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HEGEMONIE/1730: Keine Einzelfallösung ... Aussetzung der Demokratie in Griechenland (SB)



Wie auch immer das Vorhaben des kalt geschaßten griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou, ein Referendum zu der von der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF verordneten Sparpolitik abzuhalten, zustande kam, so dokumentiert die schnelle Aufgabe des Plans, die Bevölkerung über ihre ureigenste Zukunft befinden zu lassen, den geringen demokratischen Manövrierraum, der den EU-Bürgern zugestanden wird. Ob es Papandreou eher darum ging, die persönliche Verantwortung für den desaströsen Niedergang der Lebensbedingungen des Gros der griechischen Bevölkerung und den Ausverkauf der produktiven Teile der griechischen Wirtschaft von sich zu weisen, ob er vor allem die Oppositionsparteien und die Gewerkschaften dazu nötigen wollte, die aufoktroyierte Austeritätspolitik mitzutragen, der Vorgang als solcher führt allen Bevölkerungen der Europäischen Union vor Augen, daß das demokratische Credo der angeblichen Wertegemeinschaft reine Symbolpolitik ist. Unter dem Druck, die zur Abwendung der drohenden Zahlungsunfähigkeit des griechischen Staats erforderliche Acht-Millionen-Euro-Tranche des von den Staaten der Eurozone geschnürten Kreditpakets einzufrieren, wurde das Referendum zurückgenommen.

Das politische Schicksal Papandreous war dennoch besiegelt, mußte der Ministerpräsident doch seinen Platz zugunsten einer Regierung der "Nationalen Rettung" unter dem ehemaligen Vizechef der EZB, Lucas Papademos, räumen. Nur so war Antonis Samaras, der Chef der Nea Demokratia, dazu bereit, sich an dieser von Brüssel und Berlin verlangten Übergangsregierung zu beteiligen. Dritte im Bunde der Koalitionsregierung aus PASOK und ND ist die nationalchauvinistische LAOS-Partei, so daß man von einem geschlossenen Block gegen die starke parlamentarische Linke aus KKE und SYRIZA sprechen kann. Während Finanzminister Evangelos Venizelos, der sich schon unter Papandreou für die Durchsetzung des Sparpakets gegen die Interessen der Bevölkerung eingesetzt hatte, im Amt bleibt, gehört der neue Verteidigungsminister Dimitris Avramopoulos der ND an. Er könnte den von Papandreou - offensichtlich in Befürchtung eines Militärputsches - vor kurzem vorgenommenen Austausch der gesamten militärischen Führung der Streitkräfte wieder rückgängig machen, hatte die ND diesen Schritt doch scharf kritisiert. Zudem hat Papademos sich ausbedungen, den ins Auge gefaßten Wahltermin am 19. Februar 2012 fallenzulassen. Die Verhinderung von der Opposition geforderter Neuwahlen mündet so in die unbefristete Einsetzung einer ungewählten Regierung.

So fand auf der Athener Bühne innerhalb kürzester Zeit ein Regierungswechsel statt, anhand dessen demonstriert wurde, daß die Staatsgewalt nicht in Händen der Administration, sei sie nun gewählt oder eingesetzt, liegt. Sie ist lediglich ausführendes Organ einer in Berlin, Washington, Brüssel und Paris konzipierten Notstandspolitik, mit der die herrschende Verwertungsordnung zu Lasten des Gros der EU-Bevölkerungen gesichert werden soll. Dies erfolgt unter der Behauptung, die Rettung der Währungsunion auf der Basis tiefer sozialer Einschnitte sei alternativlos, während Vorschläge wie eine Wirtschaftsdemokratie, die die nationale Konkurrenz zwischen den EU-Staaten vollständig aufhebt, eine Verstaatlichung der Banken oder eine geordnete Insolvenz überschuldeter Staaten unter Verweis auf die Glaubwürdigkeit, die diese gegenüber "den Märkten" unter Beweis stellen müßten, jenseits bloßer Gedankenspiele bleiben sollen.

