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HEGEMONIE/1673: Die EU exportiert ihren sozialen Konflikt in den Iran (SB)



Wie ist es um "unsere ausgestreckte Hand" bestellt, die laut dem Obama-Speak des profilierungssüchtigen deutschen Außenministers, gen Teheran ausgestreckt, angeblich "ins Leere" greift? Es handelt sich um eine mit der Verschlechterung der Lebensbedingungen aller Iraner gepanzerte Faust, die alles andere als ein Angebot zur Güte ist. Mit den bislang schärfsten Maßnahmen, mit denen die EU deutlich über die Sanktionen des UN-Sicherheitsrats vom 9. Juni hinausgeht, vollziehen ihre Mitgliedstaaten den Schulterschluß mit den USA und düpieren Rußland und China. Diese Vetomächte haben der UN-Resolution 1929 nur deshalb zugestimmt, um mäßigenden Einfluß auf das Ausmaß der gegen den Iran gerichteten Sanktionen zu nehmen, und werden auf diese Weise zum zweiten Mal ausmanövriert.

Durch das nun von der EU ausgesprochene Verbot, in die Öl- und Gasindustrie des Landes zu investieren, werden alle davon betroffenen Energieträger für die Iraner kostspieliger werden. Die unzureichende Weiterverarbeitungskapazität für die reichlich vorhandene fossile Energie zwingt die iranische Regierung dazu, 40 Prozent des im Lande verbrauchten Treibstoffs einzuführen. Die Auflage, alle Geldtransfers von mehr als 10.000 Euro zu melden und von mehr als 40.000 Euro genehmigungspflichtig zu machen, lähmt nicht nur das Geschäft großer Handelsfirmen, sondern auch die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, die auf ausländische Hilfe angewiesen sind. Handelsbeschränkungen für Dual Use-Güter wie Chemikalien aller Art, Mikroorganismen oder Produkte der Informationstechnologie beschränken die Innovationsfähigkeit der iranischen Industrie empfindlich. Das Argument, zivile Güter aufgrund eines eventuellen militärischen Nutzens mit einem Einfuhrverbot zu versehen, wurde im Irak in der Absicht, Druck auf die Bevölkerung auszuüben, bis zum Exzeß getrieben, so daß ganze Generationen irakischer Kinder fundamentale Bildungsmöglichkeiten vorenthalten wurden und die Basisversorgung der Bevölkerung mit Wasser und Strom über Jahre nur notdürftig gewährleistet werden konnte.

Ein solcher Sanktionskatalog hat die für jeden Nationalökonomen offenkundige Wirkung, die Produktivität der iranischen Wirtschaft durch steigende Kosten und verknappte Ressourcen insgesamt rückläufig werden zu lassen. Er wirkt sich damit direkt auf die ohnehin angespannte Einkommenslage der Bevölkerung aus. Das gilt auch für die Behauptung, mit den Beschränkungen wolle man insbesondere die in der Wirtschaft des Landes stark engagierten Revolutionsgarden treffen. Während diese loyalen Stützen der Regierung Ahmedinejad weit mehr Möglichkeiten haben als der normale Bürger, ihre Geschäfte über andere Kanäle zu organisieren, erleidet die Masse der Iraner aufgrund des allgemeinen Charakters der Verbote und Einschränkungen zusätzlichen Mangel. Insbesondere die iranische Mittelklasse, die ihren Lebenserwerb zu einem Gutteil mit Handelsgeschäften bestreitet und die das Rückgrat der Oppositionsbewegung bildet, dürfte von den Sanktionen überproportional getroffen werden.

Regimegegner wie die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi und die Oppositionsführer Mirhossein Mussavi sowie Mehdi Karroubi sprechen sich seit längerem aus eben diesem Grunde gegen Wirtschaftssanktionen aus. Sie haben in den 13 Jahren des menschenfeindlichen UN-Embargos gegen den Irak ausreichend Gelegenheit gehabt zu studieren, wie sehr die äußere Isolation eines Landes dessen Bevölkerung auch unterhalb der Schwelle unvermittelter militärischer Gewalt auf die herrschende Regierung einschwört. Die hierzulande von den gleichen Politikern und Journalisten, die das Sanktionsregime der EU begrüßen, gefeierten Anhänger der grünen Revolution geraten durch die an Fahrt aufnehmende Offensive der USA, die die UN-Sanktionen ihrerseits durch ein bilaterales Maßnahmenpaket verschärft hat, und EU zwischen alle Stühle.

Für die westlichen Regierungen scheint die iranische Oppositionsbewegung erledigt zu sein. Da sie den von ihr erhofften Regimewechsel nicht lieferte, läßt man sie im Regen stehen und merkt sie bestenfalls für die Rolle von Statthaltern nach einer möglichen Eroberung des Landes vor. Nicht nur in diesem Fall zeigt sich, daß imperialistische Staaten Befreiungsbewegungen nur dann unterstützen, wenn sie sich als bunte Bannerträger ihrer Zwecke und Ziele andienen. So berechtigt die Anliegen der iranischen Opposition sind, so sehr werden sie durch äußere Nutznießer, die ganz andere Ziele als die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung verfolgen, gegen sich selbst gekehrt.

