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HEGEMONIE/1582: Postengeschachere der NATO zu Lasten von Roj TV (SB)



Die Art, wie der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen zum neuen NATO-Generalsekretär gewählt wurde, liefert einen treffenden Beweis für das rücksichtslose Vorgehen der NATO. Mehr denn je will der transatlantische Pakt offenbar seine Hegemonialinteressen auf Kosten schwächerer, um Eigenständigkeit bemühter Positionen durchsetzen: Rasmussen erhielt nämlich den Segen Ankaras unter anderem, weil er ein Verbot des kurdischen Fernsehsenders Roj TV in Dänemark prüfen lassen will.

Bis zum Schluß des NATO-Gipfels hatte die Türkei gepokert und den Dänen wegen dessen Haltung zu der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" vor einigen Jahren abgelehnt. Erst als US-Präsident Barack Obama in die Verhandlungen eingriff und der Türkei das Entgegenkommen der übrigen NATO-Staaten zusicherte, lenkte das Land am Bosporus ein.

So lautet zumindest die offizielle Berichterstattung. Indes drängt sich der Eindruck auf, daß die Türkei und die USA das bekannte Spiel "Böser Bulle, guter Bulle" gespielt haben. Denn eine der Zusagen an die Türkei zielt auf die Schließung des kurdischen Fernsehsenders Roj TV, der dank einer dänischen Lizenz seit März 2004 über Satellit ausgestrahlt werden darf und wegen dem die Türkei und die USA seit längerem Druck auf Dänemark ausüben, damit es den Betrieb des Senders einstellt. Doch erwies sich unser nördlicher Nachbar in dieser Frage standhafter als die Bundesrepublik Deutschland. Die entzog Roj TV im Mai 2008 die Sendeberechtigung.

Tatsächlich fällt es der Türkei schwer, dem kurdischen Sender Vorwürfe zu machen, die der Belastung standhalten, so daß Roj TV lediglich angelastet wird, es stehe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK "nahe". Die PKK wiederum setzt sich mit Waffengewalt gegen die Unterdrückung der Kurden in der Türkei ein. Bislang vertraten die zuständigen dänischen Behörden den Standpunkt, daß eine Berichterstattung über die PKK durch das Gebot der Meinungsfreiheit gedeckt werde; die Weitergabe von Informationen sei noch keine Aufhetzung zum Haß, wie seitens der Türkei behauptet wurde. Hätte Roj TV hingegen zum bewaffneten Kampf aufgerufen, kann man sicher sein, daß Dänemark sich dem Drängen der Türkei und der USA nicht widersetzt hätte.

Nun ist plötzlich alles anders. Weil sich Rasmussen mit den Worten von seiner Regierung verabschiedet hatte, daß er nicht wieder in derselben Funktion zurückkommen werde, hing seine Karriere von der Ernennung zum NATO-Generalsekretär ab - da muß die Demokratie selbstverständlich zurückstehen. Rasmussen wird sich jetzt reichlich verbiegen müssen, will er erklären, wieso Roj TV plötzlich der Zensur zum Opfer fallen soll, hatte er doch vor nicht einmal drei Jahren die türkische Staatsanwaltschaft dafür kritisiert, daß sie 54 kurdische Bürgermeister angeklagt hatte, weil sie sich in einer Petition an Rasmussen für den Erhalt von Roj TV ausgesprochen hatten. Nun soll das auf einmal nicht mehr zählen. Dänemark hat vergangene Woche zwei Staatsanwälte in die Türkei geschickt, die den kurdischen Fernsehsender angeblich belastendes Material überprüfen wollen.

Es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn es Ankara nicht gelingt, entsprechende Hinweise zu fabrizieren. Und es sollte ebenfalls mit dem Teufel zugehen, wenn die Dänen das nicht anerkennen und daraufhin irgendein Regierungsvertreter mit gewichtiger Miene vor die Presse tritt und erklärt, daß das von der Türkei vorgelegte Material tatsächlich belastend ist und man Roj TV nicht länger dulden dürfe.

Selbstverständlich ist das eine Farce, denn die eindeutige Positionierung von Roj TV für die Interessen und Belange der Kurden (und keineswegs nur der PKK) birgt noch nichts Verwerfliches. Immerhin steht Roj TV für eine kulturelle Gleichberechtigung der Völker ein, was jedem Staat sauer aufstoßen muß, der Volksgruppen derart unterdrückt wie die Türkei. Roj TV sendet nicht allein in kurdisch, sondern auch in arabisch, türkisch und weiteren Sprachen.

Die Lockerung der Einschränkungen durch den türkischen Ministerpräsidenten Racep Tayyip Erdogan in den letzten Jahren gibt bei weitem nicht Anlaß zu der Vermutung, die Kurden würden nicht mehr massiv unterdrückt. Bei einer Einstellung des Sendebetriebs von Roj TV würde den Kurden eine wichtige Plattform zur Bewahrung und Pflege ihrer Kultur verloren gehen. Man muß sich fragen, was das die NATO angeht. Wieso maßt sich ein Militärbündnis an, über kulturelle Fragen von Völkern zu befinden? Die Frage ist selbstverständlich nur rhetorisch, zielt doch militärischer Interventionismus auch und gerade auf die kulturelle Eigenständigkeit und damit den konsequenten Widerstand gegen jegliche Form von Fremdherrschaft.

Die militärisch hochgerüstete Türkei bildet einen wichtigen Vorposten des westlichen Militärbündnisses in Richtung Naher und Mittlerer Osten. Das strategische Interesse der NATO an der Türkei ist enorm. Folgerichtig lautet eine weitere Zusage in der Personaldebatte um den Posten des NATO-Generalsekretärs, daß die Türkei einen stellvertretenden Generalsekretär stellen darf. Darüber hinaus hat sich US-Präsident Barack Obama für den Beitritt der Türkei in die Europäische Union ausgesprochen. Der Türkei kommt bei der Umgestaltung des Weiteren Mittleren Ostens, wie sie von den USA und ihren Juniorpartnern in Europa angestrebt wird, um auf dieser Grundlage den Griff nach Zentralasien und darüber hinaus führen zu können, eine besondere Bedeutung zu.

6. April 2009