Wer die Forderung der Überwindung des Kapitalismus nicht erheben will, hat gegenüber den geltend gemachten Sachzwängen der Defizitkonjunktur allerdings einen schweren Stand. Die Sicherung der Kreditwürdigkeit geht denjenigen EU-Staaten, die am meisten vom zentralen Widerspruch der Währungsunion profitieren, miteinander konkurrierende Volkswirtschaften von sehr unterschiedlicher Produktivität in das Korsett eines Tauschäquivalents zu zwängen, über alles. So verteidigt die Bundesregierung in erster Linie ihr Interesse am weit größeren Gewicht einer Währung, als es die DM je hatte, gegen die Lebensinteressen derjenigen Bevölkerungen, deren Kreditverzinsung absehbar nicht mehr durch das eigene Wirtschaftswachstum aufzuholen ist.

Kanzlerin Angela Merkel stellt im Interview mit dpa unverhohlen klar, die Staaten der Eurozone seien "wirtschaftlich wie politisch so miteinander verknüpft, dass man kaum noch von vollkommen unabhängigen Entscheidungen sprechen kann". Man habe es in Anbetracht dessen, daß nationale Entscheidungen "schwerwiegende Auswirkungen in Europa und darüber hinaus haben" können, "immer mehr mit einer europäischen Innenpolitik zu tun". So habe das von Griechenland "ohne Abstimmung mit seinen europäischen Partnern" angekündigte Referendum unmittelbar dazu geführt, daß "die Verlässlichkeit der Beschlüsse des Euro-Gipfels vom 27. Oktober weltweit in Zweifel gezogen" worden wäre. Die daraus zu ziehende Konsequenz besteht für die Bundeskanzlerin in der Einschränkung des souveränen Rechts eines Staates auf eigene Haushaltsführung und dessen Übertragung auf eine europäische Institution, die im Fall einer solchen Unbotmäßigkeit das Recht besitze, "auf einen beanstandeten nationalen Haushalt durchgreifen zu können". Aufgrund dieser Möglichkeit "werden die nationalen Parlamente in der Regel Haushalte aufstellen, die den Anforderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts entsprechen". [1]

Wie die Zurichtung der Athener Regierung auf ein Gremium von Technokraten mit großer Nähe zum Finanzmarkt zeigt, ist der Übergriff EU-europäischer Regelungsgewalt auf einen Mitgliedsstaat nur eine mögliche Maßnahme autoritären Krisenmanagements. Indem Griechenland auch auf politischer Ebene unter das Regime der führenden EU-Staaten und des internationalen Finanzkapitals gestellt wird, wird daran erinnert, daß die Krise Staat und Kapital gleichermaßen betrifft. So können "die Märkte" die Staaten nur so lange vor sich hertreiben, als die von diesen formierten Bedingungen der Kapitalverwertung aufrechterhalten bleiben. Ohne die repressiv durchgesetzte Eigentumsordnung und das staatlich organisierte Steueraufkommen, ohne die Reproduktion der Gesellschaft durch öffentliche Daseinsvorsorge und die Schaffung sozialer Kohäsion zeigte sich schnell, daß das abstrakte Tauschäquivalent Geld und seine materielle Realisierbarkeit letztendlich auf Gewalt beruhen.

Diese manifestiert sich derzeit in der neokolonialistischen Reorganisation des Verhältnisses zwischen Zentrum und Peripherie der EU. Mit der erpresserischen Verhinderung des Referendums und der massiven Einflußnahme auf die Bildung einer faktischen Notstandsregierung, die in Statthalterschaft der politischen und ökonomischen Eliten Westeuropas und Nordamerikas eine sozialfeindliche Sparpolitik zu vollziehen hat, wird klargestellt, daß Herrschaft in letzter Konsequenz immer gegen den Willen der davon Betroffenen durchgesetzt wird. Das macht seit jeher Sinn, warum sonst sollte von Herrschaft die Rede sein? Die Idee der repräsentativen Demokratie, die Übertragung der nationalen Souveränität auf eine Funktionselite, die diese Macht in Bindung an die Verfassungsgrundlagen stellvertretend für alle ausübt, wird nun jedoch in einer Offenheit zur Disposition partikulärer Interessen gestellt, als werde eine revolutionäre Gegenbewegung geradezu herbeigewünscht. Griechenland könnte in Anbetracht der dort massiv anwachsenden Not durchaus der Fokus eines sozialen Widerstands werden, der sich nicht mehr nur gegen die Banken richtet, sondern die Systemfrage stellt.

Fußnote:

[1] http://www.wiwo.de/politik/deutschland/merkel-im-interview-der-euro-erlebt-seine-erste-grosse-krise/5816750.html

11. November 2011