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HEGEMONIE/1560: Je tiefer die Krise, desto rigider die neue Ordnung (SB)



"Shaping the Post-Crisis World" - das Motto des am Sonntag zu Ende gegangenen Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos könnte nicht besser geeignet sein, die Haltlosigkeit der dort verhandelten Konzepte zu veranschaulichen. Von einem "Danach" kann bei der gerade erst vollständig ausgreifenden Weltwirtschaftskrise keine Rede sein, wie aus diversen Analysen hervorgeht, die den Refinanzierungsbedarf der internationalen Banken für weit größer als ihren Bestand an Aktiva veranschlagen. Daß das Einspringen des Staates für das in Not geratene Kreditgewerbe dazu führt, die von ihm abhängigen Unternehmen zu retten, ist nach dem bisherigen Stand der aufgewendeten Mittel nicht zu erwarten. Obwohl bereits Milliarden in den Finanzsektor gepumpt wurden, sollen dort noch Kreditausfälle in mehrfacher Höhe der Auslösung durch den Steuerzahler harren.

Daß die Regierungen bereit sind, das Finanzkapital zu retten, anstatt es den von ihm selbst propagierten Regeln nach bankrott gehen zu lassen, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Haushalte der Staaten selbst von der Kapitalisierung auf dem Finanzmarkt und die Steuereinnahmen von Unternehmen, die dort ihren Kreditbedarf decken, abhängen. Die Option einer dauerhaften Verstaatlichung des Finanzsektors wird jedoch rundheraus abgelehnt, und zwar von den gleichen Managern, Ökonomen und Politikern, die das Schiff sehenden Auges in die Krise gesteuert haben. Während man sich in Davos weitgehend darüber einig war, daß die nächsten zwei Jahre ein weltweiter Rückgang des Wirtschaftswachstums zu verzeichnen sein wird, der schwerwiegende Folgen für die davon betroffenen Volkswirtschaften haben wird, waren Vorstellungen und Konzepte zur Überwindung der Krise, die nicht auf frommen Hoffnungen beruhten und im wesentlichen die Sicherung des Einflusses bislang herrschender Eliten zum Ziel haben, Mangelware.

Mit einer Ursachenforschung, die wahlweise oder im kompletten Ensemble die Gier von Bankern, die Immobilienkrise in den USA, den Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers und die Deregulation des Finanzmarkts für die Krise verantwortlich machte, wird davon abgesehen, daß der Kapitalismus als Ganzes an Grenzen stößt, die sich nicht auf Ungleichgewichte im Verhältnis von Angebot und Nachfrage reduzieren lassen. Dem blinden Fleck im Auge der politischen und ökonomischen Planer entspricht die Tatsache, daß zur Regulierung des Finanzmarkts bislang keine verbindlichen Schritte auf internationaler Ebene unternommen und die aufgelegten Konjunkturpakete nicht einmal in der EU miteinander abgestimmt wurden, sondern das bisherige Krisenmanagement vorzugsweise nationale Interessen reflektiert.

Die jahrelang als zukunftsweisendes Entwicklungsmodell propagierte Globalisierung erweist sich dementsprechend als voluntaristische Maßnahme zur Sicherung der in den USA und der EU angesiedelten Eliten. Man hat sich auf dem Rücken der Volkswirtschaften des Südens bereichert und die dort zu Hungerlöhnen ausgebeuteten Arbeiter als Manövriermasse gegen die Interessen der eigenen Lohnabhängigen ausgespielt. Nun, da den in internationaler Arbeitsteilung produzierten Waren die Abnehmer fehlen und die finanzmarkttechnische Kompensation sinkender Erträge in der sogenannten Realwirtschaft an der aufgeflogenen Multiplizierung nicht durch materielle Produktivität gedeckter, sondern aus Schulden geschöpfter Kapitalmengen scheitert, erweist sich die Globalisierung erst recht als eigennütziges Projekt von Nationalstaaten.

Die zwischen diesen immer lauter ausgetauschten Bezichtigungen, gegen vereinbarte Handelsbedingungen verstoßen zu haben und sich zu Lasten anderer Länder mit protektionistischen Maßnahmen sanieren zu wollen, die Versuche, ausländische Firmen und Investoren von nationalen Rettungsmaßnahmen auszuschließen, dokumentieren, daß die supranationalen Absprachen zur Welthandelspolitik nur Bestand haben, wenn sie den ökonomisch wie militärisch stärksten Staaten Vorteile verschaffen. Die Benachteiligung der Länder des Südens durch die Regularien und Maßnahmen von WTO, IWF und Weltbank wurde von den Betroffenen stets bekämpft, allerdings setzten sich die führenden Industriestaaten im Kreis der G-8 und OECD aufgrund der bei ihnen gebündelten Kapitalmacht meist zu deren Lasten durch.