Wie es um die versöhnliche Geste Guido Westerwelles bestellt ist, zeigt die ausgestreckte Hand Barack Obamas. Nachdem er mit dieser in seinem Präsidentschaftswahlkampf wie in der Kairoer Rede den Eindruck erweckte, den aggressiven Kurs Washingtons gegenüber Teheran revidieren zu wollen, bewies er mit dem Manöver, den Vermittlungsversuch Brasiliens und der Türkei im Atomstreit erst zu unterstützen und dann zu torpedieren, daß es ihm nicht wirklich um eine Annäherung mit dem Iran geht. Die US-Administration verfolgt in Übereinstimmung mit der israelischen Regierung gegenüber Teheran einen Kurs machtpolitischer Erpressung, dem sich die iranische Regierung absehbar nicht beugen wird. Die Unterordnung unter die westliche Hegemonie wäre gleichbedeutend mit dem Ende der schiitischen Theokratie, deren Parteigänger zu viel geopfert haben, um sie kampflos aufzugeben.

Zudem gibt es für sie in Anbetracht der unterstellten atomaren Rüstung, für die nach wie vor kein Beweis vorliegt, keinen Grund, unterhalb des vertraglichen Prozederes des Nichtverbreitungsvertrags klein beizugeben. Die gegen den Iran gerichteten Vorwürfe werden von atomar hochgerüsteten Staaten erhoben, die ihre Bereitschaft zum Führen von Angriffskriegen im Unterschied zur Islamischen Republik hinlänglich unter Beweis gestellt haben. Selbst in Anbetracht des unterstellten Falles, vom Iran ginge eine mörderische Bedrohung Israels aus, wären alle Karten auf der Seite der die Region militärisch kontrollierenden USA. Deren Streitkräfte unterhalten praktisch in allen an den Iran grenzenden Ländern Garnisonen, zudem werden die arabischen Golfstaaten von den USA für Milliardensummen gegen den Iran aufgerüstet. Neben der Marinepräsenz der USA im Persischen Golf sind deren Streitkräfte jederzeit in der Lage, das Land mit Langstreckenwaffen aller Art anzugreifen.

Dennoch wird der Iran, dessen Bevölkerung im Verteidigungskrieg gegen den von den USA unterstützten Irak in den 1980er Jahren schwere Verluste hinnehmen mußte, von den Regierungen der USA und EU als potentieller Aggressor gebrandmarkt. Das Land ist zu groß, um es ohne weiteres zu erobern, sein aus dem Sturz des US-Vasallen Shah Reza Pahlewi nach blutiger Beseitigung der revolutionären linken Mitstreiter hervorgegangenes schiitisches Regierungssystem ist weitgehend inkompatibel mit dem institutionellen und ideologischen Arsenal westlicher Hegemonialpolitik, und sein Einfluß auf das Nachbarland Irak ist den US-amerikanischen Besatzern ohnehin ein Dorn im Auge. Kurz gesagt, es gibt gewichtige strategische Gründe, um im Iran einen Regimewechsel herbeizuführen oder es offen anzugreifen.

Wirtschaftssanktionen und diplomatische Isolation dienen, wie am Beispiel des Irak vorexerziert, dem Entfalten inneren Drucks wie der Schwächung der Regierung, um auf diesem oder jenem Weg zum Ziel zu gelangen. Daß die iranische Bevölkerung davon nicht betroffen wäre ist eine bloße Schutzbehauptung etwa der Art, daß beim Targeted Killing in Afghanistan immer nur die Zielpersonen und nicht hunderte von Zivilisten ermordet würden.

"Europas neue Einigkeit gegen den Iran" (Welt Online, 27.07.2010) wird auf den tönernen Füßen eines von inneren Krisen zerrütteten Staatenbunds errichtet. Was schon am Beispiel des "Stabilitätsexports" nach Afghanistan als durchsichtige Ausflucht zu erkennen ist, gerät im Fall des Iran zum offenen Imperialismus neokonservativ gewendeter EU-Regierungen. Der Versuch, sich unter Inanspruchnahme US-amerikanischer Schlagkraft zur globalen Ordnungsmacht aufzuschwingen, kann die Verwertungskrise der EU nicht beheben, weil die ihr zugrundeliegende Akkumulationsschwäche mit ökonomischer Kriegführung nur noch verschärft wird. Der Übertrag des sozialen Konflikts der Europäer auf den Iran, dessen Gesellschaft schwer genug an ihren Verteilungskämpfen zu tragen hat, findet daher vor dem Horizont seiner kriegerischen Eskalation statt.

27. Juli 2010