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HEGEMONIE/1596: Durchsichtiges Revirement der US-Interessen in Nahost (SB)



Seit Tagen wurden die Erwartungen an den Inhalt der Rede, die der US-Präsident in Kairo gehalten hat, geschürt. Seine Ankündigung, mit dieser Grundsatzrede einen Neubeginn im Verhältnis zwischen den USA und der islamischen Welt zu schaffen, belegt zumindest das strategische Geschick Barack Obamas, dem im Wahlkampf häufig ungenügende Erfahrung in der Außenpolitik nachgesagt wurde. Wie zu erwarten war, ist der Rede nichts zu entnehmen, das auf einen Neuanfang verwiese, der nicht den machtpolitischen Interessen Washingtons insbesondere in der arabischen Welt und im Iran entspräche. Anstelle eines eindeutigen Bedauerns der Leiden, die die Kriegführung der USA über die Menschen im Irak, in Afghanistan und Pakistan gebracht hat, erging sich der US-Präsident wie bereits bei vorherigen Anlässen, bei dem er zu diesem von imperialistischen Übergriffen beschädigten Verhältnis Stellung nahm, in der Ambivalenz einer Würdigung des Islam bei gleichzeitiger Rechtfertigung der eigenen Kriegspolitik.

Dabei warf Barack Obama das ganze Gewicht seiner Herkunft als Mitglied einer teilweise muslimischen Familie und seiner Hautfarbe in die Waagschale des Appells, in den USA eben nicht eine "eigennützige Imperialmacht" zu sehen, sondern das Land als eine der "großartigsten Quellen des Fortschritts in der Welt" zu begreifen, in dem eben auch sieben Millionen Muslime den Traum der unbegrenzten Möglichkeiten träumten. Damit übertrug er sein Wahlkampfrezept, die Restauration der USA als Land der Freiheit und Demokratie durch seine Kür zum Staatschef zu verifizieren, auf die Außenpolitik gegenüber einer Region der Welt, deren Bevölkerungen den Westen im allgemeinen und die USA im besonderen nicht erst seit dem 11. September 2001 hauptsächlich als Unterstützer der eigenen Oligarchen und als Aggressor gegenüber denjenigen Regierungen, die sich dieser neokolonialistischen Subordination nicht unterwerfen, erlebt haben.

Sicherlich ist es einem US-Präsidenten nicht zu verdenken, den Staat, den er repräsentiert, im besten Licht erscheinen zu lassen. Gleichzeitig markiert er damit die Grenze möglicher Zugeständnisse, die, ohne die programmatische Empathie seiner vermeintlich versöhnlichen Worte betrachtet, so eng gezogen ist, daß ein Neubeginn im Sinne des Wortes nicht erfolgen kann. Darum ging es auch nie, ist die Außenpolitik seiner Administration doch dem Versuch gewidmet, die globale Dominanz der USA - und damit ihre Kreditwürdigkeit - zu konsolidieren. Obama fordert sein Publikum dazu auf, die Inhalte der Politik mit den Mitteln ihrer Durchsetzung zu verwechseln, und zieht demgemäß alle Register einer Überzeugungskraft, die auf seinem rhetorischen Talent und seinem bewährten Charisma basiert.

Bemißt man seine Rede an den konkreten Aussagen zu den Brennpunkten westlicher Politik im Nahen und Mittleren Osten, dann erstreckt sich sein Werben um Zustimmung vor allem auf die Funktionseliten der Region. Die Ankündigung, den Terrorismus Al Qaidas weiter bekämpfen zu wollen, weil diese Organisation 3000 Menschen bei Terroranschlägen in den USA getötet habe, ignoriert nicht nur das Vielfache an Opfern der US-Kriegführung, die seitdem im Irak, in Afghanistan und Pakistan zu beklagen sind. Dieses Argument hebt auch auf eine Urheberschaft der Anschläge des 11. September 2001 ab, die keineswegs widerspruchsfrei belegt ist und daher den Charakter eines Generalvorwands für kriegerische Übergriffe aufweist.

Wenn Obama erklärt, der Islam sei "nicht Teil des Problems im Kampf gegen den gewaltsamen Extremismus", sondern "ein wichtiger Teil, den Frieden voranzubringen", dann greift er zum ältesten Trick machiavellistischer Führungstechnik, einen die eigenen Pläne behindernden Machtfaktor durch Inpflichtnahme seiner Absichten zu spalten und zu schwächen. Nicht daß das Gros der Bevölkerungen muslimischer Staaten Anhänger Al Qaidas wäre. Der Begriff fungiert als Platzhalter eines unversöhnlichen Feindes, den zutiefst abzulehnen gleichbedeutend sein soll mit einer Parteinahme für die Ordnungsmacht USA. Befördert wird diese Strategie durch eine wie bestellt beim Eintreffen Obamas in Saudi-Arabien ausgestrahlte Audio-Botschaft Osama bin Ladens, die jeden, der die Versöhnungsabsicht des US-Präsidenten mit anderslautenden Fakten konterkariert, in einen potentiellen Al Qaida-Sympathisanten verwandelt.