Über die Weltordnung nach der Krise wurde in Davos nicht befunden, steht man doch vor dem Problem, daß man sich damit den Teppich unter den Füßen wegziehen könnte. Ihre Formierung kann daher nicht auf den konventionellen Konzepten beruhen, mit denen man versucht, das diskreditierte kapitalistische Verwertungsmodell etwas kleinteiliger und regulierter zu reorganisieren. In der Krisenbewältigung gelangt eine administrative Ratio zur Geltung, die nicht nur das derangierte Finanzkapital retten, sondern die Ressourcenverknappung bei Wasser, Nahrungsmitteln und Energie organisieren, ökologische Probleme bewältigen und geostrategische Konflikte lösen soll. Die Anrufung des Staats als Krisenmanager wird daher dessen Bedeutung für die Regulation jeder Form von Daseinsvorsorge, Ressourcenverteilung, Bevölkerungspolitik und Territorialkonflikt wachsen lassen.

Wie der Verlauf dieser epochalen Krise zeigt, ist das kapitalistische Weltsystem nicht dazu geeignet, negative Entwicklungen frühzeitig zu diagnostizieren und auszusteuern. Das Primat der Selbstregulation ist dafür nur scheinbar verantwortlich, dient es doch als Vorwand zur Sicherung partikulärer Interessen, zu dessen Konstruktion man sich der schlichten Ausblendung relevanter administrativer, rechtlicher und gesellschaftlicher Faktoren bedient, die das Geschehen in der sogenannten Marktwirtschaft auch unter neoliberalen Bedingungen im erwünschten Ordnungsrahmen des Privateigentums und der Geldpolitik, der Handelsbedingungen und des Sicherheitsregimes restriktiv regulieren. Das nun verlangte Mehr an staatlicher Einflußnahme dient nichts anderem als der Stärkung dieser Faktoren zur Sicherung des gleichen Klasseninteresses, das sich bislang der neoliberalen Doktrin bediente.

In Ermangelung eines tragfähigen und durchsetzbaren Anschlußkonzepts an das kapitalistische Akkumulationsregime wird sich der Fokus der Regulation vom sogenannten Markt auf die Bevölkerung als Produktiv- und Verbrauchsfaktor verlagern. Je mehr sich die Fiktion des angeblich aus sich selbst heraus schöpfenden Kapitals zerschlägt, je mehr der Wahn, daß Geld arbeite, als solcher erkenntlich wird, desto mehr wird die Bedeutung klassischer Produktionsfaktoren des Bodens, der Rohstoffe und der menschlichen Arbeit anwachsen. Bereits etablierte Formen der Zwangsverwaltung von Armut und Not werden mit der anwachsenden Schar von Menschen, die dem Stand der Produktivkraftentwicklung nicht mehr angemessen entlohnt werden, an Bedeutung gewinnen, während der demokratische Anspruch auf eine egalitär organisierte Gesellschaft unter die Räder des permanenten Notstands geraten wird.

Die Weltwirtschaftskrise kann nicht allein als Problem ungenügenden Wirtschaftswachstums gedacht werden, wenn die Verfügbarkeit lebenswichtiger Ressourcen an objektive Grenzen stößt. Demgegenüber gewinnen die Ansprüche und Wünsche, die Ausbeutbarkeit und Verwertbarkeit der Bevölkerung als flexible Stellgrößen an Bedeutung. Einsparpotentiale bei Konsum und Versorgung können parallel zu Produktivität und Verbrauch des einzelnen Menschens geltend gemacht werden, indem Sanktion und Gratifikation wieder direkter an die Verfügbarkeit materieller Lebensressourcen gekoppelt werden.

Wenn sich, wie allgemein prognostiziert, das Nord-Süd-Gefälle zugunsten der größeren Einbeziehung sogenannter Schwellenstaaten in die Bewältigung der Krise relativiert, dann gleicht sich auch der in den Billiglohnländern extreme Klassenwiderspruch an die gesellschaftlichen Bedingungen der westlichen Welt an. Diese Entwicklung läuft parallel zur Renationalisierung der ökonomischen Administration, lassen sich soziale Widersprüche doch am besten beherrschen, indem das gemeinsame Interesse aller Lohnabhängigen gegeneinander ins Feld geführt wird. Dies fällt um so leichter, als der Mangel an natürlichen Ressourcen zu Konflikten zwischen Staaten Anlaß gibt, anhand derer der eigenen Bevölkerung suggeriert werden kann, an ihrer Misere seien andere Regierungen schuld.

Um dieser drohenden Entwicklung entgegenzutreten, bedarf es der umfassenden Aufklärung und Mobilisierung des Proletariats und Subproletariats unabhängig von seiner nationalen Verortung. Hier gilt insbesondere, die jeweiligen gesellschaftlichen Angebote an Partizipation und Integration auf den Prüfstand ihrer politischen Funktion zu stellen. Das Versprechen auf sozialen Aufstieg, auf Macht und Reichtum richtet sich, lange bevor es auch nur ansatzweise realisiert wird, gegen den anderen. Dieses systematisch erzeugte Konkurrenzverhalten zugunsten der Handlungsgemeinschaft der Ausgegrenzten und Überflüssigen in aller Konsequenz aufzukündigen ist allerdings ein Schritt von geradezu menschheitsgeschichtlicher Bedeutung, der nicht erst seit dem Eintreten kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse auf der Agenda steht und ignoriert wird.

2. Februar 2009