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HEGEMONIE/1682: Feinde, wohin man blickt ... Tarik Asis am Haken der Siegermoral (SB)



Das Todesurteil gegen den ehemaligen irakischen Außenminister und stellvertretenden Premierminister Tarik Asis wurde von einem Tribunal verhängt, das die US-amerikanischen Besatzer des Landes einrichteten, finanzierten und dessen Personal sie aussuchten. Gerechtigkeit nach Bedingung der Eroberer - und nicht zugunsten der vollständigen Aufklärung über die Gründe und Ursachen der Tragödie des Iraks - war Ziel einer Willkürjustiz, die unter Maßgabe der irakischen Regierung fortgeschrieben wird. In dem Kartenspiel, mit dem die Kriegssieger Jagd auf 55 Mitglieder der irakischen Regierung veranstalten, stand Pik As für Saddam Hussein und Pik Acht für Tarik Asis. Der triumphalen Berichterstattung über dessen Verhaftung am 24. April 2003 tat der Sachverhalt, daß er sich selbst gestellt hatte und nicht "gefaßt" wurde, wie es bei dieser mit großer Genugtuung zelebrierten Menschenjagd ansonsten hieß, keinen Abbruch.Wie Asis in einem Interview mit der britischen Tageszeitung The Guardian im August 2010 bestätigte, hatte er den Amerikanern angeboten, sich in ihre Hände zu begeben, wenn sie seiner Familie freies Geleit ins jordanische Exil gewährten.

In den Kriegsmedien der USA und EU galt Asis als Handlanger Saddam Husseins, als diplomatisches Aushängeschild eines mörderischen Regimes, das mit militärischen Mitteln zu stürzen so oder so legitim sei. Dabei gehörte Asis als chaldäischer Christ nicht zum engsten Kreis des irakischen Präsidenten, der sich vollständig aus Verwandten und Mitgliedern seines in Tikrit angesiedelten Clans rekrutierte. Zweifellos war Asis Bestandteil eines despotischen Machtapparats, doch insbesondere die Kontrolle über die Gewaltorgane, die für die während der Herrschaft Saddam Husseins begangenen Staatsverbrechen verantwortlich waren, war dessen unmittelbaren Gewährsleuten vorbehalten. Das mit der Verfolgung schiitischer Islamisten 1980 begründete Todesurteil, das unter Verzicht auf nach westlichen Maßstäben beweiskräftige Belege für die Asis zur Last gelegten Taten auskommt, wurde von Richter Mahmud Saleh al-Hasan verhängt, der als Berater des amtierenden Premierministers Nuri al-Maliki fungierte und dessen Rechtsstaat-Koalition angehört.

Es ist ein offenes Geheimnis im Irak, daß das Urteil gegen Asis zum einen aus Rache für die Unterdrückung der schiitischen Dawa-Partei, deren stellvertretender Vorsitzender Maliki ist, durch das Baath-Regime zustande kam. Die eng mit der Regierung des Iran kooperierende Dawa-Partei hatte 1980 einen Anschlag auf Asis begangen, dem dieser nur knapp entkam und der mehrere Personen das Leben kostete. Die daraufhin verschärfte Verfolgung der schiitischen Partei, auf deren Konto weitere Anschläge gegen irakische Regierungsmitglieder wie auch gegen die kuwaitische Regierung gehen sollen, führte dazu, daß die Führung der Partei bis zur Eroberung des Iraks 2003 im iranischen Exil blieb.

Zum andern soll die Exekution des ehemaligen Außenministers unter den Schiiten des Landes Zustimmung für eine Regierungsbildung erzeugen, bei der Maliki in seinem Amt bestätigt wird. Dieser hatte bereits im Vorfeld der irakischen Parlamentswahlen im März dafür gesorgt, daß die dem Lager der ehemaligen Baath-Partei zugehörigen Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen wurden. Malikis sunnitischer Konkurrent, der ehemalige Premierminister Iyad Allawi,der dem säkularen Bündnis Irakija vorsteht, ist mit dem Baathisten Asis befreundet.

