. Sich auf dem Boden härtester Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse für Menschen einzusetzen, die kaum mehr zu verlieren haben als das eigene Leben, ist für die Funktions- und Kapitaleliten in Israel wie in den USA und der EU gleichermaßen uninteressant.

Der moralische Schaum, mit dem die Weltbevölkerung in diesem Konflikt eingeseift werden soll, ist ohnehin von höchst dünner Beschaffenheit, wie zuletzt das Gipfeltreffen der Blockfreien in Teheran gezeigt hat. Das Gros der Weltbevölkerung ist, zumindest wenn man deren Regierungen, die sich bei diesem Anlaß für die souveräne Nutzung ziviler Atomenergie durch den Iran einsetzten, als ihre Repräsentanten versteht, nicht der Ansicht, daß gegen ein Land Krieg geführt werden sollte, daß den atomaren Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet hat und über keine Atomwaffen verfügt, durch ein Land, daß diese Unterschrift hartnäckig verweigert, weil es sein nukleares Waffenarsenal uneingeschränkt nutzen will.

Wenn die US-Regierung heute ankündigt, die syrische Opposition weiterhin finanziell zu unterstützen, und auch sonst nichts für eine gewaltlose Lösung des Syrienkonflikts tut, dann arbeitet sie wie bisher an der Zerschlagung der Achse Damaskus-Teheran auch für den Preis einer von dort erfolgenden Eskalation der kriegerischen Entwicklung in der Region. Wenn der deutsche Außenminister Guido Westerwelle der iranischen Regierung vor der UN-Vollversammlung die gesamte Bringschuld in diesem Konflikt auflastet, wenn er die Sicherheit Israels so absolut setzt wie er die des Irans relativiert, wenn er schließlich kaum verhohlen droht, bei Nichteinlenken Teherans sei die Stabilität der gesamten Region gefährdet, dann macht er sich aufgrund der Unvollständigkeit seiner Analyse nicht etwa lächerlich, sondern beweist, daß er aus seinem angeblichen Libyen-Debakel gelernt hat.

Von daher ist die Haltung der NATO-Staaten gegenüber Israel etwa so verlogen wie die jener christlichen Zionisten in den USA, die das Heilige Land zu ihrem Armageddon machen wollen und seine Politik daher vorbehaltlos unterstützen. Der Pferdefuß ihres nicht geringen Einflusses auf den US-Kongreß und die Republikanische Partei liegt in ihrem unerschütterlichen Glauben daran, daß ein Jude am Ende nur dann selig wird, wenn er zu ihrem evangelikalen Endzeitchristentum konvertiert. So wird Israel unter Nutzung einer Regierung, deren Ministerpräsident in seiner Zeit in den USA genügend Gelegenheit hatte, sich mit der Logik des Imperialismus vertraut zu machen, in eine Gefahr manövriert, die seiner Bevölkerung am allerwenigsten bekommt. Die ideologische Armierung machtpolitischer Winkelzüge und Strategien gehört zwar zum Geschäft, das müßte aber nicht bedeuten, daß die maßgeblichen Agenturen politischer Meinungsbildung diese Unterstellungen mit sklavischer Ergebenheit nachbeten. Daran ändern auch kleine Absetzbewegungen, zu denen es angesichts der grafischen Präsentation der Botschaft Netanjahus kam, nichts. Um gegen einen großen Krieg im Nahen und Mittleren Osten Stellung zu beziehen, bedarf es einer klaren Positionierung, von der Politik wie Medien der NATO-Staaten weit entfernt sind.

29. September 2012