Wahlkampf- und Argumentationshilfe durch Al Qaida-Propaganda ist nicht neu, und auch Obama bedarf der Unterstützung aus dem Schattenreich sinistrer Ränkespiele. Schließlich bleibt er auch mit der Ankündigung, die palästinensische Hamas künftig in eine Lösung des Nahostkonflikts einbeziehen zu wollen, wenn sie nur die drei unverhandelbaren Forderungen, anhand derer man ihren demokratischen Anspruch auf Regierungsmacht negiert hat, erfüllt, hinter den in ihn gestellten Erwartungen zurück. Einziges Novum des Imperativs, von der Gewalt abzulassen, früher zwischen Israel und der PLO geschlossene Verträge zu erfüllen und Israel anzuerkennen, ist Obamas Forderung, auch Israel müsse das Existenzrecht Palästinas anerkennen. Das ist ein Schritt mehr, als sein Vorgänger George W. Bush je unternommen hat, dennoch bleibt die Bringschuld auf seiten der Palästinenser, die Abbitte leisten müssen, bevor die andere Konfliktpartei auch nur einen Schritt in ihre Richtung unternimmt.

Moderat gibt sich Obama auch gegenüber dem Iran, wenn er erklärt, den Atomstreit "ohne Vorbedingungen" beilegen zu wollen. Während jeglicher Schritt in eine Richtung, der die Kriegsgefahr mindert, zu begrüßen ist, ist die Annäherung an Teheran vor allem dem Versuch geschuldet, bessere Ausgangsbedingungen für die Kriegführung in Afghanistan zu erhalten und die anstehenden Präsidentschaftswahlen im Iran zugunsten der Konkurrenten des amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinejad zu beeinflussen. Wenn die US-Regierung es fertig brächte, einen Ausgleich zwischen dem Iran und Israel herzustellen, der die akute Eskalationsgefahr beendet, dann wären ihre Handlungsmöglichkeiten deutlich erweitert.

Dies jedoch wäre nur machbar, wenn sie einen sichtbaren Fortschritt im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern erzielte. Einen Modus vivendi zu etablieren, der die geostrategischen Absichten Washingtons begünstigt, ist jedoch kaum möglich, so lange diese, auch ohne eigens beim Namen genannt zu werden, mitten im Raum stehen. Das Feld wird von Unvereinbarkeiten beherrscht, die im Fall der Palästinenser den Widerstand gegen die avisierte Protektoratslösung, als die die Forderung nach einem eigenständigen Staat realpolitisch verstanden wird, und im Fall des Iran die Sicherung der Hegemonialstellung Teherans betreffen. Da Obama seine Annäherungspolitik durch die implizite Androhung deckt, die Mißachtung des Angebots mit eben jener Feindseligkeit abzustrafen, die angeblich ausgeräumt werden soll, wissen die Umworbenen sehr wohl, daß ein Kniefall von ihnen erwartet wird.

Ein Sonnenstrahl macht noch keinen Sommer, und Obamas Worte sind schon von den Umständen ihrer Vermittlung her nicht dazu geeignet, etwas anderes als die Sicherung US-amerikanischer Vormachtinteressen zu kommunizieren. Nachdem er sich bereits bei seinem Besuch im NATO-Staat Türkei an die islamische Welt gewendet hat, befindet er sich in Ägypten im Land eines mit Milliardensummen gedungenen Vasallen, dessen Herrschaft ohne diese Rückendeckung akut gefährdet wäre.

Es ist daher kein Zufall, daß Obama einen religiös-kulturellen Kontext gewählt hat, um sich an die Bevölkerungen des Nahen und Mittleren Ostens zu wenden. Spräche er sie nicht als Muslime an, sondern als Bürger meist autoritär und despotisch regierter Staaten, dann erwiese sich der Ansatz, die Menschen unter dem grünen Banner für die USA zu gewinnen, als Versuch, ihre Beherrschbarkeit durch jene Attribute der Religion zu gewährleisten, die sich am wenigsten für eine gesellschaftliche Öffnung zu mehr sozialen und demokratischen Rechten eignen. Daß Obama der Eigenständigkeit fremder Gesellschaften Respekt zollte, indem er von einer imperialistischen Politik, die über Leichen geht, abschwört, wäre allerdings nicht zu erwarten gewesen. Statt dessen ist im Zeichen der Krise ein verschärfter Verteilungskampf zu erwarten, in dem die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens die Unfähigkeit, sich im eigenen Interesse bündnistechnisch zu unterstützen, teuer bezahlen werden.

4. Juni 2009