Zudem soll das Todesurteil von den Enthüllungen ablenken, mit denen Wikileaks unter anderem die Verbrechen schiitischer Todesschwadrone, die in dem nach der Eroberung des Landes ausgebrochenen Machtkampf zahlreiche Sunniten folterten und ermordeten, aufdeckte. Gerade weil alle an diesem konfessionell geprägten Bürgerkrieg beteiligten Akteure sich in Sachen Grausamkeit in nichts nachstanden, erweist sich das Todesurteil gegen Asis angesichts der Schuld, die die einflußreichen Politiker des Iraks in dieser Zeit auf sich geladen haben, wie der Verbrechen, die die Kriegssieger an der irakischen Bevölkerung begingen, als ausschließlich politisch motiviertes Manöver.

Über dessen Ergebnis ist man in einigen westlichen Hauptstädten trotz der Justizwillkür, die die angebliche Demokratisierung des Iraks hervorgebracht hat, nicht eben unglücklich. Nachdem sich die Regierungen in Washington und London mit der Hinrichtung Saddam Husseins am 30. Dezember 2006 nach einem Prozeß, der ihrer Rechtstaatsrhetorik Hohn sprach, der wichtigsten Informationsquelle zu den eigenen an der irakischen Bevölkerung begangenen Verbrechen entledigt hatten, wird mit dem kranken, vermutlich in wenigen Jahren ohnehin sterbenden Tarik Asis der letzte unmittelbare Zeuge auf der Seite derjenigen ausgelöscht, die Interesse daran haben könnten, die Rolle dieser Regierungen im Krieg zwischen Irak und Iran wie bei der Belagerung und Bombardierung des Iraks nach internationalem Strafrecht aufzuarbeiten.

Asis war beim Treffen des späteren US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld mit dem irakischen Präsidenten 1983 zugegen, er kannte das Ausmaß militärischer Unterstützung, mit dem der Irak gegen den Iran aufgerüstet wurde, er wußte, woher das Giftgas stammte, in dem Tausende iranischer Soldaten verendeten, er kann detailliert über die Intrige berichten, mit der die US-Regierung 1990 bei Saddam Hussein den Eindruck erweckte, nichts gegen den Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait unternehmen zu wollen. Asis könnte auch Aufschluß darüber geben, wie ernstgemeint das Angebot war, mit dem Saddam Hussein im Februar 2003 den drohenden Angriff auf den Irak zu verhindern versuchte. Er sicherte der US-Regierung damals über einen Mittelsmann zu, daß der Irak über keine Massenvernichtungswaffen verfüge, und bot ihr an, 2000 FBI-Agenten zu schicken, die überall freien Zugang hätten, um dies zu überprüfen. Diese hätten zu ihrem Schutz von 5000 US-Soldaten begleitet werden können. Zudem kündigte er an, man wolle innerhalb von einem Jahr freie Wahlen abhalten, die von den Vereinten Nationen beaufsichtigt werden sollten. Hinzu kam das Angebot, die USA im Kampf gegen den Terrorismus und jeden amerikanischen Vorschlag zur Lösung des Palästinakonflikts zu unterstützen. Des weiteren wurden US-Firmen Vorzugsrechte beim Erwerb von Konzessionen zur Ölförderung im Irak in Aussicht gestellt. Zudem wollte man den wegen des Anschlags auf das World Trade Center 1993 gesuchten Abdul Rahman Jasin, der seit seiner Einreise in den Irak 1994 dort im Gefängnis saß, an die USA ausliefern. Offensichtlich hatte die US-Regierung gute Gründe, dieses Angebot nicht zu prüfen.

Ginge es darum, die Geschichte der seit 1991 anhaltenden Schändung des Iraks aus der Sicht der davon Betroffenen offenzulegen, dann wäre Asis ein Zeitzeuge von unschätzbarem Wert. Da niemand daran Interesse hat, der dies politisch umsetzen könnte, wird die Sicht der Sieger weiterhin Grundlage der offiziellen Geschichtsdoktrin bleiben. Deren Gegenentwurf ist auch aus einem anderen Grund wenig schmeichelhaft für die USA, die diesen Krieg anfangs mit der abwegigen und widerlegten Behauptung vom Zaun brechen wollten, Saddam Hussein sei an den Anschlägen des 11. September 2001 beteiligt gewesen.

Indem die Bush-Regierung den irakischen Machthaber mit dem angeblichen Angriff islamistischer Terroristen in Verbindung brachte, leugnete sie den säkularen Charakter des Iraks und der regierenden Baath-Partei. Dabei hatte die UNICEF-Chefin Rhao Singh noch im März 2000 bestätigt, daß der Irak eines der wenigen Länder in der Region sei, in dem Menschen unterschiedlicher Religionen ihren Glauben frei ausüben dürften. Nur unter diesem Umstand war der Aufstieg eines Christen in eines der höchsten Regierungsämter des Landes möglich. Asis gehört den chaldäisch-katholischen Christen an, die in den 1990er Jahren noch vier Prozent der Bevölkerung stellten. Seit der Eroberung des Landes durch Staaten mit mehrheitlich christlicher Bevölkerung, die behaupten, den Schutz religiöser Minderheiten zu garantieren, wurde es von mehr als der Hälfte seiner Christen verlassen. In dem konfessionell geprägten Bürgerkrieg gerieten sie zusehends unter Vertreibungsdruck und suchten vor allem in Syrien und Jordanien Schutz vor religiös motivierter Verfolgung.

Die US-geführte Koalition bereitete den Angriff auf den Irak 1991 in Saudi-Arabien, dessen Regime eine besonders rigide Form des Islam propagiert, vor. Trotz vieler Stimmen auch in der Linken, die diesen Krieg guthießen, beschränkte sich die Regierung Helmut Kohls auf die Rolle des Zahlmeisters. Um so mehr wurde die anschließende Aushungerung der irakischen Bevölkerung durch das UN-Embargo im breiten Konsens deutscher Demokraten, Christen und Journalisten gutgeheißen. Die Dämonisierung der irakischen Führung legitimierte nicht nur eine Wirtschaftsblockade, die den vorzeitigen Tod hunderttausender Iraker bewirkte, sondern trug auch ihren Teil zur Legitimation der endgültigen Eroberung des Landes 2003 bei. Ein typisches Beispiel dieser Propaganda konnte man am 18. Dezember 1998 in der Sendung Tag für Tag des Deutschlandfunks vernehmen:

"Saddam Hussein, seit 1979 im Irak an der Macht, und sein Vizepremier Tarik Asis sind ein politisches Gespann, daß sich einander in punkto Skrupellosigkeit in nichts nachsteht. Wenn Asis vor der UNO in New York über Heuchelei und Doppelzüngigkeit des Westens klagt und mit gekonnter Empörung die Konsequenzen des UNO-Embargos für die Bevölkerung seines Landes ausmalt, verschweigt er den Verursacher der langen, blutigen Krise am Golf, die in den vergangenen 17 Jahren rund zwei Millionen Menschen das Leben gekostet hat."

Es war auch damals nicht unbekannt, daß die Rollen beim Entfachen dieser Katastrophe gut verteilt waren. Nicht zuletzt der Sturz des mit den USA verbündeten Shahs Reza Pahlewi und die Umwidmung dieses Volksaufstands in eine islamische Revolution, deren Übergreifen auf andere Staaten der Region befürchtet wurde, motivierte die US-Regierung, die beiden strategischen Antagonisten am Persischen Golf in einem gegenseitigen Abnutzungskrieg zu halten. Nachdem der Bagdader Schurke seine Schuldigkeit getan hatte, wurde er selbst zum fleischgewordenen Bösen, das jede gegen sein Land gerichtete Aggression als Ausdruck notwendiger Schadensbegrenzung heiligte, erklärt. So geriet dem Deutschlandfunk selbst der säkulare Charakter der irakischen Gesellschaft zu einer bösartigen Intrige Saddam Husseins:

"Gerade ihre zahlenmäßige Schwäche ist es, die Iraks Christen für den Diktator interessant macht. Er ködert sie mit einer in der Verfassung verankerten Religionsfreiheit, gewährt finanzielle Unterstützung für den Bau von Kirchen und Schulen, nutzt ihr Gewicht in der westlichen Welt."

Eingedenk des antikommunistischen Auftrags dieses Senders wollte man der Urheberin des säkularen Charakters des damaligen Iraks, der panarabischen und von französischen Linksintellektuellen beeinflußten Baath-Partei, nicht die geringste Glaubwürdigkeit zugestehen. Zu diesem Zweck erschienen auch die irakischen Christen als Kollaborateure des Bösen:

"Ausgenommen von Hunger und sozialer Verelendung ist allein die Führungsschicht, zu deren Günstlingen auch Christen wie Tarik Asis zählen. Natürlich wissen auch die christlichen Bischöfe, die bei Auslandsreisen die Konsequenzen des wirtschaftlichen Embargos beklagen, daß eine Lockerung oder gar die Aufhebung leicht zu erreichen wäre, wenn Saddam Hussein dies nur will, doch sie schweigen. Das Hemd ist ihnen näher als der Rock. Die Menschen im Irak werden durch eine erbarmungslose Unterdrückung in die Loyalität mit dem System gezwungen. Es geht schlichtweg ums nackte Überleben."

Den Eindruck zu erwecken, nicht die Urheber von Wirtschaftssanktionen, sondern die damit zu treffende Regierung sei für das dadurch bewirkte Leid verantwortlich, ist ein sich wiederholendes Muster aggressiver Bezichtigungslogik. Seit das 13jährige, von militärischen Übergriffen sowie provokanten, mitunter für westliche Geheimdienste arbeitenden UN-Waffeninspekteuren begleitete UN-Embargo in die Okkupation und politische Neuordnung des Iraks gemündet ist, hat sich die Überlebensfrage weiter verschärft.

Wie vergeblich sie von den Irakern nach ihrer angeblichen Befreiung gestellt wird, belegt der Blutzoll, der der Bevölkerung an einem durchschnittlichen Tag wie dem 31. Oktober abverlangt wird. An diesem Sonntag starben im Irak bei mehreren Anschlägen und Schießereien mindestens 70 Menschen, mindestens 106 wurden verletzt. "Britannien und die USA haben den Irak umgebracht", sagte Tarik Asis vor wenigen Monaten im Interview mit dem Guardian und bekannte sich ausdrücklich zu seinen politischen Aufgaben, die er in der Regierung Saddam Husseins erfüllte. Er habe sich nicht an den Verbrechen beteiligt, derer er bezichtigt würde, und habe als Mitglied dieser Regierung die Pflicht gehabt, Schaden von seinem Land abzuwenden.

Dies ist ihm nicht gelungen, denn der Schadensfall ist so groß, das die Zahl der Opfer längst die der Unterdrückungsmaßnahmen übersteigt, mit denen Saddam Hussein seine despotische Herrschaft absicherte. Die Aggressoren erklärten, dem Land Freiheit und Demokratie, Frieden und Wohlstand zu bringen. Sie verfolgten geostragische Ziele, zu deren Rechtfertigung sie nicht nur das Regime Saddam Husseins über die Maßen eigener Menschenfeindlichkeit hinaus dämonisierten, sondern auch die mit diesem verfeindeten irakischen wie iranischen Schiiten als Träger einer kulturellen Aggression stigmatisierten. Der 74jährige Asis wird auch deshalb gehängt, weil die imperialistischen Ambitionen westlicher Staaten in der Region ganze Gesellschaften in den Abgrund des Bürgerkriegs stürzen und auf der verbrannten Erde nichts als erbitterte Feinde zurücklassen.

1. November 2010